Mit Dirk Lau, dem Experten des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, hat Abendblatt-Reporter Axel Tiedemann eine Tour gemacht.

Hamburg. Elbe-Fernradweg steht auf einem kleinen Schildchen, Northsea-Cycle-Route heißt es sehr international auf einem zweiten darüber. Ohne Zweifel, hier an diesem kleinen Laternenpfahl am Museumshafen Neumühlen zeigt sich Hamburg als Teil einer großen Radfahrer-Gemeinde. Der Weg verbindet die Hansestadt mit vielen Städten Nordeuropas, er könnte auch für den täglichen Pendlerverkehr eine schnelle Radverbindung darstellen, immer entlang der Elbe. Zügig von West nach Ost und zurück. So wie in Kopenhagen auf den neuen Fahrrad-Pendlerrouten, die von außen in die dänische Metropole führen. Zehn und mehr Kilometer lang sind sie - so etwas wie Autobahnen für Radler. Grüne Welle bei Tempo 20 erwartet sie dort.

In Hamburg erwarten die Radler am Fernradweg Verbotsschilder und übles Kopfsteinpflaster. "Dort könnten wir uns am besten treffen", hatte Fahrradexperte Dirk Lau vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) am Telefon als Startpunkt für einen Radwegtest vorgeschlagen. Bei einer Fragebogenumfrage hatten vor wenigen Tagen Hunderte von Abendblatt-Lesern bessere Radwege gefordert, eine Mehrheit wollte sogar Autos aus der City verbannen. Das Rad erobert die Stadt - ohne dass die Politik es richtig bemerkt.

Während der Stadtverkehr mit Pkw laut Verkehrsbehörde sogar leicht rückläufig ist, hat sich der Anteil der per Rad zurückgelegten Wege von neun auf zwölf Prozent binnen weniger Jahre erhöht. "Aber als vollwertiges Verkehrsmittel für den Alltag ist das Rad in den Köpfen der Planer noch nicht angekommen", sagt Lau. Nicht wegen der Verkehrspolitik in Hamburg würden immer mehr Menschen aufs Rad umsteigen, sagt er, sondern "trotz dieser Politik". Wie es für Alltagsradler tatsächlich aussieht in der Hamburger Innenstadt, das wollen wir bei einer Rundtour zu neuralgischen Punkten erfahren. Mit Rad und bei Nieselregen.

Etwa 50 Meter hinter dem Hinweisschild zum Fernradweg warnen am Strand von Övelgönne schon gleich große Schilder vor der Weiterfahrt. "Absteigen", heißt es dort für Radler, die berüchtigte "Schieb-Strecke" von gut einem Kilometer erwartet sie hier und keine grüne Welle wie in Kopenhagen. Wir drehen um und versuchen an der Seniorenresidenz Augustinum den Fernradweg in die andere Richtung: Führt er auf der Straße rechts vorbei oder auf Kopfsteinpflaster an der Wasserseite? Selbst Radexperte Lau weiß es nicht genau. Schilder finden wir auch nicht. Also mit kleinen Schlenkern weiter Richtung Fischmarkt. Dort, auf der Großen Elbstraße, ist Hamburg für Radfahrer so geeignet wie Teheran für eine Christopher-Street-Day-Parade. Zentimeterhohes Knüppelpflaster macht die Fahrt zur Tortur, immer wieder sind Fugen so tief, dass der schmale Reifen stockt. Am Ende dieser Holperpiste stehen wir vor einer Entscheidung: Entweder rollen wir auf der breiten Elb-Promenade zu den Landungsbrücken und fahren dabei eine Art Touristen-Slalom. Oder wir reihen uns in den Verkehr, der unterhalb an den Hafenstraßenhäusern dahinbraust.

