Tarzan wird 100 und fasziniert wie eh und je. Als Musicalfigur in Hamburg, als Affenmensch im Comic oder Streiter gegen Umweltkatastrophen.
Er ist stark, er ist schlau, und er sieht auch noch gut aus. Meistens jedenfalls, denn Tarzan hatte schon viele Gesichter. Wir begegnen ihm als Buch oder Comic, im Real- oder Animationsfilm, in der TV-Serie, im Theaterstück, Musical oder im Hör- und Computerspiel. Weil er immer schon erfolgreich war, greift die Werbung gern auf ihn zurück. Sein Erfinder ließ ihn als Warenzeichen schützen. Deshalb gab oder gibt es Tarzan-Benzin, -Unterwäsche, -Grillschürzen, -Eis und -Sportschuhe. Tarzan war der erste Öko-Krieger und ist als Held schier unkaputtbar. Irgendetwas muss dran sein am Lianen-Mann, der sich so gut und lange hält. Kein Wunder, er ist viel in Bewegung und fast immer an der frischen Luft. Am 27. August wird er 100 Jahre alt und kommt gut ohne Rollator voran.
Und wie sieht Tarzan nach Ihren Vorstellungen aus? Trägt er eine lange Rasta-Mähne? Dann haben Sie sich Ihr Bild wahrscheinlich nach dem Protagonisten des "Tarzan"-Musicals gemacht, das seit 2008 in der Neuen Flora in Hamburg gezeigt wird und die Stadt gerade flächendeckend mit seinen urwaldgrünen Plakaten tapeziert. Mehr als zwei Millionen Menschen haben sich seitdem von der abenteuerlichen Show zur Musik von Phil Collins unterhalten lassen. Sieben Erst- und Zweitbesetzungen für die Hauptrolle waren bisher in der Saga mit dem Fremdenverkehrsfaktor aktiv. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.
+++ In München hangelt sich Tarzan durchs Studio - der neueste Film +++
Aber der Anfang steht zum Jubiläum im Fokus, und auch der ist abenteuerlich. Ein Rückblick: Wir schreiben das Jahr 1912. Der Amerikaner Edgar Rice Burroughs hatte vieles probiert, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nachdem er wegen eines Herzfehlers seinen Job bei der US-Kavallerie an den Nagel hängen muss, versucht er es als Goldgräber, Cowboy, Polizist, Hausierer und Bleistiftanspitzerverkäufer. Nichts funktioniert. Als er eines der Pulp-Magazine durchblättert, in denen damals alle möglichen literarischen Geschichten erscheinen, denkt er: Das kann ich auch. Sein erster Versuch als Autor ist "Die Prinzessin vom Mars", die später als Vorlage für den in diesem Jahr im Kino gefloppten Science-Fiction-Film "John Carter" dient. Die Geschichte gefällt dem Verleger so gut, dass er noch mehr bestellt. Burroughs liest Kiplings "Dschungelbuch", Berichte von Afrika-Reisenden, auch etwas Darwin - und hat die Idee zu Abenteuergeschichten im Dschungel. Zantar soll sein Protagonist heißen, aber das gefällt dem Verleger genauso wenig wie Tublat-Zan. Sie einigen sich auf Tarzan, was in der Sprache der Affen (!) angeblich "Weißhaut" bedeuten soll. Die erste Geschichte, "Tarzan of the Apes", erscheint 1912 im "All-Story-Magazine" und zwei Jahre später in Buchform. Sie beginnt so:
"John Clayton oder Lord Greystoke, wie sein Adelstitel lautete, stellte jenen Typ des Engländers dar, der gern als Verkörperung siegreichen Heldentums auf unzähligen historischen Schlachtfeldern angesehen wird - eine kraftvolle männliche Erscheinung, und dies im geistigen, moralischen und physischen Sinn." Beschrieben wird hier natürlich der alte Greystoke, also Tarzans Vater, aber man sieht schon, welche Charaktereigenschaften er an seinen Sohn vererben soll.
Der Kern der Saga nimmt hier seinen Ausgang. Tarzan bleibt als Säugling allein im Urwald zurück, nachdem seine Eltern umgekommen sind. Die Affenfrau Kala findet ihn und zieht ihn auf. Er wird Anführer der Affen, bringt sich selbst Lesen und Schreiben bei und verliebt sich prompt in die erste weiße Frau, die er trifft: Jane.
