Umfrage zeigt gravierende Missstände auf. Gewerkschaft will gesetzliche Regelung für Personalausstattung. “Immer mehr Mitarbeiter werden wegen der Überlastung selber krank.“

Hamburg. Die personelle Lage an Hamburgs Krankenhäusern spitzt sich offenbar zu. Laut einer Umfrage der Gewerkschaft Ver.di fehlen in den 47 Kliniken mit seinen rund 21.700 Mitarbeitern zurzeit 4200 Stellen. "Der überwiegende Teil davon im Pflegebereich", sagt Hilke Stein, Ver.di-Fachbereichsleiterin. "Jede fünfte Stelle müsste neu besetzt werden."

"Wie viele Kollegen seid ihr? Und wie viele müsstet ihr sein, um die Arbeit in der notwendigen Qualität machen zu können?" Diese Fragen hat Ver.di im Februar bundesweit den Mitarbeitern an 200 Krankenhäusern gestellt - neun davon in Hamburg. "Es ergab sich ein Fehlbedarf von 19,3 Prozent quer über alle Beschäftigtengruppen, den wir auf sämtliche Kliniken in Hamburg hochgerechnet haben", sagt Ver.di-Sekretär Michael Stock.

Die Krankenhausdaten der vergangenen 20 Jahre aus Hamburg belegen einen "Teufelskreis aus Personalabbau, steigenden Fallzahlen und immer kürzerer Verweildauer der Patienten." 1991 sorgten sich noch rund 32.800 Mitarbeiter (davon 10.660 im Pflegebereich) um Patienten, die durchschnittlich 18,3 Tage in der Klinik geblieben sind. 2012 waren 21.700 Mitarbeiter (8300 im Pflegebereich) für Patienten zuständig, die nur noch 7,9 Tage im Krankenhaus blieben. Die Fallzahl stieg von 346.000 im Jahr 1997 auf 461.000 in 2012. Hinzu kommt ein steigender Verwaltungsaufwand pro Patient. Für Dokumentation und Administration werden laut Ver.di heute 90 bis 120 Minuten benötigt.

"Der massive Personalabbau führt zu einer permanenten Überlastung der Mitarbeiter, was wiederum massiv erhöhte Krankmeldungen zur Folge hat", sagt Wolfgang Werner, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg. Trauriger Höhepunkt in vergangenen Monat: An einem Tag waren 60 Prozent der Belegschaft krank. "Die Lage ist katastrophal, das kann so nicht mehr weitergehen", schlägt Wolfgang Werner Alarm.

Ein weiteres Indiz für die Arbeitsverdichtung der Krankenhausmitarbeiter, die laut Ver.di seit zehn Jahren um mindestens 30 Prozent zugenommen hat, ist die ständig steigende Zahl der Gefährdungsanzeigen. "Im Jahr 2011 hatten wir 30 Anzeigen, im Jahr 2012 waren es 400", sagt Wolfgang Werner, Mitarbeitervertreter der vier kirchlichen Krankenhäuser.

Die angespannte Lage gilt genauso für die übrigen Krankenhäuser in Hamburg. "In der Asklepios Klinik in Wandsbek hat sich die Zahl der Gefährdungsanzeigen der Mitarbeiter verdoppelt", sagt Betriebsrätin Angela Biehl-Scharnhop. "Von 400 in 2011 auf 800 in 2012." Eine typische Gefährdungsanzeige schildert folgende Pflegesituation in einer Nacht in einem Hamburger Krankenhaus. "Es mussten zwölf Patienten regelmäßig gelagert werden. Ein Teil von ihnen hatte bereits die eine oder andere Druckstelle, alle weiteren waren akut gefährdet. Sechs Patienten benötigten Hilfe bei der Mobilisation zur Toilette. Vier litten unter einer Demenz, die sich zum Teil in erheblicher Unruhe äußerte. Dazu ein Papa einer vierjährigen Tochter, der mit der Betreuung völlig überfordert war und alle halbe Stunde vor dem Stationszimmer stand. Zwei Patienten mit akuten Durchfällen. Eine Frau mit Übelkeit und Erbrechen. Mehrere Patienten mit nächtlicher Medikamentengabe, zwei mit akuten Temperaturen." Der Mitarbeiter schreibt weiter von "Chaos" und "Lagerungen, die nicht eingehalten werden konnten", von "Medikamenten, die mit Verspätung verabreicht wurden" und einer "Dokumentation, die zeitnah praktisch unmöglich war und im Nachhinein Lücken aufwies". Außerdem konnten "Hygienestandards nicht eingehalten werden" und "Notfälle wie der Sturz einer Patientin aus ihrem Bett wurden nicht erkannt". Schließlich gipfelte die Situation darin, "dass ich mich bei dem Gedanken ertappte, bei dem ein oder anderen Patienten nicht mehr unter die Decke zu gucken, ob dieser wieder abgeführt oder eingenässt hat, weil sich dadurch eine weitere Aufgabe ergeben hätte, die zeitlich nicht zu bewältigen war".

Die Arbeitssituation sei extrem belastend und die Situation bereits "fünf nach zwölf", berichteten die Mitarbeitervertreter der Hamburger Krankenhäuser, die mit der Aktionswoche "Der Druck muss raus" ein Zeichen setzen wollen. Die Folgen der Belastung: ständige Hetze und Angst, dass Fehler unterlaufen sowie Gefährdung der Patientenversorgung und Überstunden. Bei einer 39-Stunden-Woche liegt der Monatsverdienst einer Krankenschwester mit Berufserfahrung bei etwa 2500 Euro brutto. Mit drei Forderungen will Ver.di der Politik Druck machen. "Wir brauchen eine gesetzlich geregelte Personalbemessung", sagt Stein. Außerdem fordert Ver.di einen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz und eine Krankenhausfinanzierung, die sich nach dem Bedarf richtet.