Der bei “Wetten, dass ..?“ verunglückte Samuel Koch spricht mit Bundespräsident Joachim Gauck über seine persönliche Kraftquelle

St. Pauli. Rosi und die Knallerbsen heizen den Besuchern in Halle B5 ein. Vom "Kleinen Stern" singt die Band der Lebenshilfe Schenefeld, die sich selbst als "laut und unberechenbar" bezeichnet. Das Publikum klatscht, wartet aber doch vor allem auf einen: Bundespräsident Joachim Gauck hat sich für die Diskussionsrunde zum Thema "Starke Gesellschaft" angekündigt.

Unter den 7000 Besuchern ist auch Karl Wollner aus Oldenburg: "Gauck ist ein Mann, der noch was zu sagen hat. Er benutzt die Kraft des Wortes", sagt der 66-Jährige, der zum sechsten Mal auf einem Kirchentag ist und sich in seiner Heimatgemeinde engagiert.

Mit dem Bundespräsidenten sitzen die Inklusions-Spezialistin Monika Labruier, der seit einem Unfall bei "Wetten dass..?" gelähmte Schauspielstudent Samuel Koch und der behinderte Pfarrer und Paralympics-Sieger Rainer Schmidt an diesem Donnerstagvormittag auf dem Podium.

Die Gesprächsleitung hat ZDF-Talkmaster Markus Lanz. Gauck, selbst Pastor, lobt die gute Stimmung auf dem Kirchentag. "Kirche stellt sich zu Hause nicht immer so bunt und vielgestaltig dar", sagt der Bundespräsident.

Rainer Schmidt hat bei den Paralympics schon Gold und Silber im Tischtennis gewonnen. Ihm fehlen die Unterarme, links hat er nur einen kleinen Daumen, sein rechter Oberschenkel ist verkürzt. "Als meine Großmutter mich unmittelbar nach der Geburt sah, sagte sie: 'Handwerker wird der nicht'", berichtet der 48-Jährige und erntet großes Gelächter. Schmidt tritt auch als Kabarettist auf und beschreibt den Beginn seiner Tischtennis-Laufbahn. "Mein Cousin brauchte im Österreich-Urlaub einen Partner. Und dann kam sein Satz: 'Gemeinsam werden wir herausfinden, wie Du mitmachen kannst.'"

Überhaupt ist die Stimmung sehr heiter. Als Samuel Koch, der auf einen Spezial-Rollstuhl angewiesen ist, nach einer Unterbrechung sein Gespräch wieder aufnimmt, sagt er "Wo war ich sitzen geblieben?" Stehen kann er seit seinem Unfall nicht mehr. Auch seine Erkenntnis, dass es Menschen gebe, "die im Pech noch viel weniger Glück hatten als ich", zeugt von Humor.

Wie gehen Behinderte und Nicht-Behinderte miteinander um? Wie verlieren sie die Scheu voreinander, wie lebt man die Erkenntnis von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, dass es normal ist, verschieden zu sein?

Um diese Fragen kreist die Gesprächsrunde zum Thema Teilhabe. Und Gauck bezeichnet Koch und Schmidt als Vorbilder. Die beiden hätten begriffen, "dass sie viel mehr vermögen, wenn sie etwas von sich verlangen", sagt der Bundespräsident. Es sei ein wichtiges Element der Gesellschaft, "dass wir uns nicht hängen lassen".

Dies gelte "für alle Menschen, die aus dem Normalmaß herausfallen", ergänzt Gauck und nennt als Beispiel Langzeitarbeitslose, die vor der Wahl stünden, sich damit einzurichten oder weiter nach einer Anstellung zu streben. Man müsse lernen, an sich selbst Erwartungen zu richten, nicht nur an die Gesellschaft, die unterstützt. "Das ist keine Einbahnstraße", sagt Gauck: "Wenn wir etwas von uns fordern, tun wir uns etwas Gutes."

Menschen mit Handicap leisten nach Ansicht des Bundespräsidenten etwas Großes - trotz ihrer enormen Lasten. Dieses "Vorbild in Lebensfreude und Lebensbejahung" brauche das Land, so Gauck. "Dich springt ein 'Ja zum Leben' an."

Samuel Koch verlangt viel von sich. Ein Freund habe ihm nach seinem Unfall geraten, "tyrannisch und egoistisch" zu werden, um seine Bedürfnisse gegenüber anderen Menschen durchzusetzen, erzählt er. "Ich habe mich entschieden, mich nicht zu verstecken, aktiv zu sein und auf die Menschen zuzugehen, auch wenn das nicht immer einfach ist." Natürlich gebe es Momente, in denen er denke, es sei einfach blöd gelaufen. Dann besinne er sich auf seinen Glauben als "lebenserhaltende Maßnahme". Der sei für ihn nach dem Unfall ein rettender Anker gewesen. "Und er ist es immer noch."

Der Bundespräsident ist beeindruckt: "Ich möchte Gott danken, dass ich diesen Satz hier höre." Er sei nicht sicher, ob Samuel vor seinem Unfall als gut aussehender, ambitionierter Schauspielstudent für ihn ein interessanter Gesprächspartner gewesen wäre, sagt Gauck gegen Ende der Diskussion: "Aber in seiner jetzigen Verfassung ist er für uns alle unglaublich wichtig."

Auch Gast Karl Wollner ist am Ende zufrieden. "Der Bundespräsident hat meine Erwartungen erfüllt. Die beiden Männer kann man nur bewundern. Eine gelungene Veranstaltung."