Gastfreundschaft, Charme, Diskretion - mit Rudolf Nährig und Santo Pupillo gehen zwei Charakterköpfe des Hotels Vier Jahreszeiten.

Neustadt. Am kommenden Montag möchte Rudolf Nährig das Vier Jahreszeiten so verlassen, wie er es vor 34 Jahren erstmals betrat: durch die Hintertür. Das passt zu einem Mann, der stets anderen diente, doch dabei grundsätzlich Persönlichkeit wahrte. Hamburgs gewiss bekanntester Oberkellner, ein Freund dezenter Töne, geht nach insgesamt 52 Berufsjahren in den Ruhestand. Im Gepäck nimmt der Wiener aus dem 14. Bezirk einen Schatz an Erfahrungen und ein Füllhorn kleiner und großer Geheimnisse mit nach Hause.

Dies gilt ebenso für Santo Pupillo, den gleichfalls verschwiegenen Bar-Chef des 113 Jahre alten Traditionshotels. Der gebürtige Sizilianer mit dem Faible für feine Brände und virtuos gemixte Cocktails beendet sein Berufsleben wenige Tage nach dem Kollegen Nährig. Hamburgs Hotelleben verliert damit zwei menschliche Institutionen und Geheimnisträger erster Klasse. Unter dem Glanz der fünf Sterne glückte dem einen wie dem anderen das Kunststück, Gastfreundschaft, Charme und Charakter auf einen Nenner zu bringen.

Einer vom Format Nährigs geht leise und bescheiden, so, wie es seine Art ist, jedoch nicht still. Zum Ausklang seiner aktiven Zeit bittet der Maître d'hotel am kommenden Wochenende einen illustren Kreis geladener Gäste zu seinen beiden letzten Liederabenden in den Festsaal "seines" Hauses am Neuen Jungfernstieg. Es sind die Durchgänge 14 und 15 einer Veranstaltungsreihe mit einmaliger Note. Als "singender Oberkellner" präsentiert der Österreicher zum Abschied Wiener Lieder und Couplets. Es sind Gassenhauer, Trinkgesänge und Caféhausmelodien, eine Melange meist morbider, makabrer Verse. Das Motto, diesmal ganz besonders passend: "Erst wenn's aus wird's sein". Und: "Mein allerletztes Glas".

Was ursprünglich als Spaß begann, erwuchs im Laufe der Jahre zu einem großen Vergnügen. Durfte es anfangs das eine oder andere Liedchen zu fortgeschrittener Stunde sein, einer Handvoll eingeweihter Restaurantbesucher zum Jux gesungen, sprach sich des Maîtres Talent im kleinen, aber feinen Kreis der Stammgäste des Vier-Jahreszeiten-Grills herum: "Herr Nährig, können's nicht mal ...?" Der Mann in Schwarz bewies Mumm, sang bei Rotariern, trat mit Ulrich Tukur auf - und blieb auf dem Boden: "Meine kleine Welt ist mir groß genug." Sein Lebensmotto: "Man muss dienen können." Zusatz: "Neid ist mir fremd. Und tauschen wollte ich niemals."

Ein dienstbarer Geist alter Schule nimmt sich die Freiheit - ohne aufmüpfig zu sein. Was sich mancher Großkopferte unter den Zuhörern insgeheim wünschen mag, einmal aus der Alltagsuniform in ein anderes Gewand schlüpfen zu können, stieß auf offene Ohren.

Ein solches Erlebnis hat seinen Preis: 175 Euro kostet der Abend, inklusive Champagnerempfang und Vier-Gänge-Menü mit Wiener Schmankerln plus korrespondierenden Weinen. Nicht käuflich ist die Ehre, dazugehören zu dürfen. Denn wer eine von Nährig mit Federkiel und Tinte unterzeichnete Einladung erhält, ist wer. Absagen gibt es kaum, eher Entschuldigungen. Natürlich sind die beiden finalen Auftritte längst ausgebucht - und natürlich erhält der singende Oberkellner keine Gage. Ganz im Gegenteil: Zwischendurch pflegt der Typ mit Note seinen Kollegen beim Auf- und Abdecken zu helfen. "Heutzutage braucht man ab und zu einen Narren", pflegt Nährig seinen speziellen Einsatz zu kommentieren. "Was andere denken, ist mir dabei wurscht."

