Ver.di-Chef Bsirske unterstützt die Beschäftigten bei ihrem Ausstand in Hamburg. Der Tarifstreit bei Pflegen & Wohnen spitzt sich zu.

Hamburg. Frank Bsirske fühlte sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Der Ver.di-Vorsitzende war extra nach Hamburg gereist, um die Beschäftigten von Pflegen & Wohnen zu unterstützen. "Es hat Jahrzehnte, von 1848 bis 1918, gedauert, um Tarifverträge durchzusetzen. Die Eigentümer wollen das Rad der Geschichte jetzt zurückdrehen, um auf eurem Rücken ihre Gewinn-Interessen durchzusetzen. Das werden wir nicht zulassen, wir holen uns den Tarifvertrag wieder", rief er den rund 150 Mitarbeitern zu, die vor der Hauptverwaltung des Unternehmens an der Finkenau mit Fahnen und Trillerpfeifen aufmarschiert waren.

Der Tarifstreit beim größten privaten Hamburger Pflegeheimbetreiber mit rund 1600 Beschäftigten, die sich in zwölf Einrichtungen mit mehr als 2800 Betten um Senioren kümmern, spitzt sich zu. Im Juni war der Tarifvertrag vom Arbeitgeber gekündigt worden, im Oktober scheiterten die Verhandlungen, jetzt gab es den vierten Warnstreik.

+++ Heim-Betreiber Pflegen & Wohnen ist in Geldnot +++

+++ In Hamburg fehlen schon 440 Pflegekräfte +++

+++ Gute Chancen, im Altenheim einen Job zu bekommen +++

Artha Kuske, 41, arbeitet in der Senioreneinrichtung Moosberg in Bergedorf auf der Demenzstation. "Dort pflegen wir mit 15 Mitarbeitern 32 zum Teil schwer an Demenz erkrankte alte Menschen", sagt sie. Die Senioren seien zum Teil sehr aggressiv, man sei als Pflegekraft oft verbaler und auch körperlicher Gewalt ausgesetzt. "Die alten Menschen können ja nichts dafür, aber der Arbeitsdruck ist massiv", sagt die examinierte Pflegerin. Sie hat eine 39-Stunden-Woche, arbeitet im Drei-Schicht-Dienst, der um sechs Uhr morgens, um 13.30 Uhr oder um 22 Uhr beginnt. Oft ohne Pause und auch länger als acht Stunden. Es komme vor, dass Mitarbeiter mehr als ein oder zwei Wochenenden hintereinander arbeiten müssten. Sie kommt auf rund 2500 Euro brutto im Monat, seit fünf Jahren gab es keine Gehaltserhöhung.

"Wer die Bedingungen nur einigermaßen kennt", ruft Bsirske, "der weiß, dass eure Arbeitsplätze zu den schwierigsten im Lande gehören." In einer Gesellschaft, die immer älter werde, brauche es eine materielle und ideelle Aufwertung der Pflegearbeit. "Mehr Fachkräfte, mehr Anerkennung - aber das Gegenteil wird hier praktiziert."

Thomas Flotow, 48, ist Prokurist bei Pflegen & Wohnen und sieht das ganz anders. "Es geht nur um Neueinstellungen. Und für die wollen wir betriebliche Regelungen." Wenn sich ein Unternehmen durch einen Tarifvertrag nicht mehr weiterentwickeln lasse, müsse man andere Lösungen finden. Es gehe darum, gezielt Gehaltsstrukturen zu verändern. Auch er will über eine Erhöhung der Einstiegsgehälter für examinierte Pflegekräfte nachdenken.

"Sie bekommen bisher 1963 Euro, in den Verhandlungen hatten wir uns auf 2300 Euro brutto im Monat geeinigt", sagt der Betriebsratsvorsitzende Rolf in der Stroh, 55. Pflegehelfer sollten 20 Euro mehr kriegen und mit 1700 Euro einsteigen. Man hätte auch Abstriche gemacht. So sollte es nur noch drei Aufstiegsstufen geben, nach 15 Jahren wäre eine Pflegehelferin statt auf 2200 Euro nur noch auf 2040 Euro gekommen. Auch auf Zulagen hätte man verzichtet, knapp zwei Drittel der Belegschaft sollten im kommenden Jahr 80 Euro pro Monat weniger bekommen. "Das wären 1,2 Millionen Euro Einsparungen für das Unternehmen gewesen", sagt in der Stroh. "Richtig", sagt Flotow, "aber das sollte ein Jahr später zu 100 Prozent kompensiert werden."

All das ist nun eh vom Tisch, und es sieht nicht so aus, als würden die Parteien an selbigen zurückkehren. Flotow sieht derzeit keinen Grund, die Gespräche über einen Tarifvertrag wieder aufzunehmen. "Wenn die Eigentümer die Linie der Konfrontation beibehalten, wird es im Januar zum Erzwingungsstreik kommen", sagt Bsirske. Was heißt das? "Das bedeutet, dass wir dann so lange streiken, bis die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zurückkehren", sagt Rolf in der Stroh.

Er sagt auch, dass die Wut unter den Beschäftigten wachse. Weil auch die Rahmenbedingungen immer schlechter würden. "Was die Mitarbeiter leisten, ist übermenschlich", sagt er. "Eine Pflegekraft weiß heute, dass sie die Arbeit, die sie eigentlich schaffen müsste, gar nicht schaffen kann."