Gewerkschaft nennt Bezahlung der Paketboten weiter “sittenwidrig“. Moderatorin Sabine Christiansen im Aufsichtsrat. “Wenn ich mich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte, würde ich das nicht machen.“

Hamburg. Mit der Logistikbranche ist Sabine Christiansen bislang nur wenig in Kontakt gekommen. Stilbewusste Menschen mögen die stets elegant gekleidete TV-Produzentin eher mit der Modemarke Hermès als mit dem Hamburger Paketdienstleister Hermes in Verbindung bringen. Nun aber hat sich die ehemalige Tagesthemen-Moderatorin intensiv mit der Struktur des Tochterunternehmens des Hamburger Otto-Konzerns auseinandergesetzt und ist auch mal für einen Tag mit einem Paketboten des zweitgrößten deutschen Logistikers hinter DHL mitgefahren.

Vorbereitungen für ihr neues Mandat als Aufsichtsratsmitglied von Hermes seien dies gewesen, sagte die 55-Jährige am Dienstag am Rande der Vorstellung der Geschäftszahlen für das vergangene Jahr. In dem Kontrollgremium will sich Christiansen nun unter anderem für faire Arbeitsbedingungen und auskömmliche Löhne im Konzern einsetzen. "Wenn ich mich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte, würde ich das nicht machen", sagte sie.

Der Aufsichtsrat von Hermes befindet sich gerade im Aufbau, er ist unter anderem auf Druck der Betriebsräte zustande gekommen, die auf einen größeren Einfluss im Unternehmen drängten. Konsequenterweise wird das Gremium paritätisch mit jeweils zehn Mitgliedern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite besetzt.

Mit der Gründung reagiert Hermes auch auf die Vorwürfe des vergangenen Jahres, nach denen die frei beschäftigten Paketboten des Unternehmens mit Löhnen unterhalb des Existenzminimums auskommen mussten. Bezahlt pro Sendung und nicht pro Stunde, mussten die Beschäftigten von Subunternehmern für Sprit- und andere Transportkosten selbst aufkommen und konnten in manchen Fällen von ihrer Arbeit kaum leben.

Diese Missstände hat Hermes nun nach eigenen Worten beseitigt. Alle 390 Subunternehmen, mit denen die Gruppe zusammenarbeite, seien in Zusammenarbeit mit der Prüfungsgesellschaft SGS TÜV Saar zertifiziert und die Einhaltung fairer Beschäftigungsbedingungen kontrolliert worden, sagte der Vorstandschef von Hermes Europe, Hanjo Schneider. "Wir können garantieren, dass jeder Hermes-Paketbote in Deutschland mindestens einen Stundenlohn von 7,50 Euro bekommt." In vielen Fällen liege der Lohn sogar höher und reiche bis 10,50 Euro. Damit biete der Konzern mehr als viele andere Unternehmen der Branche.

Aus Sicht der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist der Hermes-Mindestlohn zwar ein Schritt in die richtige Richtung, liegt allerdings noch immer weit hinter dem geltenden Hamburger Tariflohn für Zusteller von 11,14 Euro, der unter anderem vom Paketzusteller UPS gezahlt werde. "Im Vergleich zum Hamburger Tarif muss man den Mindestlohn bei Hermes sogar als sittenwidrig einstufen", sagt Gewerkschaftssekretär Lars-Uwe Rieck, der bei Ver.di in der Hansestadt für die Logistikbranche zuständig ist. Darüber hinaus habe sich Hermes noch immer nicht von den Subunternehmer-Strukturen verabschiedet, was keine volle Kontrolle über die Löhne der Paketboten erlaube.

Wirtschaftlich steht Hermes derzeit relativ gut dar. Der Gesamtumsatz der Gruppe, zu der zwölf Einzelgesellschaften zählen, stieg im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf 1,9 Milliarden Euro. Dabei profitierte das Unternehmen mit 452 Millionen Sendungen in Europa und einer um 7,5 Prozent gewachsenen Paketmenge einmal mehr vom anhaltenden E-Commerce-Boom. Der Logistiker liefert nämlich nicht nur die Pakete von Otto aus, sondern auch die von Konkurrenten wie Amazon. Im laufenden Jahr soll der Umsatz um fünf bis acht Prozent auf mehr als zwei Milliarden Euro klettern.

"Hermes ist längst mehr als ein Paket-Zustelldienst", sagte Schneider. "Als weltweit einziges Unternehmen bieten wir alle Dienstleistungen entlang der Wertschöpfungskette des Handels unter einem Markendach an." So hilft Hermes Handelsfirmen in Russland, den USA, China und Brasilien beim Aufbau von Online-Shops. "Unser Ziel ist es, kleinen wie großen Händlern alle notwendigen Lösungen für die Erschließung neuer Märkte in Europa, Asien oder Südamerika anzubieten."

Der E-Commerce-Boom wird sich nach den Erwartungen von Hermes noch beschleunigen. "Jetzt werden die Generationen zu Käufern, die mit dem E-Commerce aufgewachsen sind, und die haben ein völlig anderes Einkaufsverhalten", sagte Schneider. Der Anteil des Distanzhandels am gesamten Einzelhandel könne von gegenwärtig gut neun auf 20 bis 25 Prozent zunehmen.

Bis 2017 werde der E-Commerce europaweit rund 191 Milliarden Euro Umsatz erreichen, gut 70 Prozent mehr als heute. Entsprechend müssen die Strukturen mitwachsen. "Wir haben jetzt schon Probleme, genug Lkw-Fahrer zu finden, und wollen vielleicht selbst welche ausbilden." Für Hermes arbeiten in Deutschland rund 10.000 eigene Angestellte und weitere 13.000 bis 15.000 Beschäftigte anderer Firmen.

Die Margen des Unternehmens sind angesichts des Konkurrenzkampfes in der Branche allerdings stark unter Druck. Daher sei der Gewinn insgesamt im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, sagte Schneider ohne konkrete Zahlen zu nennen. Deshalb sieht der Hermes-Chef in diesem Jahr auch keinen Spielraum für Preissenkungen. Konditionen wie die von Marktführer DHL, der im vergangenen Weihnachtsgeschäft 3,60 Euro für die Versendung eines Pakets in Deutschlands verlangte, werde man nicht bieten.