Shell baut Entwicklung von Fahrzeugkraftstoffen und Herstellung für den Motorsport in Harburg weiter aus. Standort wächst auf 300 Mitarbeiter.

Hamburg. Der Fahrer startet die Maschine, legt den Gang ein und gibt Gas. Schnell schaltet er die Getriebestufen der Ducati vom Typ 1098 S durch. Der Motor arbeitet mit löwenartigem Gebrüll. In der Anzeige des Kontrollmonitors erscheint eine Leistung von 160 PS bei 9700 Umdrehungen und eine Geschwindigkeit von 265 Kilometern in der Stunde. Doch das Motorrad bewegt sich keinen Zentimeter voran. Der Reifen des Hinterrades gibt die gewaltige Kraft des Rennmotors auf eine Walze ab, die den Widerstand einer Straße simuliert. Die Ducati, die der Fahrer jetzt wieder herunterdreht und abschaltet, steht auf einem Teststand im Shell-Entwicklungszentrum in Harburg.

Das Geschäft, das die Techniker und Ingenieure hier betreiben, läuft in jeder Hinsicht hochtourig. Motoren aus Rennwagen und Motorrädern werden in der weitläufigen Anlage getestet, aber auch Antriebe für Lastwagen oder Schiffsaggregate und Getriebe aller Art. Der Horizont für die Testreihen mit den Maschinen und Komponenten ist meist derselbe: Die Shell-Mitarbeiter wollen Höchstleistung, und das mitunter wochenlang am Stück. "Riesige Muldenlader, wie sie etwa im Erzbergbau eingesetzt werden, fahren mit 1000 Liter Getriebeöl mehrere Tausend Betriebsstunden. Bei einem Rennauto sind es wenige Liter, und die müssen genau ein Rennen lang halten", sagt der Ingenieur Wolfgang Warnecke, 56, der Geschäftsführer des Labors. "Wir entwickeln solche Öle so exakt wie möglich für die jeweilige Anforderung. Mit unseren Testreihen und Analysen bekommen wir die Erkenntnisse, was wir dafür brauchen."

+++ Vollgas aus Harburg +++

Jeder Motor, jedes Getriebe für Serienfahrzeuge wird heutzutage in der Regel von den Automobilherstellern gemeinsam mit den Anbietern von Schmierstoffen konzipiert. Die Ingenieure auf beiden Seiten synchronisieren die Abstimmung von Antrieben und Betriebsstoffen, um die Leistung zu steigern und den Verschleiß zu minimieren. Bei Serienfahrzeugen ist das bereits eine hochkomplexer Angelegenheit. Bei Rennmotoren etwa für die Formel 1 gleicht es einer Wissenschaft. Im Motorsport werden nicht nur die Öle, sondern auch die Kraftstoffe exakt auf jede einzelne Maschine abgestimmt - nach einem genauen Reglement, das Veranstalter wie der Weltautomobilverband FIA im Detail vorgeben. "Es ist ziemlich schwierig, immer exakt denselben Kraftstoff herzustellen. Im Motorsport herrscht ein immenser Leistungsdruck. Und die Inhaltsstoffe werden analog zum Regelwerk genau überwacht - das ist wie eine Dopingkontrolle bei den Athleten im Radsport oder in der Leichtathletik", sagt Warnecke in einem der Labors. Auf den Arbeitsflächen stehen Dutzende Glasflaschen, die Komponenten für geheime Mixturen von Rennkraftstoffen enthalten, etwa Butan, Alkylat, Isomerat, Reformate, Butylmethylether. Mehrere Hundert chemische Zutaten stecken im Sprit für Rennautos. Und natürlich auch Benzin.

