Die Schuldendebatte überdeckt, worum es in Europa wirklich geht

Das leidige Geld allein macht nicht glücklich. Und es löst auch nicht die große ökonomische Krise, in der Europa seit Jahren steckt. Die Europäische Union und vor allem die Währungszone des Euro stehen bei den Bürgern mittlerweile synonym für ein zähes und wenig würdevolles Geschacher um Hilfsprogramme, Rettungsschirme und die Aussicht auf gemeinsame Staatsanleihen, die sogenannten Euro-Bonds. Es ist die Perspektive einer Schuldenhaftung der wirtschaftlich stärkeren Euro-Staaten für die schwächeren.

Die EU sitzt in einer Wahrnehmungsfalle, die durch ihre Geschichte bedingt ist. Vornehmlich wurde das gemeinsame Europa nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Wirtschaftsunion definiert und gestaltet, seit den 1990er-Jahren auch als eine Währungsunion mit dem Euro. In der Krise fragt sich nun drängender als zuvor, wie aus der Wirtschafts- eine Bürger- und Lebensgemeinschaft werden kann. Diese Debatte ist herausfordernd, anspruchsvoll und gut. Aber allzu schnell landet sie immer wieder bei ein und derselben Frage: Warum sollen deutsche Steuerzahler für griechische Steuerhinterzieher haften? Und wie lange noch?

Aus fast jeder Perspektive führt die Diskussion über Europa heutzutage wieder zurück zur Wirtschaft: Wie kann die Schuldenkrise überwunden, wie kann die horrend hohe Arbeitslosigkeit vor allem junger Menschen in Südeuropa bekämpft werden? Wie viel Aufwand für Forschung und Entwicklung soll und muss sich die Europäische Union leisten? Wie bleibt die EU konkurrenzfähig mit anderen und gerade mit den in Asien aufstrebenden Ländern der Welt?

Wirtschaftliche Debatten, Krisen, Ängste vernetzen Menschen und Staaten in der EU heute viel stärker als andere Themen und Realitäten. Und doch wäre es fatal, Europa vor allem durch die Brille der Ökonomie zu sehen. Die Wirtschaft bildet letztlich nur das Vehikel dafür, um weiterzubauen an einer großen Idee: aus Europa die beste und lebenswerteste Region der Welt zu machen.

So vieles wurde auf dem Weg dahin schon erreicht. Europa ist, seine Kinder in die Schulen befreundeter Nachbarländer zu schicken und ihnen damit eine neue Welt zu eröffnen. Europa heißt, aus einem ungeheuren kulturellen, wissenschaftlichen, architektonischen Schatz schöpfen zu können, der seine Wurzeln tief in der Antike hat. Europa bedeutet, die besten natürlichen Bedingungen zu besitzen, um 500 Millionen Menschen mit Wasser, Nahrungsmitteln und erneuerbaren Energien versorgen zu können. Europa garantiert, dass vor einem europäischen Gericht niemand mehr mit dem Tode bestraft wird. Europa schützt die Freiheit des Glaubens in einer Zeit, in der religiös verblendete Fanatiker mit Feuer und Schwert gegen die Moderne ziehen.

Es muss und wird weiter gestritten und gerungen werden, um Europas Schulden- und Wirtschaftskrise zu lösen. Doch es wird viel davon abhängen, welche Motivation die Bürger in der Europäischen Union dabei entwickeln. Geht es nur darum, die vermeintlichen Schlendriane im Süden endlich unter Kuratel zu stellen? Oder wächst die Chance, aus der Krise kostbare Lehren für die Zukunft zu ziehen? Es geht um eine neue Architektur für die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa. Die allerdings muss getragen werden von deutlich mehr Demokratie in der EU. Ein renoviertes Europa wird seinen Bürgern weiter entgegenkommen - durch Volksabstimmungen und auch durch ein gestärktes gemeinsames Parlament.

Mancher macht es sich einfach und fragt, wozu brauchen wir in Deutschland die EU oder den Euro? Blühende Staaten wie Norwegen oder die Schweiz haben weder das eine noch das andere. Wohl wahr. Und doch haben auch sie ihren Reichtum nur als Teil eines modernen Europa.