Ein Abendblatt-Redakteur absolvierte den Triathlon in der Stadt ohne Konkurrenz und traf auf der Strecke Gegner der anderen Art: Schwäne, Schiffe, Autos und Passanten

Gelbe Turnschuhe, blaue Schwimmhose, freier Oberkörper. Ein Aufzug, der nicht ins Bild passt. Es ist 13.30 Uhr, ein Wochentag. Geschäftsleute haben ihre Mittagspause in die Sonne an der Binnenalster verlegt, Touristen warten am Alsteranleger auf die Abfahrt der Schiffe, und zwischen den Sonnenanbetern und prall gefüllten Einkaufstüten werden erste Biermixgetränke auf dem Bootssteg abgestellt. Der halbnackte Mann, der sich vom Jungfernstieg seinen Weg zum Wasser bahnt, sorgt für Aufsehen und wirft Fragen auf. Wer ist das? Was will der? Die fragenden Blicke sind lesbar, das Gemurmel wird lauter. Ich habe die Antwort: Der Mann ist 33 Jahre alt, und er wird gleich seine Schuhe ausziehen. Er wird ins Wasser springen und 1,5 Kilometer durch die Alster schwimmen. Er wird in wenigen Minuten das vorempfinden, was an diesem Juliwochenende 10 050 Menschen gemeinsam tun werden: Er wird einen Triathlon absolvieren. Zu Wasser, zu Lande und auf dem Rad. Der Typ in der Schwimmhose bin ich, Abendblatt-Redakteur Lutz Wöckener.

Als ich auf dem Alsteranleger den Gang durch mein ahnungsloses Publikum beende, ist das Geheimnis für die Umstehenden zumindest teilweise gelüftet. Ich schlüpfe aus den Laufschuhen und tausche sie gegen Badekappe und Schwimmbrille. "Ich hatte doch gesagt, dass der kein Model ist", raunzt ein junges Mädchen ihrer Freundin verschwörerisch zu. Danke! Sie ist nicht die einzige, die eine Handykamera gezückt hat. Als ich mich umschaue, blicke ich in mehrere Smartphones. Dass man mein Projekt dokumentieren würde, überrascht mich. Finde ich mich heute Abend bei YouTube?

Vor zwölf Monaten war ich genau an dieser Stelle nur einer von vielen, eine Nummer, 13 280, um genau zu sein, und aus 100 Metern Entfernung nicht mal mehr von meinen Freunden zu identifizieren. Am 18. Juli 2010 startete ich hier zu meinem ersten Triathlon. Olympische Distanz: 1,5 Kilometer schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, zehn Kilometer laufen. Nach 2:59:05 Stunden war ich im Ziel. Es war eine perfekt organisierte Veranstaltung inmitten der Stadt. Das Wasser gesäubert, die Straßen abgesperrt, von Zuschauern eingerahmt und in Abschnitte zwischen Verpflegungsstationen aufgeteilt. Beste Voraussetzungen für einen Wettkampf. Doch ich will die drei Disziplinen auf andere Art, auf natürliche Weise erleben. Triathlon in der Stadt - dazu gehören Schwäne, Enten, Schiffe, Autos, Ampeln und Passanten.

Ich erinnere mich an den Start vor einem Jahr. Damals waren es das Adrenalin, der Gruppenzwang, als eine zwischen Hunderten von Badekappen und vielleicht auch die Musik, die alle Zweifel vorm Sprung ins Wasser verflüchtigen ließen. Die Gedanken, die einem Triathleten an der Binnenalster durch den Kopf gehen, an Keime, Dreck, Wasserratten, Fische ...

Direkt vor dem gewählten Absprungpunkt haben sich jetzt ein paar Enten eingefunden. Mich, der die stets gut gechlorte Alsterschwimmhalle immer dem Naturbad Farmsen vorziehen würde, beschleicht ein ungutes Gefühl.

Die Seniorengruppe, die an Bord der "S.C. Schleusenwärter" auf die Abfahrt in die Alsterkanäle wartet, scheint die Wankelmütigkeit bemerkt zu haben. "Sollen wir runterzählen?", fragt eine ältere Dame und grinst. "Sie müssen nur sagen, wo wir anfangen sollen", offeriert sie und hat meinen verwirrten Blick falsch verstanden. "Das macht man doch so. Wir zählen rückwärts, und bei null müssen Sie dann springen." Aha. Ich bedanke mich freundlich, lehne ab und nehme lieber Anlauf. Hinein! Ich nehme im Sprung noch kurz die Enten wahr, dann sehe ich braun. Die Alster ist trüb. Als ich wieder auftauche, erkenne ich die Wasservögel etwa 70, 80 Meter weit entfernt, schnatternd und schimpfend. Ich beginne mit lockeren Kraulbewegungen.

