Das jüdische Leben im Grindelviertel gewinnt an Vielfalt. Jungunternehmer Arnold Simmenauer trägt bei - und hat noch Pläne für den Standort.

Hamburg. Arnold Simmenauer weiß manchmal gar nicht mehr so genau, wie er die vergangenen Jahre überstanden hat. Andere Leute in seinem Alter genießen das Studentenleben, toben sich noch mal so richtig aus, bevor das beginnt, was die Älteren den "Ernst des Lebens" nennen. Für den Hamburger war schon vor drei Jahren Schluss mit lustig. Ein Anruf aus der Heimat beendete damals sein Studium der Literatur in Kanada. Am Telefon war seine Mutter, die sich wünschte, er möge ihr Café im Grindelhof übernehmen; die bekannte Künstleragentin selber zog es nach Berlin.

"Ich wusste damals fast nichts über die Gastronomie", erinnert sich Arnold Simmenauer, er habe aber ein gesundes Selbstvertrauen und gedacht, das sei schon irgendwie zu schaffen. Von einem Tag auf den anderen war der junge Mann im 2008 gegründeten Café Leonar für 20 Angestellte verantwortlich, er musste sich mit dem Einkauf, der Buchhaltung, mit dem Kochen auseinandersetzen und geriet immer wieder an den Rand der Erschöpfung. Erst jetzt habe er seine Unbeschwertheit zurückgewonnen, sagt der Unternehmer, erst in den vergangenen Wochen freuten sich die Mitarbeiter darüber, dass sie ihn wieder öfter lachen hörten, erzählt der Mann mit den dunklen Locken.

Drei Stunden Schlaf, das war für ihn bisher keine Seltenheit, denn das Café Leonar ist nicht irgendein Café mit ein paar Kaffeespezialitäten und drei, vier Kuchen auf der Speisekarte. Das Café Leonar ist Café, Restaurant und Bar. Und Stadtteiltreff mit Konzerten und Kleinkunst, der kulturelle Mittelpunkt des jüdischen Lebens am Grindel, dem Kiez, der früher einmal "Klein Jerusalem" genannt wurde. Simmenauer hat ein Plakat aufgehängt, das scherzhaft wirbt: "Wenn Sie uns nicht finden, verfolgen Sie einfach einen Juden." Etliche Flyer lenken die Aufmerksamkeit auf Lesungen, Diskussionsrunden und Musik, hier hinterlässt Simmenauers Mutter Sonia ihre Spuren, sie hat renommierte Streichquartette und Solisten unter Vertrag und ist noch immer Eigentümerin des Cafés, das keinen besseren Platz als im Grindel hätte finden können: Schließlich lebte bis Anfang der dreißiger Jahre fast die Hälfte der damals etwa 20 000 Hamburger Juden in dem Viertel westlich der Außenalster (siehe Beistück).

In den vergangenen Jahren aber machten im Grindelviertel wieder jüdische Geschäfte wie das Café Frankoni, der Cateringservice Lechaim oder der Weinladen Mezada von sich reden. Und ein wichtiger Mittelpunkt für die junge Generation ist heute auch die Talmud-Tora-Schule, die kürzlich neu eröffnete. "Hier können sich jüdische Kinder wieder aufgehoben fühlen", freut sich Arnold Simmenauer.

Der Gastronom macht keinen Hehl daraus, dass er zwar die Religion sehr ernst nehme, die strengen Gesetze der jüdischen Gemeinde aber nicht befolge. Das Café Leonar serviert jüdische Spezialitäten, aber kein koscheres Essen, hält sich also nicht an die Regel, Fleisch und Milchprodukte voneinander zu trennen. Allerdings denkt Simmenauer daran, bald auch das traditionelle Gebäck wie Rugelach und Schabbat-Brot anzubieten. "Ich arbeite seit einigen Wochen am optimalen Rezept", sagt der Jungunternehmer, der sich als Perfektionist immer wieder gerne in neue Herausforderungen hineinsteigert.

So hat Simmenauer nicht nur im Alleingang ein Café zum Erfolg geführt, mit dem er im Monat 50 000 Euro erlöst. Sondern er plant nun den ganz großen, nächsten Schritt: Die Eigentümerin der Immobilie am Grindelhof 59, der einstigen Adresse des Café Leonar, kündigte den Verkauf des Hauses an, als Simmenauer gerade die Gewinnschwelle erreicht hatte und drohte damit seinem Projekt ein Ende zu setzen. Simmenauer hatte viel Kraft und Zeit in den kleinen Betrieb gesteckt, hatte eine große Stammkundschaft gewonnen und wollte sich diesen Erfolg nicht so einfach nehmen lassen: In einem nächsten Kraftakt hat er nun selber das Grundstück in bester Lage zwischen weiteren Restaurants, Bars und Geschäften an der Ausgehmeile des Studentenviertels gekauft und plant jetzt noch einmal ein komplett neues Café Leonar, auf rund 180 Quadratmetern.

"Wir werden einen neuen Veranstaltungsraum haben und wahrscheinlich auch eine eigene Backstube", freut sich der junge Investor, der seinen Gästen derzeit aber auch noch eine zweite Heimat bietet: Wenige Schritte vom alten Standort entfernt, am Grindelhof 87, hat er ein weiteres Café eröffnet, das mit einer großen Terrasse und einem lauschigen Sonnensegel an schönen Tagen zum neuen Magneten für die Nachbarschaft geworden ist. Im Herbst des kommenden Jahres soll dann der Betrieb am ursprünglichen Standort starten. Aber Simmenauer hat schon wieder einen neuen Plan: In der zweiten Gastronomie will er eine Bar etablieren. "Nichts mit Krawatte, aber auch nicht St. Pauli", sagt der Musikliebhaber. Doch zu viel will er über seine Idee auch noch nicht verraten.

Entdecken Sie Top-Adressen in Ihrer Umgebung: Cafés in Hamburg-Rotherbaum