Der Hamburger Regisseur Fatih Akin erzählt die Geschichte seiner Filme und seines Lebens. Am Sonntag feiert “Im Clinch“ Buchpremiere.

Wenn ein Buch, das nicht von einem Boxer handelt, "Im Clinch" heißt, dann fragt man sich sofort: Im Clinch - mit wem? Erstmals gibt Fatih Akin , der wohl bedeutendste deutsche Autorenfilmer seit Rainer Werner Fassbinder, zwischen zwei Buchdeckeln Auskunft über sich, seine Filme, seine Geschichte und seine Kämpfe. Wer Fatih Akin je hat reden hören, der weiß: Wenn einer chronisch lebendig und leidenschaftlich ist in allem, was er tut, dann ist das dieser Hamburger Jung türkischer Einwanderereltern .

+++ Stationen seiner Karriere +++

+++ Der Filmemacher Fatih Akin +++

Für beide Kulturen ist er der große Unvereinnahmbare dieser Stadt. Ein geborener Kämpfer - für seine Ideen, die Millionen von Kinogängern zu Fans seiner Filme gemacht haben. Ein Kämpfer aber auch gegen Widerstände, äußere wie innere. Kunst entsteht am zuverlässigsten im Clinch. Auch die Struktur des Buchs hat Ähnlichkeit mit einem Boxkampf. Akin schrieb nicht im stillen Kämmerlein, er stellte sich den Fragen zweier professioneller Beobachter der Kinoszene: Abendblatt-Autor und Kinoexperte Volker Behrens und Rowohlt-Lektor Michael Töteberg. Der Kommunikator braucht das Gegenüber. Und er ist gut in Form. Das Abendblatt präsentiert einige Auszüge aus dem am kommenden Donnerstag erscheinenden Buch als Vorabdruck. Fatih Akin über ...

... seine Kindheit

Ich war kein wildes Kind - das kam erst viel später -, eher ein neugieriges, verträumtes Kind. Mein Bruder Cem und ich sind recht behütet aufgewachsen. Unsere Eltern haben uns bedingungslos geliebt, auch wenn sie streng waren, wie es türkische Eltern oft sind. Ohrfeigen ab und an, auch Prügel. Heute bestreiten das meine Eltern natürlich: Sie hätten uns nie geschlagen, aber mein Vater konnte gut austeilen. (...) Deutsch gelernt habe ich auf dem Spielplatz. Zu Hause sprachen wir nur Türkisch; wenn Cem und ich untereinander Deutsch sprachen, hat meine Mutter geschimpft.

... erste Kinobesuche

Mein Vater ist mit uns ins Kino gegangen, in Disney-Zeichentrickfilme im Ufa-Palast oder im Kinocenter, direkt gegenüber vom Hauptbahnhof. Da gab es zwei Kinosäle, es liefen "Cap und Capper" und "Caligula". Weil wir eine Vorstellung verpasst hatten, mussten wir eine Stunde vorm Kino rumstehen, haben Pommes gegessen und uns die Aushangbilder angeschaut. Auch von Caligula. "Guck nicht so auf dieses Plakat!" Mit meiner Mutter war ich nie im Kino, das war Daddys Job sozusagen.

... seine Mutter

Meine Mutter war für die klassische Erziehung zuständig, sie überwachte die Hausaufgaben etc. Sie war Lehrerin, und ich war nie ein wirklich guter Schüler. Ich habe viel Quatsch gemacht in der Schule, war der "Klassenkasper". Es gab oft Theater mit der Schulleitung und mit Eltern, die sich beschwert haben. Obwohl ich immer Probleme mit Leistungsdruck hatte, war die Schule im Großen und Ganzen gut zu mir. Auf dem Gymnasium hatte ich eine Klassenlehrerin, eine echte Bezugsperson; ich war in sie sogar verliebt. Ein anderer Lehrer, den wir damals "Magnum" nannten, ist übrigens Statist in "Soul Kitchen". Es gab aber auch Lehrer, die mich nicht mochten - sie haben geschnallt, dass ich mich durchmogele.