"Achtung! Das Schwimmen am Anleger ist strengstens verboten. Kommen Sie sofort aus dem Wasser heraus. Ansonsten werden wir die Wasserschutzpolizei verständigen!" Die Lautsprecheransage, die vom Steg über die Alster dröhnt, lässt keinen Raum für Interpretationen. Ich muss raus - nur wie? Der Steg ist von der Wasseroberfläche mehr als einen Meter entfernt. Ich scheitere schon nach 20 geschwommenen Metern? Peinlicher geht es kaum. "Du musst zur Spitze des Stegs schwimmen, da gibt es eine Leiter", sagt ein feixender junger Mann mit gezückter Kamera. Ich umrunde ein Schiff der Alstertouristik und erspähe die Leiter. Hier, wenige Meter hinter dem abfahrbereiten Boot, ist das Wasser deutlich wärmer - und dieselhaltig. Ich presse die Lippen aufeinander und halte den Atem an.

Vor zwölf Monaten waren lediglich leichte Motorboote mit Rettungssanitätern und Wettkampfrichtern unterwegs gewesen. Damals hatte ich mit fremden Beinen und Armen zu kämpfen, die ungefragt und unkontrolliert gegen meinen Körper schlugen. Heute ist zwar kein sportlicher Kontrahent in Sicht. Doch Gegner der besonderen Art, seien es Enten oder Ordnungshüter, finden sich aber dennoch einige.

Was dem vereinzelten Applaus, den meine Rückkehr auf den Steg hervorruft, zugrunde liegt, weiß ich nicht. Respekt? Häme? Beides? Oder gilt er allein der konsequenten Ansage, den Verrückten aus dem Wasser zu befehlen? Einerlei. Ich tausche Badekappe und Schwimmbrille wieder gegen die Laufschuhe, verabschiede mich von der Seniorengruppe und verlasse den Anleger. Neuer Start von neuem Ort. Statt der langen Runde über die olympische Distanz wechsele ich in den Sprint-Modus: 500 Meter schwimmen, 22 Kilometer Rad fahren, fünf Kilometer laufen. Ab zum Ballindamm!

Eine wirkliche Erleichterung bedeutet die neue Route auf dem Wasserweg indes nicht, denn dort warten schon die nächsten Hindernisse auf mich: ein Dutzend Schwäne samt Nachwuchs. "Die werden dich fressen", ruft mir eine Frau hinterher, als ich vorsichtig in die Alster gleite. Sie scheint Gefallen an der Vorstellung gefunden zu haben. Die Brotkrümel, die sie mir hinterherwirft, verfehlen ihre Wirkung jedenfalls nicht. Die Schwäne nehmen Kurs - und ich unfreiwillig Fahrt auf. Der Rhythmus ist schnell gefunden. Rechter Armzug, linker Armzug, rechter Armzug, links atmen. Eins, zwei, drei, rechts atmen. Eins, zwei, drei ... Kurz vor der Reesendammbrücke nehme ich den Kopf aus dem Wasser, um mich zu orientieren. Während ich einigen Flaschen und anderem Müll ausweiche, gibt es von der Brücke (Un-)Ratschläge. "Da würde ich nicht langschwimmen", ruft ein Zuschauer. "Hast du keine Hobbys?", ätzt ein anderer.

Unter der Brücke verfinstert es sich. Für Kraulzüge fehlt mir der Mut, ich will den Überblick nicht verlieren. Das Wasser ist hier deutlich kälter. Tauben flattern unaufhörlich in einer Nische. Es gibt schönere Orte, sich zu paaren, denke ich, als ich zusammenzucke. Irgendetwas hat mich am Fuß berührt, etwas Lebendiges. Vor einem Jahr hatten Hunderte andere Schwimmer vor mir die Fauna verscheucht, diesmal bin ich allein hier unten. Ich muss raus. Schnell. Mit kraftvollen Kraulzügen nähere ich mich dem Licht und wechsele nach meiner Rückkehr ins Freie erleichtert in den Brustschwimm-Modus. "Schau mal, Papa, da schwimmt ein Mann", ruft ein etwa drei Jahre altes Mädchen. Von den Alsterarkaden - dort, wo vor einem Jahr die Zuschauer drängten und ihre Hände in die Höhe rissen oder klatschten - sind Zeigefinger auf mich gerichtet, aber links auf den Treppenstufen zum Reesendamm, dort sitzt mein Publikum. Es gibt Applaus, doch die vereinzelten Anfeuerungsrufe zeigen keine Wirkung. Zehn Meter vor mir kreuzen Schwäne den Kurs. "An den Schwimmer in der kleinen Binnenalster", ertönt eine Stimme, die mir mittlerweile vertraut ist, "kommen Sie sofort aus dem Wasser heraus." Mache ich, denke ich, hebe entschuldigend die Hand und schwimme zügig die letzten Meter bis zur Treppe am Rathausmarkt. Dass der Aufgang hier nur an Veranstaltungstagen unter Wasser beginnt, war mir aber nicht klar, und so gleicht mein Ausstieg dem Bild eines gestrandeten Wals. Als ich draußen bin, geht der Blick zur Uhr. 9:48 Minuten sind seit meinem zweiten Start vergangen. 2010 hatte ich für die dreimal so lange Strecke problemlos 31 Minuten benötigt. Na ja, es geht ja auch mehr um die Erfahrung, sage ich mir. Dabeisein ist alles - und in meinem Fall sogar exklusiv.

