Beim WM-Spiel der Frauen Deutschland gegen Frankreich kocht die Leidenschaft meist nur auf kleiner Flamme. Beim Tor kommt richtig Jubel auf.

Hamburg. Es ist Fußball-Weltmeisterschaft - doch das Sommermärchen 2011 wird eher unauffällig gefeiert. Keine Partymeilen, kein Public Viewing, nur spärlich weht es schwarz-rot-gold von Autos und Balkonen. Trotzdem haben bisher immer zwischen 14 und 16 Millionen TV-Zuschauer die WM-Spiele der Nationalelf verfolgt. Gut 330 000 von ihnen sitzen in Hamburg vor den Bildschirmen. Das Abendblatt war am gestrigen WM-Abend in der Stadt unterwegs.

Eine halbe Stunde vor Anpfiff des Spiels Deutschland gegen Frankreich ist die Sonne in der Schanze durchgekommen. Schönstes Public-Viewing-Wetter. Schlecht für den Frauenfußball. Die Leute essen Eis und sitzen draußen. Draußen hat aber niemand einen Fernseher aufgestellt. Ein kleines Exemplar findet sich tief versteckt im Dschungel. Der Dschungel ist eine Kneipe, in der die Leute gern Fußball schauen, zu St.-Pauli-Spielen sitzen sie raus bis auf die Straße. Es gibt zwei Fernseher, einen kleinen ganz hinten, einen großen vorne. "Zur Frauen-WM schalten wir eigentlich nur den kleinen an", sagt Bedienung Anne. "Da, wo er nicht stört." Drin ist es leer. Draußen sitzt Lars Joseph, 37, vor einem Feierabendbier. "Mir ist bewusst, dass es hier eine WM der Frauen gibt", sagt er. "Ob heute ein Spiel ist, weiß ich nicht." Dann passiert es: Ein Gast tritt an den Tresen, will zusehen und kennt sich aus. David Vollrath, 30, findet Frauenfußball "sympathisch". Er kennt die Taktik, die Spielerinnen, die Mannschaften: "Aber strategisch und körperlich fehlt halt doch was", sagt er und schaut schuldbewusst. Trainerin Silvia Neid verschränkt auf dem Bildschirm mit kritischem Blick die Arme vor der Brust. Bedienung Anne sagt nachdenklich: "Ohne den ganzen Druck von außen wäre die Sache entspannter abgelaufen. Aber man fühlt sich ja fast gezwungen, auch Frauenfußball zu mögen. Deshalb unterstützen ihn alle, aber keiner schaut."

In der Sportsbar des griechischen Restaurants Olympisches Feuer schauen sie doch, leise plaudernd, mit Cocktails in der Hand. Wo sonst beim Männerfußball alle Plätze belegt sind, bleiben heute die vorderen Tische leer. Aber im hinteren Bereich sitzen junge Frauen vor der Großleinwand - und ein Mann im Deutschland-Trikot. Es gehört Klaus Czerwinsky, 51, er hat es zur WM 2006 gekauft, ohne Namen auf dem Rücken. Geschlechtsneutral. "Beschämend" findet er die laue Stimmung zur WM. Seit Beginn ist er auf der Suche nach dem Gefühl von 2006. "Ich hatte mich schon so gefreut, wieder zum Public Viewing aufs Heiligengeistfeld zu gehen." Dann fällt ein Tor. Klaus jubelt. "Sensationell!" schreit er. Ein paar Männer an der Theke klatschen freundlich. Die Mädchen freuen sich. "Uns geht es eigentlich nur um die Weltmeisterschaft", sagt eine. "Ob Frauen oder Männer, ist egal." Die Stimmung ist gelöst. Je länger das Spiel dauert, desto lauter werden die Schreie. "Fast wie bei den Männern", sagt ein Mädchen zufrieden. Nur beim Gegentor, da werden alle still. Enttäuschte Blicke. Dann bestellt jemand einen Tee.

Ortswechsel, ein Wohnzimmer in einer Altbauwohnung im Grindelviertel. "Sag mal, können die auch Fußball spielen oder sehen die nur gut aus?" Der Satz, der so machohaft klingt kommt aus dem Mund einer Frau, Svea Brunotte, 43. Die Familien Brunotte und Öylü treffen sich seit mehr als sechs Jahren regelmäßig zum Fußballgucken. Denn solange kennen sich die Mütter Svea und Fetiye, 41; beide sind leidenschaftliche Fußballfans. Bereits vor dem Anpfiff fachsimpeln die Familien bei Limonade, Chips und türkischem Knabberzeug (Cekirdek) über die Chancen der deutschen Mannschaft. "Alexandra Popp kommt immer erst später ins Spiel - als Joker", sagt Philipp Brunotte, 11. "Die ist eben gut", kommentiert Beritan Öylü, 10. "Ich gucke gerne Frauenfußball, da gibt es mehr Ballkontakte als bei den Männern."

Dann beginnt das Spiel. Alle blicken konzentriert auf den Bildschirm in der Ecke. Die beiden Frauen kommentieren unentwegt das Spiel. Wenn es zu langweilig wird, ist der eigene Nachwuchs das Thema, der spielt schließlich auch Fußball. Beim 1:0 für Deutschland nach gut 25 Minuten springen alle jubelnd in die Luft. "Sehr schöner Freistoß", sagt einer. Das Publikum ist zufrieden. "Vielleicht wird Deutschland doch Weltmeisterin", sagt Fetiye. Einmal während des Spiels klingelt ihr Telefon. "Ich kann jetzt nicht, das Spiel läuft", ruft sie in den Hörer. Nach dem 4:2-Sieg sagen die beiden Frauen wie aus einem Mund: "Schönes Spiel, jetzt geht es entspannt ins Viertelfinale." Sonnabend sind sie wieder dabei.