Mit der roten Linie aus dem Nordwesten an die östliche Stadtgrenze. 25 Stationen in 43 Minuten. Eine Tour mit Promis, Tieren und Überraschungen.

Reisereportagen führen Journalisten meist in ferne Länder. In unserer Serie reicht hingegen ein HVV-Ticket - denn die Reiserouten sind die U- und S-Bahn-Linien der Stadt. Auch dort gibt es viel zu sehen und zu entdecken: kleine Dinge, die wir im Alltag meist nicht beachten; kleine Geschichten aus den Waggons, Haltestellen und Bahnhöfen Hamburgs und seiner Umgebung. Heute: Die U 2

Unterirdische Tour. Könnte man meinen. Und hätte damit sogar recht. Denn die Strecke der U 2 verläuft überwiegend unter der Erde, 22 der insgesamt 25 Bahnhöfe liegen im Dunkeln. Licht am Ende des Tunnels sehen die Reisenden auf dieser Stadtrundfahrt, die im Nordwesten beginnt und an der östlichen Stadtgrenze endet, zum ersten Mal nach knapp fünf Kilometern - zwischen den Haltestellen Hagendeel und Lutterothstraße.

Doch bleibt man nicht 43 Minuten lang sitzen, sondern steigt immer wieder aus, dann bietet sich überirdisch Schönes. Und weniger Schönes. Die U 2 führt einmal quer durch die Großstadt, sie beginnt in der Mitte und führt an den Rand - zu Hamburgern, die sich manchmal an ebendiesen gedrängt fühlen. Bloß weil sie an der Endstation in Mümmelmannsberg leben. Zwischen Start und Ziel dieser Reise liegen 24,3 Kilometer - und Welten.

Start: Niendorf Nord

Weit weg scheint die große, laute Stadt. Beschaulich ist es hier, "wie auf dem Dorf" würde man schreiben, wäre dieser Satz nicht schon ein bisschen überstrapaziert. Moderne, gepflegte Rotklinkerhäuser, Geranien auf Balkonien, ein kleines Einkaufszentrum. Eine Allee, umgeben von Wiesen, führt zum nördlichen Eingang der U-Bahn, das Mahnmal "Tisch mit 12 Stühlen", das an Hamburger Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus erinnert, liegt im kleinen Park am Kurt-Schill-Weg.

Seit 1991 sieht man in Niendorf Nord rot - damals wurde die Haltestelle an das Netz der roten Linie U 2 angebunden. Wenige Fahrgäste steigen an diesem Vormittag ein - es sind vor allem Männer mit Anzug und Aktentasche, die aus der Idylle in den Alltag fahren. Als die Bahn nach etwa 700 Metern zum ersten Mal stoppt, fällt der Blick auf ein Werbeplakat: "Wo du bist, ist Acapulco", heißt es. Das ist insofern nicht ganz richtig, als dass man nicht in Mexiko, sondern an der Haltestelle Schippelsweg ist. Die täuscht allerdings gern andere Örtlichkeiten vor: Die mit weißen Metalltafeln verkleideten Wände zeigen "norddeutsche Szenen", also Bilder der Hallig Hooge oder auch von Curslack. Zurückbleiben, bitte, und nicht verwirren lassen.

Niendorf Markt

Der Bahnhof, der an der Tunnelwand als optisches Highlight eine historische Straßenbahn im Bild zeigt, befindet sich gleich unter der Einkaufsstraße Tibarg. In der Fußgängerzone gibt es alles - Bäckereien, Optiker, Änderungsschneidereien, Supermärkte, Boutiquen. "Man muss nicht in die City, wenn man hier wohnt", sagt der Niendorfer vom Nachbartisch während einer kleinen Kaffeepause. "Nur baulich ist es nicht der Hit." Aber unser Tibarg soll schöner werden, lautet das Motto. 1,75 Millionen Euro investiert der Business Improvement District, ein Zusammenschluss lokaler Geschäftsleute, um die Einkaufsstraße attraktiver zu gestalten. Spätestens Ende des Jahres soll dieses Ziel erreicht sein. Schneller ist ein anderes Ziel erreicht: Das Niendorfer Gehege, mit 142 Hektar das größte Waldgebiet im Bezirk Eimsbüttel, ist ein Paradies für Jogger und Spaziergänger.

