Der Schlagermove ist das norddeutsche Äquivalent zum Karneval. Und die Parade gewordene Sehnsucht nach einer heilen Welt.

St. Pauli. "Sieben Fässer Wein" dürften nicht ganz ausreichen, um alle Besucher des Schlagermoves zu verköstigen. Nicht einmal, wenn es "Griechischer Wein" sein sollte.

Denn zur größten deutschen Versammlung von Schlager-Enthusiasten werden sich jetzt am Sonnabend eine Menge Menschen einfinden. Selbst, wenn man die vom Veranstalter für die vergangenen Jahre genannte Zahl von 500.000 Menschen mit Vorsicht genießt - Klappern gehört schließlich zum Handwerk -, bleiben bei Weitem genug kostümierte Leute übrig, um einen ganzen Weinberg kahl zu trinken.

Doch woher rührt die jährlich wiederkehrende Euphorie für die Heile-Welt-Musik, was lässt Menschen zu Kleidung und Accessoires greifen, die sie den Rest des Jahres nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden?

Vielleicht ist der Schlagermove ja so etwas wie das norddeutsche Äquivalent zum Karneval. Das wäre ziemlich plietsch: Denn Rosenmontag und der dazugehörige Ausnahmezustand fallen zumeist in den Februar, mit etwas Glück erreichen die Temperaturen da knapp zweistellige Werte. Mit etwas Pech auch, dann allerdings im Minusbereich. Anfang Juli darf man aber sogar in Hamburg zumindest mit einer einigermaßen frühlingshaften Wetterlage rechnen. Und weil sich der Norddeutsche ja nur ungern nachsagen lässt, irgendetwas aus südlicheren Gefilden abgekupfert zu haben, spart er sich auch gleich den ganzen Vereinsfirlefanz mit Prunksitzung und Büttenrede.

Stattdessen trumpft Hamburg auf: "Kölle" mag sich mit einem Prinzen begnügen, in Hamburg regiert ein König. Na gut, ein selbst ernannter, aber immerhin. Ihro Magnifizienz Jürgen Drews, der "König von Mallorca", führt 2011 die Parade an. Und volksnaher Regent, der er ist, wird er sogar zwischendurch von seinem mobilen Thron herabsteigen, um das feiernde Volk mit einem Konzert zu erheitern. Ihm zur Seite stehen weitere wackere Streiter für den Frohsinn. Der NDR-Truck hat sich der Dienste von Dschungelkönig Costa Cordalis und dem "bayrischen Cowgirl" Nicki versichert, um "Anita" zu preisen und ein wenig griechisch-bajuwarische Exotik zu verbreiten. Roberto Blanco hingegen gibt zwei Laster weiter hinten den Hofnarren: "Ein bisschen Spaß muss sein." Insgesamt 45 Trucks verbinden sich zu einem singenden und klingenden Wurm, der für König Jürgen wohl die Entourage sein dürfte, die er sich immer gewünscht hat.

Und während andere gekrönte Häupter bloß auf Salutschüsse, Fanfarenstöße und Fähnchen schwenkende Untertanen hoffen dürfen, wird Drews ein ganzer Stadtteil zu Füßen gelegt.

St. Pauli verfällt in den Ausnahmezustand, überzeugte Musikrepublikaner verlassen fluchtartig den Kiez, wenn die Schlagerfans anrücken. Und das sind keineswegs nur Menschen, die ganzjährig der Gute-Laune-Musik frönen, die ihr Wohnzimmer mit den Konterfeis von Roy Black, Udo Jürgens und Bata Illic tapeziert haben. Die Massenhommage an eine romantisierte Vergangenheit, als Schlaghosen und Prilblumen noch modisch waren, ist auch für viele reizvoll, die an 364 Tagen im Jahr einen Freifahrtschein nach "Mendocino" dankend ablehnen würden.

Aber beim Schlagermove darf man, soll man, muss man sich ganz auf die "Fiesta Mexicana" einlassen. Und wenn man erst einmal - meist zum eigenen Erstaunen - festgestellt hat, dass man geradezu erschreckend textsicher von knallroten Gummibooten und zerbröselndem Marmor, Stein und Eisen singen kann, hilft auch der Klageruf "Das ist Wahnsinn, warum schickst Du mich in die Hölle?" nichts mehr. Dann kann man sich nur noch Perücke und Sonnenbrille vom Nebenmann ausleihen. Und sich voller Inbrunst zum Schlagermove bekennen: "Er gehört zu mir"!

Schlagermove Sonnabend 15.00, Start des Umzugs am Heiligengeistfeld (U St. Pauli), ab 17.30 Aftermoveparty auf dem Heiligengeistfeld, Eintritt Festzelte 14,90, Paradenroute und weitere Informationen unter: www.schlagermove.de