Bis zu 60 000 Dollar muss man heute für eine Erstausgabe bezahlen. Der Verlag Walde+Graf hat die Geschichte gerade in einer schönen Neuauflage mit zwei weiteren Abenteuern im Schuber herausgebracht. In "Tarzan und die Schiffbrüchigen" muss es unser Held mit Nazis und Mayas aufnehmen, die noch nicht gemerkt haben, dass sie eigentlich schon ausgestorben sind. "Tarzan und der Verrückte" ist ein 1964 posthum veröffentlichtes trashiges Werk.
Burroughs schreibt im Laufe der Zeit 26 Romane mit dem Lendenschurzträger. Kritiker werfen ihm Rassismus in der Darstellung der Afrikaner vor, aber das Publikum liebt seine Geschichten. Die Auflage liegt bei etwa 15 Millionen Exemplaren. Der Autor stirbt 1950 als reicher Geschäftsmann. Bestattet ist er auf seiner Ranch in der Nähe von Los Angeles, die natürlich Tarzana heißt. Hier residiert bis heute die Stiftung Edgar Rice Burroughs Inc., die immer noch die Rechte des Autors verwaltet. Burroughs hilft damals kleinen Farmern in der Umgebung. Auch deshalb benennen die Bewohner Ende der 20er-Jahre die ganze Stadt in Tarzana um.
Aber Bücher sind nur eins der Standbeine des "Tarzan"-Imperiums. Manche Menschen lesen lieber Comics. In "Tarzan im Tal der Riesen", erschienen 1972 im Aachener Bildschriftenverlag, kämpft Tarzan mit einem Warzenschwein, dem kleinwüchsigen Schurken Kalban Martius und dem Riesengorilla Buhl-gan. Er schwingt und springt und schneidet - Tierfreunde mögen bitte diese Stelle überlesen - einem Nashorn, das er erlegt hat, die Füße ab, die er anschließend an seinen eigenen Händen und Füßen befestigt, um seine Verfolger durch falsche Spuren zu verwirren. Das Comic-Heft geht auf ein Original von Burne Hogarth zurück, der den Dschungelmenschen von 1937 bis 1950 Form und Farbe gab. Wegen seines dynamischen Stils gilt er als der beste Tarzan-Zeichner. Auf dem wahrscheinlich später entstandenen Titel ballt der Protagonist seinen Bizeps und zeigt sein Sixpack. Ansonsten sieht der Mann in der roten Hose ein bisschen wie der junge Elvis aus. Jede Zeit bekommt offenbar den Tarzan, den sie verdient.
Manche Leute gehen lieber ins Kino, als Bücher oder Comics zu lesen. Das noch junge Filmmedium wird schnell auf den Urwaldhelden aufmerksam und machte ihn noch populärer. Fast 50 Kinofilme sind bis heute entstanden. Der erste Kino-Tarzan hieß Elmo Lincoln. Er erscheint 1918 auf der Leinwand - in ein hässliches dickes Raubtierfell gewickelt und mit einem mehrfach um den Körper geschlungenen Seil. Und bleibt mangels Tontechnik noch stumm. Guy Deluchey erzählt im Buch "Ich, Tarzan" Lincolns Geschichte und die teilweise recht kuriosen von 16 weiteren Tarzan-Schauspielern.
Der erste Tonfilm-Tarzan ist mit einem der populärsten Darsteller dieser Rolle überhaupt besetzt. Olympia-Schwimmer Johnny Weissmüller und Maureen O'Sullivan überzeugen in "Tarzan, der Affenmensch" als charmant-naives Paar. Erstmals ertönt auch der Tarzan-Schrei, angeblich eine Mischung aus Hyänen- und Kamellauten, dem Ton einer gezupften Violinensaite und dem hohen E einer Sopranistin. Noch heute ist dieser Film so populär, dass er in der Zentralbibliothek der Bücherhallen in diesem Jahr schon 25-mal als DVD ausgeliehen wurde. Weissmuller hat Tarzan 16 Jahre lang und in zwölf Filmen gespielt. Ähnlich beliebt folgen nur noch Lex Barker und Christophe Lambert.