Hagenbecks Tierpark

Ein Paradies für Kinder erreichen wir auf dieser Route nach weiteren drei Kilometern. Tierisch viel los ist an dieser Haltestelle, großer Bahnhof für kleine Leute. "Mama, sind da auch Elefanten?", will ein kleiner Junge wissen, der an der Hand seiner Mutter aussteigt. Hagenbecks Tierpark ist ein Besuchermagnet, insbesondere in den Sommerferien. "Wir fahren in diesem Jahr nicht weg", sagt ein Vater aus Altona, der den Rucksack schleppt, während seine vierjährige Tochter Mia ganz viel Aufregung im Gepäck hat. "Wir machen heute eben hier Urlaub." Ein Tag am Eismeer - gerade erst hat das 20 Millionen Euro teure, 8000 Quadratmeter große Zuhause für 103 Tiere eröffnet. Mia und ihr Vater sind gespannt. Doch erst einmal warten sie an der Kasse. Die Familien-Kombikarte (zwei Erwachsene, zwei Kinder für den Tierpark inklusive Tropen-Aquarium) kostet 85 Euro.

Die Wartezeit auf den nächsten U-2-Zug beträgt nur drei Minuten. Dann geht es über die Lutterothstraße an die Osterstraße - durch einen echten "Geisterbahnhof": Die Station Hellkamp, die bis 1964 angesteuert wurde, erkennt der aufmerksame Reisende heute allenfalls noch an einigen alten Kacheln an den Wänden.

Osterstraße

Hier schlägt das Herz von Eimsbüttel: die Osterstraße - mit der architektonisch nicht schönen, aber stark frequentierten Karstadt-Filiale - ist die Hauptschlagader des Viertels. Auf dieser Stadtrundfahrt der perfekte Ort für eine kleine Mittagspause in einem der vielen Cafés und Restaurants. Bequem könnte man auch zu Fuß zur nächsten U-2-Haltestelle an der Emilienstraße spazieren. Zumal der Bahnhof Osterstraße derzeit eine Baustelle ist - bis Sommer 2013 soll er barrierefrei und mit zwei Aufzügen ausgestattet sein. "Längst überfällig", schreibt die Buchhandlung in der Osterstraße, die gleichzeitig bedauert, dass sie ihre Vitrine im Bahnhof wegen der Umbauten aufgeben musste. Schade, denn nirgendwo war Warten spannender als vor diesem liebevoll dekorierten Schaufenster mit den Buchempfehlungen des Monats. So bleibt jetzt mehr Zeit, die Mitreisenden zu beobachten. Ist das nicht ... doch, der Mann mit der Basecap ist Das Bo. Türlich, türlich, sicher, Dicker! Der Musiker ist bekannt geworden mit der Band Fünf Sterne Deluxe und saß als Juror in der Show "X Factor". Jetzt sitzt er in der U 2 - und wird erkannt. "Hallo, Bo", sagt ein junger Fan, "darf ich ein Foto mit dir haben?" Darf er. Kurzer Schnack, herzliche Verabschiedung, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.

Schlump

Dufte Haltestelle. Hatte schon eine Freundin als Tipp mit auf die Reise gegeben: "Ich freue mich immer, wenn ich da in die U 3 umsteigen muss", hatte sie gesagt. "Es riecht dort so gut." Tut es. Liegt an dem "Süßen Pavillon" in der oberirdischen Zugangshalle (Seltenheit im Hamburger U-Bahn-Netz!) mit seiner enormen Auswahl an Gewürzbonbons. Leider gilt das Motto: probieren, aber nicht fotografieren.

+++ U 1: Einmal Großstadt und zurück in 76 Minuten +++

Grundsätzlich stehen die Chancen gut, auf dem Weg zu dieser Haltestelle einen kleinen Mitfahrer zu treffen, der seinen Erziehungsberechtigten erwartungsfroh fragt: "Sind wir jetzt endlich Schlumpf?" Dabei bedeutet der außergewöhnliche Name der Station entweder Schlamm (Niederdeutsch: Slump) oder: glücklicher Zufall (Nordfriesisch: Schlump). Mehr als ein Glück ist jedenfalls, wenn man vom Schlump aus schnell den Weg in den nahe gelegenen Schanzenpark oder Richtung Grindelviertel findet. Denn die Kreuzung, auf der man zwangsläufig landet, ist so schön, wie es nur riesige Verkehrsknotenpunkte sein können.

