Andreas R. warf vor einem Lokal eine Flasche auf einen Polizisten. Ihm droht eine milde Strafe, während dem St.-Pauli-Fan der Ruin droht.

Neustadt. Für sie waren Menschen wie Zielscheiben. Der eine schleuderte einen vollen Bierbecher auf einen Linienrichter, der andere warf eine Bierflasche nach Polizisten. Beide Männer nahmen schwere Verletzungen billigend in Kauf, beide hat die Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Doch die Folgen könnten unterschiedlicher kaum sein: Während der eine mit einem milden Urteil davongekommen ist, droht dem anderen nun der finanzielle Ruin.

Der eine - das ist Stefan H., 44 Jahre alt, ein Internethändler aus Seevetal. Der Mann soll am 1. April mit einem Bierbecherwurf am Millerntor den Schiedsrichter-Assistenten Thorsten Schiffner niedergestreckt haben. Aus Wut über die vermeintlich schlechte Schiedsrichter-Leistung, aus Frust vielleicht auch, denn kurz vor Spielende führt Schalke mit 2:0 gegen den abstiegsgefährdeten FC St. Pauli. In der 89. Minute brach der Schiedsrichter das Spiel ab. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben und stützt sich dabei auf zehn Zeugen, Bilder und Arztberichte.

Der andere Mann ist ein 35 Jahre alter Betriebswirt, Andreas R. Während der Krawalle vor dem Lokal Jolly Roger im Juli 2009 schleuderte er eine Glasflasche auf einen Wasserwerfer und verfehlte die nebenher laufenden Polizisten nur knapp. Im feinen Anzug erschien Andreas R. kürzlich vor Gericht.

In erster Instanz noch zu einer Geldstrafe von 11 000 Euro verurteilt, senkte das Landgericht in der Berufung die Strafe auf 5850 Euro ab. Er sei ein erlebnisorientierter, junger Mann, urteilte die Richterin. Ein Mann ohne politische Ansichten, nicht mehr als ein abenteuerlustiger Krawalltäter. Die Justiz werfe mit Wattebäuschen, verharmlose den Fall und sei "fern der Realität" - urteilte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Hellhörig machen im Fall von Stefan H. die Konsequenzen, die ihm, dem Täter, drohen. Auch andere Männer haben an diesem Tag ihre Bierbecher aufs Spielfeld geworfen, doch Stefan H. traf - und muss jetzt für die Folgen geradestehen. St. Pauli erwägt, den 44-Jährigen vor dem Zivilgericht auf 400 000 Euro Schadenersatz zu verklagen. Grund: Wegen der Becherattacke musste der Verein hohe Einnahmeverluste hinnehmen. Zur Strafe musste St. Pauli das erste Heimspiel dieser Saison in Lübeck ausrichten - vor nur gut 10 000 Zuschauern statt 24 500 Fans am Millerntor. Die im Raum stehende Schadenssumme, sagt St.-Pauli-Sportchef Helmut Schulte, spiegele den "Grundverlust, den der Verein erlitten hat".

Dagegen ist - finanziell betrachtet - die im Prozess vor dem Amtsgericht zu erwartende Strafe ein Klacks. Frühestens im September wird verhandelt. Sollte das Gericht, sofern es von der Schuld von Stefan H. überzeugt ist, keine Freiheits-, sondern eine Geldstrafe verhängen, dürfte die wohl unter 10 000 Euro liegen. Erst nach einer Verurteilung, so Schulte, werde man zivilrechtliche Schritte einleiten.

Stefan H. schweigt zu den Vorwürfen, geäußert hat sich aber das Opfer des Wurfes, Schiri Schiffner, der nach dem Treffer geschockt zu Boden gegangen war. Der 36-Jährige erlitt eine Schädelprellung, trug außerdem Nacken- und Kopfschmerzen davon. Er habe wohl "Glück im Unglück" gehabt, mutmaßte der Ingenieur aus Konstanz und sprach von einem "Negativerlebnis", das man "erst einmal verarbeiten" müsse.

Sollten sich beide Seiten nicht auf einen Vergleich einigen, droht ein jahrelanges, zermürbendes, juristisches Hickhack. Ein Zweitligaverein gegen einen kleinen Mann - kann sich St. Pauli mit einer Summe in dieser Höhe überhaupt vor Gericht durchsetzen? "Das ist keinesfalls ausgeschlossen", sagt Professor Peter Mankowski, Zivilrechtsexperte an der Uni Hamburg, und ergänzt: "Dem Grunde nach hat der Mann ein Problem, wenn ihm nachzuweisen ist, dass er der Werfer war." Das Zivilgericht werde insbesondere zu prüfen haben, ob Stefan H. seinen mit dem Veranstalter geschlossenen Zuschauervertrag verletzt habe. So wie der Veranstalter eine Sorgfaltspflicht gegenüber dem Zuschauer habe, so könne den Zuschauer aus dem Vertrag die "Nebenpflicht" treffen, den Spielbetrieb nicht zu stören, kurz: sich anständig zu verhalten.

"Die Chance, dass St. Pauli einen Titel erwirkt, halte ich für durchaus realistisch", sagt Mankowski.