Letzter Teil unseres Themenschwerpunkts: Kaum etwas hat sich im Bildungswesen so stark gewandelt wie die Grundschulen. Ein Fazit.

Bramfeld. Donnerstagmorgen, 9.20 Uhr in der Grundschule Fahrenkrön in Bramfeld: "Wo sind die L-Detektive? Zeigt mal, wie viele L ihr gefunden habt." Lehrerin Dörte Rossa ruft die Kinder der Klasse 1c in den Kreis. Die Jungen und Mädchen sitzen auf Bänken, sie selbst hockt auf dem Boden, auf Augenhöhe. Klassenmaskottchen Lina, ein roter Stoffdrache, darf auch mit. Und dann wird gesprochen, gehört, gelesen. "L wie Löwe", sagt Roberto. Richtig, die Karte mit dem Löwen kommt auf den L-Stapel. Und was ist mit Mund? "Nein, das ist doch mit Mmmmm", rufen gleich mehrere Kinder. Also auf den anderen Stapel.

So sieht heute also ein Klassenraum aus: ein bunter Teppich, eine Kuschelecke, ein Regal voller Bücher und Spiele. Am Fenster hängen bunte Bilder. Die Kinder haben sich selbst gemalt und ihre Namen geschrieben. Auf dem Lehrerpult stehen ein Computer und eine Blume. Der Tisch ist voll, dient aber vor allem als Ablage. Dörte Rossa und ihre Kollegin Anika Martens von der 1a sind dicht dran an ihren Schülern. Vor 30, 40 Jahren war das noch anders.

Günter V. (*1965), GS Feldstraße in Karlsruhe: "Meine Klasse war ein Versuchsmodell. Wir haben Lesen gleich mit ganzen Wörtern und Sätzen gelernt. Das hat aber nicht funktioniert. Die Methode wurde schnell wieder abgeschafft, und ich hatte darunter zu leiden, weil ich lange als Legastheniker galt."

Heute lernen Kinder zunächst einzelne Buchstaben. Ihr Gehör wird geschult. Ziel ist, dass sie sich selbstständig Buchstaben und mithilfe einer Anlauttabelle ganze Wörter erarbeiten können. So wird aus F wie Fisch, L wie Leiter, A wie Apfel, Sch wie Schere und E wie Esel schließlich das Wort Flasche. Dörte Rossa: "Irgendwann kommen die Kinder mit einem geschriebenen Wort und fragen mich, was da steht. Wenn ich es richtig vorlese, ist das Kind sehr stolz, dass es das allein geschafft hat. Und ich bekomme jedesmal eine Gänsehaut."

Clemens G. (*1971), Dahlmannschule, Frankfurt/West: "Ich habe Mengenlehre gehasst. Irgendwann habe ich diese Ellipsen-Schablone zerbrochen, damit ich es nicht mehr machen muss."

In den ersten Wochen lernen Kinder, Mengen und Formen zu erkennen, außerdem wird das Schreiben der Zahlen geübt. "Mathe ist ja mehr als nur ,plus' und ,minus'", sagt Anika Martens. Sie macht schon mit den Kleinsten Geometrie, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Kombinatorik. Ein Beispiel: Wenn ich ein rotes, ein grünes und ein gelbes Ei habe, in wie vielen Varianten kann ich sie dann in das Nest legen? Die gefürchtete Schnittmenge muss kein Kind mehr malen.

Saskia M. (*1973), Hans-Claussen-Grundschule, Pinneberg: "Wir hatten einen festen Stundenplan und wussten genau, wann Mathe, Lesen oder Malen dran ist."

Statt der Fächer stehen bei den Fahrenkrön-Lehrerinnen ihre Kürzel im Plan. Dörte Rossa unterrichtet in beiden Klassen Deutsch, Sachkunde und Kunst, Anika Martens lehrt Mathe, Sport und Englisch. "Am Anfang macht mehr als zehn Minuten Englisch aber keinen Sinn", sagt sie. Sie haben auf Symbolkärtchen die Angebote (Musik, Mathe, Pause, Frühstück, Sachkunde, Lesen, Sport) aufgemalt. Diese kommen morgens an die Tafel, damit die Kinder wissen, was sie erwartet - ohne zeitliche Vorgaben.

Sandra E. (*1973), GS Am Weinmeisterhorn, Berlin-Spandau: "In meinen Zeugnissen stand oft der Satz: Sandra könnte etwas ordentlicher sein."

"Bei mir gab es eine Note für Betragen", erinnert sich Dörte Rossa. Sie schreibt zum Schuljahresende für jedes Kind ein Berichtszeugnis - ohne Noten. Es setzen sich in Hamburg immer mehr sogenannte Kompetenzraster durch, bei denen zusätzlich auf mehreren Seiten (die Ankreuzskala reicht von sehr schwach bis sehr stark) die Entwicklung des Kindes und sein sozial-kommunikatives Verhalten eingeordnet wird. Ganz wichtig sind neben den Zeugnissen die Lernentwicklungsgespräche, bei denen der Lehrer, das Kind und seine Eltern beteiligt sind. Dort werden gemeinsam neue Ziele gesetzt, offene Baustellen und eventuelle Probleme (Betragen!) besprochen.

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Christiane A. (*1971), GS Saseler Park: "Wer Quatsch machte oder zu viel redete, wurde vor die Tür geschickt. Ich war immer brav, aber einmal habe ich es geschafft und war ganz stolz."

Auf dem Flur stehen und die Klinke runterdrücken - das wird den Kindern der 1c nicht mehr passieren. "Aber es kann schon sein, dass wir ein Kind aus einer Situation herausnehmen müssen", sagt Anika Martens. An der Schule Fahrenkrön hat jede Klasse einen zweiten Raum, durch ein Fenster einsehbar. Ein guter Platz für ein Gespräch oder um in Ruhe ein Bild zu malen.

Silke B. (*1970), GS Laurensberg, Aachen: "Das Schlimmste war, alleine vor der Klasse zu stehen und etwas aufsagen oder vorrechnen zu müssen."

Passiert heute gar nicht mehr. Es gilt: Die Kinder haben unterschiedliche Talente und verschiedene Lernstände. Sie bekommen deshalb maßgeschneiderte Aufgaben. Das Zauberwort heißt: Methodenvielfalt. Die Lehrer beobachten die Kinder genau, um die passenden Lernangebote für sie zu finden. Dörte Rossa und Anika Martens holen zwar auch mal ein Kind nach vorne, aber nur wenn sie sicher sind, dass es die Aufgabe bewältigen will und kann.

Maria S. (*1962), GS Föhren bei Trier: "Wir waren mehr als 40 Kinder in der Klasse und saßen auf Zweierbänken hintereinander. Es war ziemlich eng, und gefördert wurden nur die Guten."

Ein Lächeln zieht über die Gesichter der Lehrerinnen vom Fahrenkrön, seit dem vergangenen Jahr dürfen in einer Grundschulklasse in Hamburg höchstens 23 Kinder sitzen. Anika Martens: "Das ist so wichtig, weil sie alle lernen wollen. Aber bei 30 oder noch mehr Kindern in einem Raum fallen immer welche hintenrunter."