Stephan Reifenrath will die Rialto-Lichtspiele wiedereröffnen - nach 30 Jahren, in denen das Haus morbiden Charme angesetzt hat.

Hamburg. Die Magie, von der Stephan Reifenrath eben noch erzählt hat, ist erst mal ein dunkles, schwarzes Nichts. Unter den Füßen knirscht morsches Holz, Spinnenweben hängen an den Wänden, muffige Kellerluft kriecht in die Nase. Kein Zweifel: Die Hütte ist ziemlich heruntergerockt.

Doch werfen die bunten 70er-Jahre-Funzeln erst ihr schummriges Licht in den Raum, zeigen sich die schweren, roten Samtvorhänge, kommen die durchnummerierten Kinositze zum Vorschein, offenbart sich so etwas wie ein Geheimnis. Gut möglich, dass noch irgendwo Kaugummi in der Stuhlritze klebt. Sehr altes Popcorn. Knapp 30 Jahre sind die Türen der Rialto Lichtspiele nämlich schon verschlossen, liegt das Wilhelmsburger Kino schon im Dornröschenschlaf. Aber jetzt soll es wachgeküsst werden, und der Prinz in dieser Geschichte ist Stephan Reifenrath. Er sagt: "Das Haus! It's magic!"

Der Unternehmer und sein Partner Christian Steinberg haben den markanten Flachbau am Vogelhüttendeich 30 gekauft. Ein Lichtspielhaus alter Schule: geflieste Fassade, charakteristische Leuchtreklame, zurückliegende Eingangstür. Kino wie früher. Wo gibt es so was noch in Hamburg? Im Holi an der Schlankreye vielleicht oder in den letzten Tagen des Streit's am Jungfernstieg. Und bald auch wieder in Wilhelmsburg. Die zwei Unternehmer wollen dem Stadtteil sein Kino zurückgeben. Erst mal für eine Saison. Für mehr reicht das Geld nicht. Aber immerhin, im Mai 2013 - pünktlich zu Internationaler Gartenschau und Bauausstellung - soll es Theater, Konzerte und Lesungen im Saal geben. Und Filme.

Seit 2007 lebt Stephan Reifenrath, der hauptberuflich intelligente Häuser plant, in Wilhelmsburg. "Nach 15 Jahren in Eppendorf habe ich hier etwas weniger Etabliertes gesucht." Und gefunden. In einem Hinterhof um die Ecke baute er eine alte Klempnerei aus, zog in die Werkstatt - und ging täglich am alten Rialto vorbei. "Da habe ich schon gedacht: Irgendwann kaufst du das Haus. Das ist genau dein Ding." Der 45-Jährige ist kein besonderer Cineast, aber er hat etwas über für Vergessenes, für alte Sachen, die irgendwie Potenzial haben. "Und beim Rialto steh ich total auf den morbiden Charme, dieses geheimnisvolle Cinema-Paradisohafte." Sein Kopfkino sei sofort angesprungen. Er, das Haus, die Möglichkeiten. "ich schätze mal, Ruinen sind meine Leidenschaft."

Von acht Kinos, die es in all den Jahren auf der Elbinsel gab, war das Rialto das letzte, das geschlossen hat. 335 Sitzplätze gab es unter der gewölbten Saaldecke, 1956 wurde für Cinemascope umgebaut. Nach Stepahn Reifenraths Informationen sei 1985 der Kinobetrieb aufgegeben worden, andere Quellen reichen bis ins Jahr 1990. Wie dem auch sei: Seitdem gibt es nur noch die Insel-Lichtspiele in Wilhelmsburg, ein mobiler Kinoverein.

Nun soll im bröckelnden Kino im gern nach oben geschriebenen Reiherstiegviertel der Wilhelmsburger Kultursommer ausgerufen werden. "Wenn Bauausstellung und Gartenschau ein Licht auf den Stadtteil werfen, möchten wir das kulturelle Angebot erweitern", sagt Reifenrath. "Und ein Vakuum im Stadtteil füllen." Passenderweise können 100 Jahre Rialto gefeiert werden, 1913 wurde das Haus gebaut.

Etwa 70.000 Euro und viel ehrenamtliche Hilfe seien dafür nötig. Zimmermänner und Architekten haben schon ihr Mitwirken angekündigt, dennoch werden weitere Helfer gesucht, vor allem, um Verkehrssicherheit für den Sommer herzustellen. Heizung und komfortable Infrastruktur gebe es nicht. Das Gebäude hat nicht nur Charme, es wurde auch fast 30 Jahre sich selbst überlassen. Moos wälzt sich über das Dach, daneben gedeiht eine Birke, es regnet rein, der Saalboden hat esstischgroße Löcher, im Vorführraum klebt Taubenkot. Viel Arbeit.

"Im Großen und Ganzen ist das Haus aber super", sagt Reifenrath. "Eines der letzten Wilhelmsburger Originale." Gewissermaßen mit Haltung. Wie die Soul-Kitchen-Halle. Voller Details: Die Pop-Art-Beleuchtung an der Wand. Oder der Eingangsbereich, in dem man sich in den 80ern wähnt. Als wäre das Kino eben erst verlassen worden. Hinter Glasscheiben und Messingoptik befinden sich Kassenhäuschen und Minikiosk. Auf dem Tisch: alte Filmrollen. Auch ein Softporno. Liebenswert ranzig das Ganze.

Viele Geschichten rankten sich zwischenzeitlich um das alte Kino. Keiner habe gewusst, wie es drinnen wirklich aussieht, sagt Reifenrath. "Es wurde jahrelang als Lager benutzt." 150 Tonnen Material mussten herausgeschafft werden. Vor allem gehortetes Werkzeug. Bohrer, Bolzenschneider, Schleifmaschinen. Und ein alter Alfa Romeo. Die vorderen Sitzreihen im Parkett wurden komplett rausgerissen.

Um das Kino dauerhaft wieder zu betreiben, so schätzt Reifenrath, wären 500 000 Euro nötig. Minimum. Geld, das er nicht hat. Aber Enthusiasmus ist ja auch erst mal viel wichtiger.