... Disziplin

Wir haben sehr wenig Taschengeld bekommen. Nicht aus Geiz - mein Vater wollte, dass seine Kinder früh eigenes Geld verdienen. (...) Mit 12 habe ich Flaschen am Fließband etikettiert, mit 16 bin ich Gabelstapler gefahren, habe auch als Packer gearbeitet. Wo andere in den Ferien ausschlafen konnten, musste ich um 6 Uhr morgens in der Fabrik sein. Aber ich bin meinem Vater dankbar dafür. Die Disziplin und Vertrautheit mit dem Arbeitermilieu sind mir heute am Set sehr hilfreich. Mein Vater war streng und gewissenhaft, aber fair. Er war ein guter Häuptling, und das versuche ich auch zu sein, am Set.

... erste Berufserfahrungen beim Film

Bei einem Spielfilm, "Bunte Hunde" von Lars Becker, einer Produktion von Wüste Film, war ich Praktikant am Set. Assistent der Aufnahmeleitung, also Mädchen für alles: Kaffee kochen, Schauspieler durch die Gegend fahren, Straßen absperren. (...) In der zweiten Drehwoche passierte es dann: Die Fahrer hatten gerade Mittagspause. Ralph Herforth wollte nach Hause, er hatte Drehschluss. Ich wollte weg vom Set, weil ich wieder mal wegen irgendwas angeschissen worden war. Deshalb habe ich dem verantwortlichen Fahrer angeboten, Herforth nach Hause zu fahren. Der Fahrer hat gefragt, ob ich überhaupt Auto fahren kann. Es war sein eigenes Auto, ein wunderschöner Mercedes-Kombi. Der Fahrer: "Ey, du machst mir keinen Kratzer rein!" - "Ja, ich pass auf dein Auto auf, als wäre es mein Augapfel." Und ich fahre Herforth und erzähle ihm: "Du, ich hab ein Drehbuch für einen Film geschrieben. Willst du da nicht mitspielen? Da ist ein Gangster, ein Albaner ..." Ich labere ihn zu, wie es Praktikanten machen, die zum Film wollen. Am Grindel, in der Nähe der Rentzelstraße, setze ich ihn ab, will einen U-Turn machen, und dann fährt mir einer von der linken Spur ins Auto rein. Ich sehe nur noch, wie die Motorhaube vom Mercedes wegfliegt, das war's dann für mich. Schluss. Ich kam mit einem Schock in Krankenhaus, niemandem sonst was passiert. Der Fahrer hat sich furchtbar aufgeregt. (Wüste-Produzent) Ralph Schwingel hat nur zu Lars Becker gesagt: "Der Junge ist nicht geeignet für den Job."

... die Türkei

Bis zum Abitur war die Türkei lediglich ein Urlaubsort, wo ich mit Leuten aus Deutschland abhing. Man hatte nie mit Türken aus der Türkei zu tun. Es gab eine schier unüberwindbare Kluft zwischen uns. Sprache, Mentalität und das soziale Umfeld haben uns voneinander unterschieden. Istanbul war nichts weiter als der Ort, an dem wir unsere Verwandten besuchten. Man blieb zwei, drei Tage im selben Stadtteil, und dann nix wie weg aus der lauten, stickigen, ungemütlichen Stadt. Man wollte nur ans Meer oder sonst wohin. Mit (meinem Kurzfilm) "Getürkt" habe ich das Land entdeckt.

... seine Frauenfiguren

Helke Sander (war seine Professorin an der HfbK. Sie gab ihm für seine Diplomarbeit das Thema "Frauenfiguren in den Filmen von Fatih Akin") hat mich dazu gebracht, mein Frauenbild zu reflektieren, insofern hatte die Diplomarbeit fundamentale Bedeutung für mich. Danach habe ich Frauen nie wieder so dargestellt wie vorher. Bis dahin hatte ich Frauen immer als etwas ganz Besonderes behandelt. Vom Mechanismus so was wie positiver Rassismus. Die Arbeit hat mir veranschaulicht, weswegen die Frauenfiguren weniger stimmig waren als die Männer. Ich habe immer versucht, mich in die Frauen hineinzuversetzen. Wie würde eine Frau dies und jenes machen? Entscheidend ist jedoch die Motivation der Figur, nicht das Geschlecht. Ich muss mir die Frage stellen: Was würde ich an dieser Stelle tun? Damit habe ich mich in meinem erzählerischen Denken emanzipiert, und das habe ich dieser Arbeit zu verdanken.