Der Wechsel auf das Rad verläuft ohne Probleme. Badekappe und Schwimmbrille ab, Helm und Sonnenbrille auf! Schnell noch eine Banane, ein Energieriegel eingeworfen, Handschuhe, Socken, Radschuhe an und ab auf die 22-Kilometer-Runde. Im Gefühl, die größte Herausforderung bereits gemeistert zu haben, trete ich mit voller Kraft in die Pedale. Ich fliege auf einer grünen Welle über den Ballindamm, die Ampeln lassen mich gewähren, Schwäne gibt es hier nicht. So macht Triathlon Spaß! Dass die Beleuchtung im Wallringtunnel nicht die besten Voraussetzungen für eine Fahrt mit bis zu 40 Stundenkilometern bietet, stört mich nicht. Möglicherweise aber andere Verkehrsteilnehmer. Ich weiß jetzt jedenfalls, dass die Hupe eines Lastkraftwagens im Tunnel dem Lautstärkepegel eines Nebelhorns sehr nahe kommen kann. Der linke Zeigefinger im Ohr ist das einzige Zeichen meines zarten Protests. Ich spüre Reste von Alsterwasser.

Ich habe meine Rolle im Straßenverkehr schon nach wenigen Kilometern gefunden und lerne eine neue Disziplin kennen: Ampelroulette. Grün oder Rot? Und wer spielt mit? Dass sich der Autofahrer vor mir in der Straße Bei den Mühren dann doch bei orangefarbenem Licht zur Vollbremsung entscheidet, während ich noch einmal Fahrt aufnehmen will, um über die Kreuzung zu kommen, schärft die Aufmerksamkeit. Die leichte Steigung an der Helgoländer Allee hinauf zur Reeperbahn, die ich als Linksabbieger nur über den Radweg erreiche, ist eine willkommene Abwechslung, ansonsten verläuft die Fahrt zunächst unaufgeregt. Dann Defekt bei Kilometer neun. Auf der Elbchaussee habe ich mich verschaltet, was die Kette mit einem Sprung vom Ritzel bestraft und mich maßlos ärgert, da die lange Abfahrt hinunter zum Wendepunkt unnötig unterbrochen ist. Nach 25:32 Minuten auf dem Rad erreiche ich Teufelsbrück. Ein Blick auf die Elbe - und weiter geht's!

Cityman. So wurde die Veranstaltung in der Vergangenheit genannt. Der Triathlon mitten in der Stadt. Eine wunderbare Idee, doch wohl niemand als ich weiß besser, was das wirklich bedeuten kann. Ich bin wieder in der Innenstadt, springe vom Rad. Nur eine der zwei mitgeführten Trinkflaschen ist leer, aber ich hatte ja auch mit 40 Kilometern Strecke geplant.

Die von mir auf 5000 Meter halbierte Laufstrecke wird zum lockeren Ausklang, zumal ich unter den Scharen von Joggern an der Außenalster allenfalls durch mein hohes Tempo auffalle, mit dem ich keine Alsterrunde überleben würde. Zurück auf dem Jungfernstieg werden die Krawattenträger zu Slalomstangen. Sie sind auf dem Weg zur S-Bahn, ich ins Ziel. Der Spaß läuft mit und auch ein kleines bisschen Erhabenheit. Die Blicke meiner verdutzten Mitmenschen prallen an mir ab. Als ich rechts auf den Neuen Wall abbiege, beginnt mein Zielsprint. Anders als im vergangenen Jahr, als der Sprecher ("Und da kommt jetzt der Lutz, und der ist heute richtig gut drauf") unter dem Gejohle der Zuschauer noch einmal meine letzten Reserven mobilisierte, erfolgt die Zündung diesmal von innen. Vollgas jetzt, nur noch eine Linkskurve, dann bin ich da. Rathausmarkt, 24:49 Minuten, geschafft! In jeder Hinsicht.

Als ich mich mit meinen Händen auf den Oberschenkeln abstütze und der Puls ruhiger wird, nähert sich ein Mann, der bereits eine Weile mit Sicherheitsabstand gewartet hatte. Sein Blick fällt auf meinen kleinen blauen Beutel, den es bei der Veranstaltung im letzten Jahr gegeben hatte und der mir in den vergangenen Stunden als Verpflegungsstation und Ausrüstungslager gedient hatte. "Entschuldigung", räuspert sich der Mann, "werden die Startunterlagen bereits ausgegeben?" Ich schaue zu ihm auf. "Sie sind zu spät", antworte ich mit einem Lächeln, "der Triathlon ist bereits vorbei."