Der schlechte Ruf unserer Volksvertreter ist ungerecht - daran ändern auch Affären nichts

Wie eine Petitesse sich zum Drama ausweitet, lässt sich dieser Tage an Bundespräsident Christian Wulff (CDU) besichtigen. Was als eigentlich harmloses Kreditgeschäft begann, hat sich längst zur Affäre ausgeweitet: Immer neue Einzelheiten kommen ans Licht, Halbwahrheiten und Ungereimtheiten, Vergünstigungen und merkwürdige Spenden: Christian Wulff, der einst als Verkörperung des korrekten Politikers geschätzt wurde, hat seine Unschuld verloren. Seine Glaubwürdigkeit ist schwer erschüttert, 44 Prozent der Deutschen halten ihn nicht mehr für glaubwürdig.

Für Christan Wulff ist das schlimm. Schlimmer noch ist es für das höchste Amt im Staate, das Amt des Bundespräsidenten. Am schlimmsten indes könnte es für die politische Kultur im Lande werden, weil es der Politikverdrossenheit Vorschub leiste. Nach Karl-Theodor zu Guttenberg trifft es ausgerechnet wieder den Politiker, der lange Zeit die höchsten Zustimmungsraten hatte. Im Hannoveraner Sumpf steckt mit dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten ausgerechnet der Politiker fest, der Anstand und Abgrenzung zum Machthunger stets als Monstranz vor sich hergetragen hat - seine Biografie hieß nicht ohne Mission "Besser die Wahrheit". Wer sich so inszeniert, muss damit rechnen, besonders kritisch hinterfragt zu werden.

Für viele Wähler ist die Enttäuschung daher besonders groß. Schon länger ist das Vertrauen in die Politik erschüttert. Während 1978 noch 55 Prozent glaubten, Politiker kümmerten sich zuvorderst um die Interessen der Bevölkerung, ist es heute nur noch jeder fünfte. In der aktuellen Befragung von Allensbach sagten 39 Prozent, Volksvertreter verfolgten vor allem private Interessen.

Mit Verlaub: Das hat die Politik hierzulande nicht verdient. Ein Blick ins Italien eines Silvio Berlusconi oder das Frankreich eines Nicolas Sarkozy zeigt, dass die Deutschen zwar Affären haben, aber kaum Skandale. Man trifft, egal ob in Berlin oder Hamburg, auf viele Volksvertreter mit Ethos und Ernsthaftigkeit. Viele Bundesminister, einige Ministerpräsidenten und die Kanzlerin stehen immer wieder im Ruf, vermeintlich langweilig zu sein - gerade weil sie sich abzugrenzen vermögen und ein preußisches Amtsverständnis pflegen.

Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Denn Politik ist anders, als sie am Stammtisch oft gemalt wird. Es ist nicht die Macht des Haurucks, sondern, wie Max Weber schon 1919 konstatierte, "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich". Das Dasein des Politikers ist selten ein Leben in der Economyclass, es ist vielmehr ein Knochenjob mit 70, 80 Wochenstunden oder mehr. Politik ist kein Beruf, der Millionäre macht, sondern der nur so entlohnt wird wie manche Führungskraft im mittleren Management. Der Preis dafür ist hoch - die Aufgabe fast jeglicher Privatsphäre und ein fehlerfreies, hochmoralisches Leben sind fast Pflicht. Das Volk erwartet viel von seinen Vertretern - er soll moralisch integer und selbstlos handeln wie Mutter Teresa und dabei doch so mutig und durchsetzungsstark agieren wie Rambo. Nein, es ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, heute Politiker zu sein.

Bleibt zu hoffen, dass die Debatte dieser Tage eine Rückbesinnung fördert. Aus dem Fall Christian Wulff und dem Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg könnte so etwas Besseres erwachsen: Wichtiger als der Schein wird das Sein, wichtiger als das Bild die Tat, wichtiger als die unpolitische Präsentation einer Politikfigur werden seine Inhalte und Schwerpunkte. Das wäre ein Triumph der Politik.