Jungfernstieg

Apple oder Currywurst? Das ist hier die Frage. Allerdings nicht für die vier Jungs, die schon in der Bahn auf ihr jeweiliges Smartphone geschaut hatten und jetzt den Flagship-Store des kalifornischen Computerherstellers stürmen. Andere stehen derweil am Mö-Grill an. Kein Wunder, sagt sogar Christoph Rüffer, Zwei-Sterne-Koch aus dem in Sichtweite gelegenen Hotel Vier Jahreszeiten, da es an dem Grill gleich oberhalb des U-Bahnhofs die "wahrscheinlich beste Currywurst der Stadt" gibt. Am Jungfernstieg zeigt sich Hamburg, die Perle, von ihrer schönsten Seite. Die Alster lädt zu "Boat Trips" ein, und das Rathaus erscheint Hamburgern wie Touristen märchenhaft imposant. Übrigens duftet es auch hier besonders: Und zwar nach einem intensiven Parfüm, das aus jenen Abercrombie & Fitch-Tüten strömt, in denen Einkäufer ihre frisch erworbenen T-Shirts nach Hause tragen...

Berliner Tor

Auf Hauptbahnhof Nord, wo erwartungsgemäß viel Aus- und Zustieg zu beobachten ist, folgt der Bahnhof Berliner Tor. Südlich davon steht der bekannte Berliner Bogen, ein licht- und luftdurchflutetes Bürogebäude aus Glas und Stahl. Es geht vom Bahnhof aus zur Agentur für Arbeit an der Kurt-Schumacher-Allee, wie ein Schild im Bahnhof zeigt. Und es geht auch zum Haus der Gerichte in St. Georg, wie die Gesprächsfetzen, die zwischen zwei Mitreisenden hin- und herfliegen, zeigen. "Da fragt der Richter mich echt, ob ich die Alte geschlagen habe", sagt der eine. "Ich weiß, du würdest der doch nie was antun", sagt der andere. "Stimmt. Nur manchmal macht die mich so sauer, ich könnte sie glatt umbringen."

Horner Rennbahn

Der Name ist natürlich Programm. Unmittelbar nördlich des U-Bahnhofs liegt die Galopprennbahn Hamburg-Horn, kurz Horner Rennbahn. Dort wollen die sechs Schülerinnen, die aus Kassel an die Elbe gereist sind, aber gar nicht hin. Derbywoche ist ja auch schon vorbei. "Die kann doch nicht mehr weit sein", sagt die 18-jährige Alessa zu ihren Freundinnen - und meint Hamburgs größte und modernste Jugendherberge. Zugegeben, die Rennbahnstraße zieht sich ein wenig, doch dann rückt die 1962 errichtete Herberge ins Blickfeld, die jüngst für 8,8 Millionen Euro modernisiert wurde und allein in diesem Jahr etwa 90 000 Gästen Zimmer und einen Blick auf die Rennbahn bieten wird. Die Besucherinnen aus Kassel wollen sich "auf jeden Fall die Reeperbahn" ansehen. Mit der U 2 weiter nach Billstedt, das steht in den nächsten drei Tagen eher nicht auf dem Programm.

Billstedt

Ab Legienstraße verläuft die Strecke der U 2 endlich mal wieder über der Erde. Düster sieht es dennoch aus. Der Hamburger Himmel ist grau und schüttet sich - norddeutscher Sommer! - gerade wieder aus. Wer auf dem Trockenen sitzen bleiben darf, tut es. Also kein planmäßiger Halt und Abstecher ins Billstedt-Center. Die Route führt vorbei am Schwimmbad Billstedt mit seiner gelb-roten Rutsche, die immer wieder junge Schwimmer ausspuckt. Die haben offenbar großen Spaß - nass sind sie ohnehin schon.

Endstation: Mümmelmannsberg

Seit Haltestelle Hauptbahnhof schon geht es in der Bahn internationaler zu. Türkisch, Polnisch, Russisch, Hamburgisch - die Dialekte und Akzente mischen sich.

Großstadtgefühl - das bewirbt man auch in Mümmelmannsberg. "Bunte Blume Freundschaft", heißt es auf einem Plakat, das großflächig an einem Hochhaus klebt. Es bringt - wie die Flaggen auf den Balkonen, Überbleibsel der Fußball-Europameisterschaft, ein bisschen Farbe in die Siedlung, die - auf dem Reißbrett entworfen - zwischen 1970 und 1979 errichtet wurde und deren Bewohner lange unter dem schlechten Image von "Mümmel" litten.

Dabei sieht es an der Kandinskyallee, der zentralen Achse des Stadtteils, aus wie anderswo: spielende Kinder, und Mütter, die ihren Nachwuchs im Buggy spazieren fahren. Na gut, die Hochhäuser nahe dem U-Bahnhof sehen schon trostlos aus. Kein Meisterentwurf. Anders als der U-Bahnhof: Der wurde 1990 vom Architekten- und Ingenieurverein Hamburg als "Bauwerk des Jahres" ausgezeichnet. Lohnt sich also allein deshalb, die Fahrt bis zur Endstation.