Verbandschef Westhagemann sieht Windkraft als Wachstumstreiber an der Küste. Schwächere Konjunktur trübt Aussichten für 2013.

Hamburg. Der Umbau der Energieversorgung könnte für die Hamburger Industrie in den kommenden Jahren zu einem wichtigen Wachstumstreiber werden, vor allem der Ausbau der Windkraft in Norddeutschland. "Ich glaube, und ich arbeite dafür, dass wir mit der Energiewende im Norden auch noch einmal einen neuen industriellen Schub in der Region erleben werden", sagte Michael Westhagemann, Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg (IVH), dem Abendblatt.

"Hamburg hat mit seiner zentralen Lage an der Küste alle Voraussetzungen, vor allem vom Ausbau der Offshore-Windkraft zu profitieren, und zwar im Verbund und in Ergänzung mit und zu anderen Hafenstädten in Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein." Westhagemann leitet im Hauptberuf die Siemens-Niederlassung für Norddeutschland mit Sitz in Hamburg, die international stark im Geschäft mit Windkraft engagiert ist.

Hamburgs Industrie hat sich laut IVH in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Derzeit gibt es in der Hansestadt rund 600 Industrieunternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten. Insgesamt 120.000 Menschen, jeder sechste sozialversicherungspflichtige Hamburger, arbeitet in der Industrie. Der Wirtschaftszweig hatte im Jahr 2011 rund 86 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, gut 16 Prozent mehr als 2010. "Für 2012 erwarte ich ein Umsatzwachstum von voraussichtlich fünf Prozent, wie es die Zahlen zum dritten Quartal gegenüber dem Vorjahr auch schon ausweisen", so Westhagemann.

Das kommende Jahr dürfte schwieriger werden: "Für die erste Hälfte 2013 werden sich die konjunkturellen Aussichten für die Hamburger Industrie, unter anderem auch wegen der Investitionsrückgänge in Südeuropa, insgesamt eintrüben", sagte Westhagemann. "Allerdings bedeutet das für weite Teile unserer Branche Stagnation auf hohem Niveau. Für die zweite Jahreshälfte 2013 erwarte ich eine Aufhellung der Konjunktur", sagte der IVH-Vorsitzende. Positiv wertet er den stabilen Arbeitsmarkt in der Region. "Das gilt auch für 2013. Unsere Unternehmen bemühen sich nach wie vor darum, Fachkräfte für unbesetzte Stellen zu gewinnen."

Die starke Position der deutschen Industrie im weltweiten Exportgeschäft hat im laufenden Jahr wesentlich dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt wächst. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) war zuletzt auf 23 Prozent sogar wieder leicht gestiegen. Das ist der höchste Wert im Vergleich der führenden europäischen Volkswirtschaften. Generell geht der Industrieanteil an der Wertschöpfung vieler etablierter Wirtschaftsnationen eher zurück.

In Hamburg liegt der Anteil der Industrie an der gesamten Wirtschaftsleistung derzeit bei etwa 16 Prozent. Bei einer Rede vor dem Industrieverband Hamburg hob Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kürzlich die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes für die Hansestadt hervor. "Wenn es heißt, die Industrie ist wieder da, sage ich: Sie war nie weg. Für Hamburg, einen der bedeutendsten Industriestandorte Europas, gilt das in besonderem Maße. Unsere Stadt verfügt über einen gesunden Branchenmix, insbesondere aber über starke Industrieunternehmen."

Das wichtigste Industrieunternehmen in der Hansestadt ist der Flugzeughersteller Airbus, der eine Vielzahl von Zuliefer- und Entwicklungsunternehmen in der Region bindet. Aber auch die Automobilindustrie ist - mit Fabriken von Daimler und von Continental - in der Stadt vertreten, Ebenso der Schiffbau mit Blohm + Voss, Sietas und Norderwerft wie auch die Grundstoffindustrie mit Unternehmen wie Aurubis (Kupfer), Trimet (Aluminium) oder Arcelor Mittal (Stahl). Besonders stark wuchs in den vergangenen Jahren die Windkraftbranche in Hamburg, mit Repower Systems, Nordex, Siemens und Vertretungen und Forschungseinrichtungen anderer führender Hersteller wie General Electric.

