Zum 1. Januar 2013 wird der Freihafen in Hamburg aufgelöst. Gut 120 Logistikunternehmen müssen sich auf neue Richtlinien einstellen.

Hamburg. Die Entwicklung des Hamburger Hafens beschert dem Zollexperten Thorsten Porath jede Menge Arbeit. Denn zum 1. Januar 2013 wächst der Hafen gewissermaßen in sich selbst hinein. Zu Beginn des neuen Jahres fällt für mehr als ein Fünftel des Hafengebietes endgültig der Status als sogenannte Freizone. Ein historisches Ereignis: Es endet eine Geschichte von fast 124 Jahren, in denen das Freihafengebiet im Zollrecht quasi wie neutrales Terrain behandelt wurde. Waren, die dort gelagert, be- oder verarbeitet werden, müssen heutzutage erst dann verzollt und versteuert werden, wenn sie das umzäunte Gebiet in Richtung Europäische Union wieder verlassen. Die Zäune und Zollstationen um den Freihafen sind den Hamburgern vertraut.

Experten wie Porath, 41, und dessen Zollagentur Porath Customs Agents sind nun noch stärker gefragt als zuvor. In der noch bestehenden Freihafenzone sitzen rund 120 Unternehmen, die Waren einführen, lagern, verarbeiten. All jene, die ihren Sitz dort behalten, müssen sich auf neue Zollbestimmungen einstellen - auf die gesetzlichen Regelungen, die für jeden sogenannten Seezollhafen in der Europäischen Union gelten. "Die Unternehmen wägen ab, ob sie das Fachwissen für Zollformalitäten im eigenen Haus aufbauen, oder ob sie dafür externe Dienstleister wie unser Unternehmen beauftragen", sagt Porath im Kontorhaus am Windhukkai im Freihafen. Die Zahl der Anfragen für Rat und Tat habe deutlich zugenommen, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Agentur. Zwei der derzeit 41 Mitarbeiter beschäftigen sich bei Porath mit der Betreuung von Zolllagern. Drei weitere Fachkräfte will Porath allein dafür bis Januar einstellen.

+++ Freiheit für den Hafen +++

Für das Abendblatt trafen sich Hamburger Zollexperten bei Porath, um über die Veränderungen des Zollstatuts und über Folgen für die Hafenwirtschaft zu sprechen: Regierungsdirektor Michael Schrader, 49, Leiter des Hauptzollamts Hamburg-Hafen, Rainer Fabian, 45, Geschäftsführer des Terminalbetreibers und Logistikunternehmens C. Steinweg, Rudolf Struß, 55, Zollexperte des Lagerei- und Transportunternehmens Vollers, und der Fachanwalt Kay Uwe Bahnsen, 51, von der Kanzlei Blaum Dettmers Rabstein.

Jahrelang hatten Unternehmen und Verbände in Hamburg mit der Politik um die Zukunft des Freihafens gestritten. Ende 2009 fällte der damalige Senat, getragen von CDU und Grünen, eine Entscheidung und beantragte beim Bund die Aufhebung der Freizone zum 1. Januar 2013. Denn der Sonderstatus erwies sich für Wachstum und Entwicklung des Gesamthafens zunehmend als Hindernis und Anachronismus. Jene Unternehmen, die im Freihafen Waren lagern und bearbeiten, genießen zwar eine Reihe zollrechtlicher Erleichterungen. Zugleich aber wirkt die Sonderzone wie eine logistische Barriere.

Jeder einzelne Container, jede Güterladung muss beim Verlassen des Freihafens an einer der bislang noch neun Zollstationen deklariert werden. Das verursacht einen immensen Mehraufwand an Lastwagenverkehr innerhalb des Hafens, und das angesichts ohnehin schon überlasteter Straßen. "Wir entkoppeln den Warenverkehr und die Zollabfertigung nach dem Ende der Freizone voneinander und senken die Zahl der Lkw-Fahrten in diesem Zusammenhang um rund 90 Prozent", sagt Hauptzollamtsleiter Schrader.

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Aus vielen Gründen hat der Freihafen den größten Teil seiner praktischen, aber auch politischen Vorteile längst verloren. Als die Sonderzone Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, herrschte in Europas Wirtschaft ein starker Protektionismus. Waren aus anderen Ländern, die Konkurrenz für die heimischen Unternehmen bedeuteten, sah man auf eigenem Territorium nur ungern. Mit einer Vielzahl teils hoher Zölle wurde ihr Import erschwert. Weil aber der Warenumschlag im Hafen und die Bearbeitung der Güter das Kerngeschäft der Hamburger Wirtschaft waren, ließ sich die Hansestadt nach ihrem Beitritt zur Zollunion des Deutschen Reiches von der Regierung in Berlin eine Freihafenzone genehmigen. Dazu gehörte für lange Zeit auch die damals neu gebaute Speicherstadt.