Der ADFC propagiert dieses Fahren auf der Straße. Fahrräder seien Fahrzeuge und gehörten damit auf die Fahrbahn wie Autos, so das Argument. "Das ist einfach sicherer", sagt Radexperte Lau. Alle Statistiken würden das belegen. In 65 Prozent aller Unfälle zwischen Auto und Rad sind demnach Radfahrer die Opfer. Und meist werden sie beim Abbiegen oder Hinausfahren aus einer Ausfahrt übersehen, weil die Radwege für Autofahrer oft aus dem Blickfeld hinter Büschen verschwinden. Auf der Straße werde man gesehen, und das sei am sichersten, sagt Lau.

Statistisch mag das so sein, gefühlt aber oft nicht: Kaum ein Auto hält den Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern ein. Dicht preschen die großen Blechkisten vorbei, im Windstrahl sprüht die Regennässe hoch. Ein Gefühl, als würde man von hinten bombardiert. Jetzt nur keine falsche Lenkerbewegung, etwa um einem Schlagloch auszuweichen. Lau spricht vom "subjektiven Sicherheitsgefühl", das durch aggressives Autofahren bedroht sei.

An den Landungsbrücken ist es vorbei mit der Angst im Nacken: Hier gibt es wieder einen Radweg, wie er typisch ist für die Stadt: Ein schmales Band mit roten Steinen führt durch das graue Pflaster des Bürgersteigs. Fußgänger und Radler müssen sich den Platz teilen, was die Fußgänger aber oft nicht bemerken, besonders hier, wo ausgerechnet auch noch die Stadtrundfahrtbusse parken. Man quert und flaniert, und das Radfahren wird so zügig, wie es eine Autofahrt auf der Ludwig-Erhard-Straße wäre, wenn dort Fremdenführer regelmäßig mitten auf der Straße den Touristen den Michel erklären würden. Dabei lässt ein blaues Verkehrsschild mit weißem Fahrradsymbol keinen Ausweg: Hier hat Hamburg eine Radwegbenutzungspflicht angeordnet, auf der Straße dürfen Radler hier nicht fahren. Vorankommen geht anders. "Das ist alles absurd", sagt Lau. Die Radwegbenutzungspflicht hat sein Verein besonders im Visier. Seit 1998 klagen Mitglieder immer wieder gegen die Stadt. Und berufen sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht, das eindeutig festgestellt habe, dass eine solche Benutzungspflicht nur gelten darf, wenn zum einen auf der Straße eine besondere Gefahrenlage nachgewiesen wird für Radler. Und wenn der Radweg auch breit genug und benutzbar ist. Vielfach schon musste Hamburg daher Benutzungspflichten wieder zurücknehmen nach solchen Klagen. Kürzlich mussten die Schilder an der Max-Brauer-Allee weg.

Wir drehen um, überqueren die Straße und fahren die Helgoländer Allee hoch zum Kiez und weiter Richtung Stresemannstraße, wo man trotz Tempo 30 auf dem engen Gehweg radeln muss. Auf dem Weg dorthin können wir oft die großen Straßen benutzen. Bald gewöhnt man sich an das Gefühl, der langsamste Fisch im Strom zu sein - aber mitschwimmen zu dürfen.

Immer wieder erleben wir dabei das gleiche Spiel. Kurz vor den großen Kreuzungen heißt es für Radler oft: Ab auf den schmalen Radweg - Benutzungspflicht! Aus einem verblüffenden Grund, wie Lau sagt. Damit auch Radler solche Kreuzungen ohne Zeitproblem überqueren können, müssten die Ampelschaltungen umprogrammiert werden, was den Behörden offensichtlich zu umständlich erscheint. Das bedeutet: Während für Autofahrer eine Rotphase gilt, bleibt den Radlern nur eine Art Ampelhopsen von zwei, drei Radwegampeln, bis sie in die gleiche Richtung weiterfahren können.

Man steht, wartet geduldig auf Grün - während die Autos Gas geben. Die Stadt, so scheint es, bremst ihre Radler immer wieder aus, statt sie zu fördern. "Manchmal", sagt Radexperte Lau, "macht das Radeln wütend."