Der Umbau der Energieversorgung in Deutschland und anderen Ländern Europas ist für die norddeutsche und die nationale Industrie ein zentrales Thema. Zum einen werden hoch leistungsfähige Anlagen und Infrastrukturen gebraucht, die - vor allem beim Einsatz auf dem Meer - starken Belastungen standhalten müssen. Zugleich streiten Politik und Wirtschaft aber auch heftig darüber, wie ein Übergang von Atomkraft und fossilen Kraftwerken zu einem Mix aus Wind-, Sonnenstrom und Biomasse zu vertretbaren Kosten und Bedingungen organisiert werden kann. Insbesondere der Ausbau der Offshore-Windkraft auf der deutschen Nordsee stockt derzeit wegen hoher Finanzierungs- und Haftungsrisiken.

"Wir brauchen bei der Energiewende eine Allianz der Vernunft", sagte Westhagemann. "Die Befreiung energieintensiver Unternehmen gerade in der Grundstoffwirtschaft muss erhalten bleiben. In den USA werden derzeit enorme zusätzliche Ressourcen von Erdöl und Erdgas erschlossen. Das heizt den Standortwettbewerb um energieintensive Unternehmen in den kommenden Jahren deutlich an."

Der IVH-Vorsitzende warb zugleich dafür, die Kooperation der norddeutschen Länder zu verstärken, um rechtliche und wirtschaftliche Hürden für die Energiewende aus dem Weg zu räumen. "Die Küstenländer können industriell umso mehr von der Energiewende profitieren, je enger sie hierbei zusammenarbeiten. Für Zulieferunternehmen zum Beispiel bei der Offshore-Windkraft wird die Küstenregion immer attraktiver", sagte Westhagemann.

Insgesamt sieht der Industriemanager für die Hamburger Industrie in den kommenden Jahren sehr gute Perspektiven: "Hamburg hat eine geradezu ideale Standortvoraussetzung, weil alle wichtigen Cluster der Stadt - Luftfahrt, maritime Wirtschaft, Logistik und Windkraft - beim Umbau der Energiesysteme miteinander arbeiten und voneinander profitieren können. Es wird in den kommenden Jahren bei diesem Thema auch eine deutlich engere Kooperation von Unternehmen und Hochschulen in Hamburg geben."

Der zunehmende Mangel an Nachwuchs und Fachkräften indes besorgt Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Bürgermeister Scholz hatte vor dem Industrieverband darauf hingewiesen, dass der Zugang junger Menschen vor allem mit Hauptschul- und Realschulabschluss in die berufliche Ausbildung unzureichend sei. "Von den 5307 Hamburger Jugendlichen, die in diesem Sommer die Abschlussklassen 9 und 10 absolviert und die Schule verlassen haben, konnten nur ganze 17 Prozent einen beruflichen Ausbildungsplatz ergattern", sagte Scholz. "Damit können wir uns alle zusammen überhaupt nicht zufrieden geben. Das duale Ausbildungssystem funktioniert bestens - für diejenigen, die erst mal drin sind."

IVH-Chef Westhagemann sagte, die Industrie in Hamburg wolle das Problem angehen: "Wir werden künftig noch intensiver um Nachwuchs für die regionale Industrie werben und junge Menschen in ihrem Ausbildungsweg beraten." Mit der klassischen Lehre erhielten junge Menschen ein Fundament für den Einstieg in das Berufsleben. Daran anschließend gebe es die Möglichkeit, ein Studium mit Abschluss zum Bachelor und Master zu absolvieren, auch als duales, berufsbegleitendes Studium. "Die Unternehmen der regionalen Industrie haben auf diesem Weg viele Ansatzpunkte, um den Nachwuchs zu umwerben", sagte der Siemens-Manager. "Einen Fachkräftemangel in der Industrie können wir uns nicht erlauben."