Warnecke ist weltweit einer der erfahrensten Entwickler für Kraft- und Schmierstoffe. Bei Shell arbeitet der promovierte Ingenieur unter dem Titel "Chief Scientist Mobility" als leitender Experte in der globalen Organisation des Energiekonzerns, der insgesamt 90.000 Menschen in 80 Ländern beschäftigt. Das Hamburger Entwicklungszentrum am Hafenrand in Harburg wird im laufenden Jahr stark aufgewertet. Bis zum Jahresende schließt Shell seinen Forschungsstandort im englischen Thornton. Damit steigt Hamburg zum internationalen Kompetenzzentrum des Konzerns für das gesamte Themenfeld der Landfahrzeuge wie auch für Schiffsantriebe auf.

+++ Shell baut Forschungszentrum aus +++

Neben den Aufgaben bei der Entwicklung von Ölen und Kraftstoffen wird künftig auch die gesamte Spritproduktion von Shell für den Motorsport in Hamburg konzentriert. Die Zahl der Mitarbeiter soll von 230 auf rund 300 steigen. "Wir suchen Ingenieure, aber vor allem auch gute Techniker wie etwa Mechatroniker", sagt Warnecke.

Zwischen den Gebäuden steht ein Stapel mit roten Fässern, jedes hat 50 Liter Volumen. Daneben ragen Leitungskonstruktionen aus dem Boden. Hier werden Sonderkraftstoffe gemischt, für Testzwecke in der Autoindustrie, und als Sprit für große Rennen auf der ganzen Welt, sei es in der Formel 1 oder für die berühmten 24 Stunden von Le Mans. Ferrari bekommt von Shell seinen gesamten Rennkraftstoff. Auch andere Teams, deren Namen Shell nicht nennt, fahren mit Ferrari-Motoren, in den vergangenen Jahren waren das Sauber und Toro Rosso. Am Sonntag wird wieder einiges an Sprit gebraucht, beim Großen Preis von Deutschland der Formel 1 auf dem Hockenheimring (siehe Seite 29). "Das Benzin dafür ist längst vor Ort", sagt Jens Strunk, 45, der zuständige Manager.

Seit Jahrzehnten arbeitet Shell im Motorsport und auch bei Entwicklungen von Straßenfahrzeuge eng mit Ferrari zusammen. Seit einigen Jahren zählt auch die italienische Motorradedelmarke Ducati, die mittlerweile zur Volkswagen-Tochter Audi gehört, zum Kreis der Shell-Partner. Für den Energiekonzern ergeben sich aus solchen Kooperationen Wechselwirkungen in beide Richtungen. "Wir haben das Benzin V-Power in den 1990er-Jahren, abgeleitet aus dem Motorsport, an unsere Tankstellen gebracht", sagt Warnecke. "Umgekehrt bekommen wir mit V-Power aus dem Straßenverkehr nun permanent Erkenntnisse, die in die Entwicklung von Rennkraftstoffen einfließen."

Das gilt auch für die Erforschung und Verbesserung von Biokraftstoffen. Mit dem sächsischen Unternehmen Choren Industries, an dem der Konzern beteiligt war, trieb Shell einige Jahre lang die Arbeit an Biokraftstoffen der zweiten Generation voran. Sie werden in einem komplizierten Raffinierungsprozess aus Holz und Biomassereststoffen gewonnen. Anders als etwa für Ethanol oder Biodiesel braucht man dafür keine Früchte von Agrarpflanzen, es entsteht keine "Konkurrenz zwischen Teller und Tank", zwischen Nahrungs- und Energiewirtschaft.

"Wir haben den Biokraftstoff aus der Testproduktion von Choren zum Beispiel beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans in Dieselfahrzeugen eingesetzt", sagt Warnecke. "Das funktionierte hervorragend." Mittlerweile hat sich Shell bei Choren zurückgezogen: "Im industriellen Maßstab können wir Biosprit der zweiten Generation heute noch nicht wirtschaftlich herstellen", sagt Warnecke. "Aber ich glaube trotzdem fest daran, dass solche Kraftstoffe eine gute Perspektive haben."