Erst recht gilt dies für sein Privatleben, über das der Maître gar nicht gerne spricht. Dass er nicht alleinstehend ist und in Hamm wohnt, wissen die Mitarbeiter. Auch dass er ein Ferienhäuschen in Norwegen hat. Sie kennen die Leidenschaft für Fotografie. 15 seiner Motive sind im Hotel zu sehen - selbst entwickelt und aufgespannt. Nur selten ist der Ruheständler in spe in einem seiner Oldtimer zu sehen. Der graue, 35 Jahre alte VW Käfer zeigt ebenso wie ein türkisfarbener Opel Rekord (Baujahr 1957, Lenkradschaltung, Sechs-Volt-Batterie) eine interessante Facette eines wirklich außergewöhnlichen Menschen.

Viele hochgestellte Persönlichkeiten aus aller Welt wurden von ihm hervorragend bedient, so wie es der Anspruch von fünf Sternen ist. Doch da ist mehr, viel mehr. Unausgesprochen. Peter Ustinov nannte ihn "Exzellenz", nicht umgekehrt. Shirley Bassey küsste ihn jüngst noch, ganz selbstverständlich. Und als sich Karl Lagerfeld mit 20 Models zum Essen ansagte, waren die Mitarbeiter gespannt. Die Aufregung legte sich, als der Modemacher ausschließlich Jungs im Schlepptau hatte.

Sonst schweigt Rudolf Nährig lieber. Plaudern gehört nicht zum Geschäft, Schmarrn mit Schmäh schon. Vielleicht veröffentlicht er eines Tages ein Brevier mit Anekdoten über die Ereignisse eines halben Lebens in einem der führenden Hotels der Welt. Aber bitte ohne Namen. Der Arbeitstitel steht fest ("Meistens war es komisch ..."), der Nachfolger im Grill ebenso: Darius Wieczorek (s. Seite 1).

Verschwiegenheit ist auch das Arbeitsprinzip des Kollegen Santo Pupillo. Geheimnisse, in drei Jahrzehnten hinter der Hotelbar automatisch aufgenommen, werden gewahrt. "Das ist eine Frage der Ehre", entgegnet der Signore. Oft bis in die Puppen ging es an seinem Arbeitsplatz rund. Tom Jones und andere Weltstars machten die Nacht zum Tage und genossen das gute Gefühl hanseatischer Diskretion. Kenner schätzen zudem den gehaltvollen Portwein Jahrgang 1936, einen Armagnac von 1912 oder den Rum Marke Damoiseau. Eine Rarität ist ebenfalls der Cognac Louis XIII. für 95 Euro das Gläschen.

Kenner wissen den Geschmack zu schätzen. So wie jener Gast, der kürzlich eine Flasche der exquisiten Spirituose entkorken ließ. 1700 Euro kostete das Vergnügen; die folgende lange Nacht, so heißt es, war unbezahlbar. Bisweilen werden gekühlte Drinks diskret mit auf die Suite genommen. Doch auf neugierige Nachfrage schüttelt Herr Pupillo nur mit den Schultern. Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen. Das versteht auch Nachfolger Enrico Wilhelm.

Künftig will der alte Bar-Chef mehr Zeit für Ehefrau Monika, die drei Töchter Sandra, Giulia und Patrizia sowie die vier Enkelkinder haben. Romeo, vor gut drei Wochen geboren, sorgt dafür, dass sich die Frauenquote in Grenzen hält. Einen Teil des Jahres wollen die Pupillos fortan in der Toskana verbringen.

Vielleicht arbeitet Kollege a. D. Nährig dann ja an seinem Büchlein. Oder schreibt doch noch eine allerletzte Einladung zum allerletzen Liederabend im Vier Jahreszeiten.

Schließlich soll man leise Servus sagen - aber bittschön doch nicht ganz so endgültig.