Zölle spielen heutzutage im internationalen Warenverkehr nur noch eine relativ geringe Rolle. Vor allem aber wird im Hamburger Hafen der mittlerweile größte Teil der Ware für den Weitertransport in andere Länder der Europäischen Union umgeschlagen. Die Güter bleiben damit innerhalb des gemeinsamen Zollgebietes. "Gemeinschaftsware" heißt dieser Teil des Umschlags. Verändert hat sich der Status des Freihafens aber auch durch die verschärften Sicherheitsanforderungen seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA. Auch die Waren, die zollfrei in der Freizone lagern, müssen inzwischen von den Logistikunternehmen deklariert werden. Die Zeit der weitgehenden Anonymität in den Lagerschuppen ist längst vorbei. "Die Vorteile des Freihafens wurden mit den Jahren immer kleiner", sagt Rainer Fabian von C. Steinweg.

Die Unternehmen, die im bisherigen Freihafen auch künftig Warenverkehr betreiben, müssen sich grundlegend umstellen. Entweder sie zahlen für die Ware beim Import Einfuhrumsatzsteuer und - je nach Rechtslage - Einfuhrzoll. Oder sie richten spezielle Zolllager ein. Dort können sie die Ware ohne Abgaben, aber unter strengen zollrechtlichen Auflagen zwischenlagern. "Wir lagern zu rund 80 Prozent Waren, die nicht für die Einfuhr in die EU bestimmt sind, zum Beispiel Rohkaffee aus dem Börsenhandel", sagt Rudolf Struß von Vollers. "Für solche Waren werden nach dem Ende der Freizone Zolllager gebraucht."

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In jedem Fall müssen sich die Unternehmen auf das neue Zollregime vorbereiten. Wenn ein Lagerbetrieb heutzutage eine Ladung zum Abtransport herausgibt, ist von diesem Zeitpunkt an der Importeur für die Ware verantwortlich. Der Zoll überprüft an der Freihafengrenze, ob die Ware ordnungsgemäß deklariert ist. Künftig sind die Lagerhalter die Importeure und haften damit für die zollrechtlichen Formalitäten. "Wenn ein Unternehmen diese Umstellung nicht beachtet, kann es sehr teuer werden", sagt Anwalt Kay Uwe Bahnsen. Er berichtet von einem Fall, bei dem ein Lagerunternehmen nach der Aufhebung einer anderen deutschen Freihafenzone aus Unkenntnis eine Charge nicht deklariert hatte. Seinerzeit wurden 500 000 Euro Einfuhrumsatzsteuer fällig, die Bahnsen später vom Endabnehmer der Ware in einem anderen Land zurückholen konnte. "Solche Fälle können besonders kleine Unternehmen schnell in den Ruin treiben", sagt er.

Aus Sicht des Zolls bringt das Ende der Freizone vor allem Erleichterungen. Amtsleiter Schrader kann die insgesamt 505 Beamtinnen und Beamten, die in der Zollabfertigung im Hafen tätig sind, künftig bei der Überwachung der Ein- und Ausfuhren konzentrierter einsetzen. Sie kontrollieren die Waren dann nicht mehr vornehmlich an den Zollstationen, sondern an Sammelplätzen bei den Terminals oder zentral per Computer. Nur zwei der bislang neun Zollhöfe bleiben erhalten, die Stationen am Windhukkai und an der Finkenwerder Straße in Waltershof. Der Logistikkonzern HHLA etwa investiert rund fünf Millionen Euro, um die Terminals Burchardkai und Tollerort für die Zollabfertigung vor Ort zu präparieren.

Der Hamburger Zoll habe für eine Million Euro zusätzliche Fahrzeuge und Kommunikationstechnik angeschafft, sagt Schrader. Teile der Einfuhr seien heute schon hoch automatisiert. Am HHLA-Containerterminal Altenwerder, das seit seiner Eröffnung 2002 nie Teil des Freihafens war, sind die Containerbrücken direkt mit dem Zoll verbunden. Sobald der Brückenfahrer einen Container abstellt, geht eine Meldung mit der Containernummer an den Zoll. "Im Regelfall innerhalb einer Minute", sagt Schrader, "bekommt der Importeur seinen Steuerbescheid und damit die Freigabe für den Import."