Für die Freilassung des entführten Soldaten Gilad Schalit ist Israel kein Preis zu hoch

Der Nahe Osten, das wissen wir aus seiner jahrtausendealten Historie, ist jene Region, in der sich Schrecken und Wunder manchmal gleichzeitig ereignen können. Auch der Austausch des israelischen Soldaten Gilad Schalit gegen 1027 inhaftierte Palästinenser ist beides. Er ist ein Wunder, weil er sich ausgerechnet in einer vergifteten politischen Atmosphäre ereignet, die jede Annäherung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn eigentlich verbieten müsste. Inmitten der schlimmsten Krise zwischen Israel und Ägypten seit dem letzten Krieg der beiden Völker gegeneinander haben sich die Ägypter nach Kräften bemüht, den seit mehr als fünf Jahren in Geiselhaft sitzenden Schalit freizubekommen.

Dabei ist die neue Führung in Kairo den Israelis keineswegs wohlgesinnt; der versehentliche Tod von fünf ägyptischen Polizisten durch israelische Militärkugeln hatte zu wütenden antiisraelischen Protesten geführt. Und Israels Regierung hatte keinen Zweifel gelassen, dass ihr die "Arabellion" mit dem Sturz des "Pharaos" Mubarak höchst ungelegen kam - was den Revolutionären vom Tahrir-Platz nicht gerade das Herz wärmte. Und als zweiter Unterhändler neben Ägypten hat sich dann noch Deutschland um die Rettung Schalits verdient gemacht. Das ist wunderbar - wenn auch längst kein Wunder mehr, denn die deutschen Schlapphüte von BND und verwandten geheimen Stellen haben sich bereits seit vielen Jahren einen guten Ruf als ehrliche Makler in Sachen Geiselaustausch erworben. Die Rebellion in der arabischen Welt hat sowohl auf die hartleibige Netanjahu-Regierung wie auch auf die unversöhnliche Hamas Druck ausgeübt. Israel sieht sich mit seiner Betonpolitik zunehmend isoliert, und die Hamas sieht mit Sorge, wie die arabische Jugend Richtung Demokratie und Pluralismus blickt. Beide brauchten einen Erfolg, wollten Fortschritte vorweisen können. Insofern ist der Austausch auch eine Dividende der lange nicht beendeten Arabellion.

Ein Schrecknis ist dieser Deal allerdings, weil auf diese Weise eine große Zahl an Terroristen auf freien Fuß kommt, die ihre Zelle eigentlich nie wieder verlassen dürften. Wie Mohammed Scharatha oder Jeja al-Sinwar, Kommandeure von mörderischen Hamas-Spezialeinheiten. Einige der in der ersten Phase des Austausches freigekommenen Häftlinge sollen für den Tod von insgesamt 569 israelischen Bürgern verantwortlich sein. Dieser Preis für die Freilassung eines einzelnen israelischen Soldaten erscheint absurd hoch. Und die Bedenken, der Kummer und die Wut jener Israelis, die Kinder, Eltern oder Geschwister bei palästinensischen Terroranschlägen verloren haben, sind nur zu verständlich.

Doch die breite Zustimmung für den Deal in Israel ergibt sich aus der leidvollen Geschichte des jüdischen Volkes. Nie wieder wollen Juden wehrlos hinnehmen, dass Juden wie im Holocaust hingemordet werden, nie wieder wollen sie Juden in Todesgefahr alleinlassen. Es ist jenes "niemals wieder", das israelische Rekruten jahrzehntelang auf dem Felsenplateau von Masada geschworen haben, wo sich einst fast 1000 Juden den Freitod gaben, um nicht in die Hand der römischen Armee zu fallen. Es ist nicht zuletzt jenes Gefühl, niemals im Stich gelassen zu werden, das israelische Soldaten zu besonderen militärischen Leistungen befähigt hat. Viele der freigelassenen Palästinenser werden israelischen Soldaten bald wieder im Kampf gegenüberstehen. So ungleich der Gefangenendeal zahlenmäßig ist, so ungleich sind auch die Intentionen der Gegner.

Wie die überwiegende Mehrheit der Palästinenser wollen die Israelis endlich in Frieden leben. Doch solange die Hamas von ihrem erklärten Ziel, den Staat Israel zu vernichten, nicht abrückt, wird es diesen Frieden nicht geben können.