... den 11. September

Es wird ja immer gefragt: Wo warst du am 11. September 2001? Bei uns war es der erste Drehtag (von "Solino"). Ich arbeitete gerade mit Rainer Klausmann eine Kameraeinstellung vor, auf einmal versammelte sich das ganze Team um den Tonmann und seinen Monitor. Einer rief: "In Amerika ist ein Flugzeug gegen einen Turm des World Trade Centers geflogen!" 15 Minuten später ein anderes gegen den zweiten Turm. Ich dachte nur: Hoffentlich nicht irgendwas mit Moslems, dann hat es etwas mit mir zu tun. Es waren Moslems, und es hatte mit mir zu tun.

... Filmfestivals

Für Filme, wie ich sie mache, sind sie sehr wichtig: Ich brauche sie, um öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen, weil ich nicht mit 600 Kopien an den Start gehen kann, hinter mir kein großes amerikanisches Studio oder die Constantin steht. Auslandsfestivals sind schon deshalb wichtig, um die Internationalität der eigenen Arbeit messen zu können. Wenn die Leute nicht deine Sprache sprechen, sondern Japanisch, Serbokroatisch oder Russisch, aber trotzdem lachen oder weinen, erkennt man die grenzüberschreitende Wirkung. Andernfalls ist das ein Hinweis darauf, dass das Thema national begrenzt ist. Man merkt auf Festivals: Wie geht es der Welt? Wie geht es dem Kino? Es ist toll, 30 Filme auf einen Schlag zu gucken - im großen Kino, denn Filme auf DVD zu sehen ist nicht dasselbe.

... Kampfkunst

Ich brauche das Neue, das Experiment, die Herausforderung. Filmemacher, die ihren Stil gefunden haben und den Rest ihrer Karriere diesen Stil abspulen, finde ich unattraktiv. Ich will keinen Stil kreieren, keine Handschrift, sondern der jeweiligen Philosophie und Rhetorik eines Films dienen. Bruce Lee hat das mit seiner Kampfkunst so gehalten. Was Bruce Lee über Kampfkunst lehrt, versuche ich auf den Film zu übertragen. Film ist eine Form von Kampfkunst.

... Istanbul

Ich wollte (in "Crossing The Bridge") keinen touristischen Blick auf Istanbul werfen. Irgendwann hatte ich die Idee, die Bilder zwischen den Musikstücken wie einen Film noir zu gestalten. Der Held ist eine Art Privatdetektiv, sein Auftrag lautet, den Sound der Stadt zu erkunden. Es war der Versuch, wie Raymond Chandler zu erzählen, mit dem Helden als Off-Erzähler.

... Hamburg

"Soul Kitchen" ist eine Ansichtskarte aus Hamburg. In meinen letzten Filmen ging es um Identität, sie führten in die Türkei, die Heimat meiner Eltern, das Land meiner Herkunft, für das ich eine soziale Verantwortung spüre. Mit "Soul Kitchen" konnte ich ein filmisches Statement setzen. Meine Heimat ist nun mal Hamburg, und ich hatte das Gefühl: Dieser Stadt bin ich noch einen Film schuldig.

... die USA

Ich bekomme regelmäßig Angebote aus den USA und würde gern mal eins akzeptieren. Kann ich das überhaupt? Keinen großen Studiofilm, aber wenn es das richtige Projekt gibt ... Die Drehbücher, die ich geschickt bekomme, werden besser. Focus Features hat mir gerade ein Buch von Guillermo Arriaga angeboten: "The Tiger", sozusagen "Der weiße Hai" in der sibirischen Taiga. Oder drehe ich doch den (Yilmaz-)Güney-Film oder den Western, von dem ich seit Jahren träume? Man braucht Träume.

Und US-Regisseur Martin Scorsese über Fatih Akin:

Fatih Akins Filme brennen vor Leidenschaft und pulsieren vor Freiheit, und er projiziert dieselbe schöne Energie, wann immer er über das Kino spricht - über seine eigenen Filme, die von anderen, von überall auf der Welt, aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er ist ein eloquenter Bannerträger der Kunstform, und er liebt sie leidenschaftlich.

An diesem Sonntag beginnt um 14 Uhr im Abaton eine Buchpremiere. Akin liest aus seinem Buch und gibt anschließend eine Einführung in den um 15.30 Uhr folgenden Film "Yol - Der Weg".