Aber es geht auch anders. Auf der DVD-Hülle der Verfilmung aus dem Jahr 1981 sieht man gar keinen Tarzan, sondern nur Jane, gespielt von Bo Derek, der Frau des Regisseurs. Darunter steht der Slogan "Die aufregendste Frau unserer Epoche im erotischsten Abenteuer aller Zeiten". Tarzan, eigentlich ja der Held und verkörpert vom athletischen Diplom-Psychologen und Football-Spieler Miles O'Keeffe, verkommt in diesem Film zum Nebendarsteller mit erotischer Deko-Funktion.
Aber das Ende der Schlingpflanze ist noch nicht erreicht. In München entsteht gerade ein neuer "Tarzan"-Film (siehe Extratext). Und der britische Autor Andy Briggs hat mit "The Greystoke Legacy" und "The Jungle Warrior" zwei neue "Tarzan"-Romane geschrieben, in dem er die Protagonisten einer Frischzellenkur unterzogen hat. Jane hat darin längst einen iPod, und Tarzan kämpft gegen die Umweltkatastrophe. "Für mich war der frühe Tarzan die Gelegenheit, der grauen Stadt zu entkommen, in der ich lebte", sagte der aus Liverpool stammende Briggs dem Abendblatt. "Jetzt möchte ich den Charakter einer neuen Generation vorstellen und den Fans, die ihn schon kennen, etwas Neues anbieten." Seine Geschichten spielen im gegenwärtigen Kongo. Es geht auch um illegalen Tierhandel. "Ich wollte nicht, dass Tarzan, wie bei Burroughs, ein Auto durch einen Waldbrand bei Baltimore steuert, um Jane zu retten. Mein Tarzan soll im Dschungel verwurzelt, sehr viel ungezähmter und unzivilisierter sein."
Der Mensch, auf sich allein gestellt in der Wildnis, das ist eine archaische Situation, in die sich viele gedanklich versetzen können: mit Athletik, List und kämpferischer Tücke Tiere oder gefährliche Schurken zur Strecke zu bringen und nebenbei ab und zu eine schöne Frau zu retten und beinahe schwach zu werden. Das klingt nach einem erfüllten Arbeitsalltag - und bietet nicht immer ganz ernst gemeinte Unterhaltung. Letztlich ist es ein 100 Jahre altes Erfolgskonzept, dessen unterschiedliche Erscheinungsformen den Zeitgeist spiegeln. Filmkritiker Georg Seeßlen hat darin grundsätzliche Fragen entdeckt, die aber unbeantwortet bleiben. "Deshalb muss Tarzan immer weitererzählt und immer wieder neu erfunden werden. Die letzten Jahre haben ihn furchtbar gesoftet: diese Mischung aus Greenpeace-Aktivist und Unterhosenmodel, nicht auszuhalten!"
Zum Schluss muss noch mit der biologischen Ungenauigkeit aufgeräumt werden, dass Tarzan sich an Lianen durch den Urwald gehangelt hat. Die Kletterpflanzen sind im Boden verwurzelt und wachsen nach oben. Sie verholzen schnell und eignen sich dann bestenfalls noch als Leiter. Ganz aus der Luft gegriffen ist dieser Aspekt dennoch nicht, denn auf vielen Urwald-Bäumen wachsen Hemi-Epiphyten, sogenannte Aufsitzerpflanzen. Sie bilden Luftwurzeln, die von oben nach unten wachsen und erst Wurzeln schlagen, wenn sie den Boden erreicht haben. Sie könnten einen Menschen tragen. Die bekannteren pflanzlichen Hangelgirlanden sind eine Erfindung der Film-Industrie, bei Burroughs war Tarzan eher eine Art früher Parkour-Künstler. Aber natürlich sind Lianen wegen ihrer sexuellen Konnotation sehr einprägsam, und es klingt einfach besser und sinnlicher, wenn Tarzan Jane auffordert: "Komm an meine Liane!" als wenn er rufen würde: "Komm an meinen Hemi-Epiphyt!"
Edgar Rice Burroughs. "Tarzan". Walde+Graf. 3 Bände, 500 Seiten. 26,95 Euro; Guy Deluchey. "Ich, Tarzan. Wie er wurde, was er ist". Knesebeck Verlag, 285 Seiten. 39,95 Euro