Die letzten Handwerker ihres Gewerks. Etuimacher Andreas Ludwig vom Hammer Steindamm hat sogar den DFB-Pokal eingepackt.

Hamburg. Von Luxus ist hier auf den ersten Blick wenig zu spüren. Versteckt steht das alte Haus in einem Hinterhof am Hammer Steindamm. Der Aufzug ist außer Betrieb. Deswegen gilt es, drei Etagen Altbau zu Fuß und über die Treppe zu bewältigen. Oben angekommen, weist ein kleines Schild darauf hin, am Ziel zu sein. "Etuimanufaktur Erich Ludwig e.K." steht an der Tür.

Andreas Ludwig, 44, ist der Inhaber des Unternehmens. Er ist Etuimacher. Nicht nur in der Hansestadt, sondern in ganz Deutschland ist er der Letzte seiner Zunft. Gemeinsam mit seinen drei Mitarbeiterinnen hält er das fast ausgestorbene Handwerk am Leben. Aus hochwertigsten Materialien fertigt er Schrankeinrichtungen für Yachten und Flugzeuge, Schmuckkästen, Akten- sowie Transportkoffer und natürlich Etuis. Holz, Leder, Glas, unterschiedliche Stoffe und Papiere, ja sogar Gold - all das geht tagtäglich durch seine Hände. Im wahrsten Sinne des Wortes; denn alles, was Ludwigs Werkstatt verlässt, ist handgemacht. Moderne Elektronik und Maschinen gibt es nicht. "Für unsere Feinarbeit wäre jedes technische Gerät denkbar ungeeignet", sagt er.

Tatsächlich wirkt der Besuch in seiner Werkstatt wie eine Reise in die Vergangenheit. Wie die Rückkehr in eine Zeit lange vor der Industrialisierung, eine Zeit der Handwerkszünfte. An das 21. Jahrhundert erinnert einzig das leuchtend grüne Schild, das auf den Notausgang in der rechten Zimmerecke hindeutet. Vor elf Jahren hat Andreas Ludwig die Firma von seinem Vater übernommen. Eher durch Zufall, denn eigentlich hatte der Urenkel des Firmengründers andere berufliche Pläne. Er wollte als Grafiker arbeiten, musste diesen Beruf jedoch nach dem Studium aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Es folgten ein Vordiplom in Psychologie und eine Buchbinderlehre. Im Anschluss daran begann der kreative Ludwig noch eine Gesangsausbildung an der Hamburger Sängerakademie. Doch auch dieser berufliche Lebensabschnitt war nur von kurzer Dauer.

Sein Vater, Jürgen Erich Ludwig, hatte einen schweren Unfall - der Junior musste ihn in der Etuimanufaktur vertreten. "In den Ferien hatte ich immer schon mal zwischendurch im Betrieb meiner Eltern ausgeholfen", sagt Andreas Ludwig. "Deshalb waren mir die Grundlagen der Arbeit nicht fremd." Trotzdem musste er sich in der "Aushilfszeit" einen Großteil des seltenen Handwerks selbst beibringen. Diese zog sich über drei Jahre hin - denn die Genesung des Vaters dauerte länger als erwartet. Andreas Ludwig brach sein gerade begonnenes Gesangsstudium ab und konzentrierte sich voll und ganz auf die Arbeit in der Etuimacherei.

Heute kann sich Ludwig keine "schönere Arbeit" mehr vorstellen, wie er sagt. Nicht selten behält er die Säge bis in die späten Abendstunden in der Hand. "Wenn ein Kunde noch kurz vor dem Termin der Fertigstellung einen Änderungswunsch hat, kann es auch sein, dass wir hier mal eine Nachtschicht einlegen müssen", sagt er.

Die Kunden, das sind Staatsoberhäupter, Prominente und Unternehmen aus der ganzen Welt. So verwahrt zum Beispiel die englische Königin eines ihrer Colliers in einem Schmucketui aus dem Hause Ludwig, der DFB-Pokal wird in einem in Hamburg gefertigten Koffer transportiert, und der Schah von Persien lagerte sein Fernglas in einer kostbaren Verpackung der hiesigen Manufaktur. Einer der vielen Stammkunden von Ludwig ist die Lufthansa Technik AG, für die er Besteck- und Schrankeinrichtungen herstellt. "Damit das teure Geschirr und die silbernen Messer und Gabeln bei turbulenten Flügen nicht klappern und womöglich noch zu Bruch gehen", so der Handwerker. Eine seiner originellsten Kreationen ist "ein Violinenkasten mit eingebauter Minibar". Den hat er vor rund zehn Jahren gebaut. "Neben dem Instrument kann die Musikerin nun auch zwei goldene Becher und eine Champagnerflasche bedenkenlos auf ihren Reisen mitnehmen."

Kaum ein Kundenwunsch bleibt offen. "Wir versuchen, alle Ideen so gut wie möglich umzusetzen", sagt der Inhaber. Wie die Zukunft seines Unternehmens und dieses Berufs "nach seiner Zeit" aussehen wird, weiß Andreas Ludwig allerdings nicht. "Natürlich wünsche ich mir einen Nachfolger, der die Tradition meiner Familie und dieses wundervolle Handwerk am Leben erhält." Da er selber aber keine Kinder hat und der Beruf des Etuimachers schon seit vielen Jahren in Deutschland nicht mehr offiziell erlernt werden kann, gestaltet sich die Suche nach einem "Erben" schwierig. "Ich könnte mir einen Buchbinder oder Tischler vorstellen, den ich in die Geheimnisse meiner Arbeit einweihen, ihm die nötigen Kenntnisse vermitteln würde." Schön wäre es, wenn er einen solchen Nachfahren fände. Damit in der dritten Etage des Hauses am Hammer Steindamm noch lange Zeit der Luxus entsteht, den der Blick von außen so gar nicht vermuten lässt.