Hamburger GAL sucht nach Erfolg der Kollegen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Wege aus “realpolitischer Sackgasse“.

Hamburg. Der Mann ist praktizierender Katholik, Mitglied im Schützenverein und ein Pflanzenfreund. Das Profil des grandiosen Wahlsiegers der Grünen und künftigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, passt zwar nicht direkt nach Hamburg. Aber die hiesigen Grün-Alternativen haben nach dem für sie enttäuschenden Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl (11,2 Prozent) allen Grund, sich zu überlegen, was sie von ihren erfolgreicheren Parteifreunden in Baden-Württemberg (24,2 Prozent) und Rheinland-Pfalz (15,4 Prozent) lernen können.

"Bodenständigkeit, Verankerung und Geduld", sagt Kurt Edler, GAL-Urgestein und einer, der sich an der internen Debatte über die Zukunft der Partei munter beteiligt. Kretschmann, so Edler, verkörpere den "wertkonservativen Programmkern" der Grünen und spreche damit auch bürgerliche Wähler weit jenseits des grünen Milieus an. Der Hamburger GAL fehle dagegen "soziale Heterogenität". Edler: "Wir sind eine ökologische Mittelschichtspartei. Bei uns gibt es kaum Polizisten, Handwerker oder Kapitäne." Die GAL sei eine "grüne Großstadtpartei alten Stils".

Sicher: Die Grünen im Südwesten der Republik sind auch wegen des Schocks über die Ereignisse im japanischen Atomkraftwerk Fukushima gewählt worden. "Aber die Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben schon immer auf das Thema Atomkraft gesetzt", sagt Ex-GAL-Justizsenator Till Steffen. Soll heißen: Der Boden war bereitet, die Grünen waren besonders glaubwürdig in ihrer plötzlich hochaktuellen Forderung nach einem schnellstmöglichen Ausstieg.

In Hamburg spielte der Anti-Atom-Kurs zuletzt kaum mehr eine Rolle. Im schwarz-grünen Bündnis war die GAL sogar gezwungen, weitgehend Neutralität zu bewahren. "Es gab an Infoständen im Wahlkampf Kritik daran, dass wir Anträgen der Linken in der Bürgerschaft zur sofortigen Stilllegung von Atommeilern nicht zugestimmt haben", sagt auch die GAL-Landesvorsitzende Katharina Fegebank.

Edler, Steffen und der GAL-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin rechnen in einem Positionspapier unter dem Titel "Realpolitische Sackgasse" mit dem Verhalten der GAL im schwarz-grünen Bündnis hart ab, ohne es generell zu verdammen. "Wir haben einiges falsch gemacht. Wir haben einen Politikstil entwickelt, bei dem feste Ansichten keine Rolle mehr spielen - Inhalte werden dabei zur politischen Manövriermasse", heißt es in dem Papier. Statt für das grüne Grundanliegen zu werben, ging es zunehmend nur um einzelne Projekte wie die Primarschule oder die Stadtbahn. "Niemand wählt eine Partei für einige wenige Projekte - erst recht nicht, wenn diese scheitern", schreiben Edler, Steffen und Sarrazin.

"Wir haben unsere Niederlagen in der Regierung vielleicht nicht richtig genutzt. Wir haben daraus nicht gelernt", sagt auch Parteichefin Fegebank. Sie sieht Defizite im Bereich der Bürgerbeteiligung - eigentlich eine klassische Domäne der Grünen. "Wir müssen mehr Beteiligung wagen. Das haben wir nicht ausreichend gelebt", sagt Steffen. Bei der Primarschulreform etwa hätten frühzeitig und ernsthaft die Bedenken der Kritiker in das Regierungshandeln einbezogen werden müssen.

"Zumindest von der Ankündigung her macht das Winfried Kretschmann ganz anders", sagt Landeschefin Fegebank. Und: Geradezu beispielhaft hätten die Baden-Württemberger Grünen sich an der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 beteiligt.

In den 90er-Jahren holte die GAL im Bundesvergleich Spitzenergebnisse. Legt man die jeweils letzten Wahlen zugrunde, sind die Werte der westlichen Länder heute nur in Niedersachsen, Bayern und im Saarland schlechter. Edler moniert, dass die GAL mit "Sprache und Stil" beim Volk nicht ankomme. "Wir machen hoch spezialisierte Fachpolitik und sprechen die allgemeinpolitischen Bedürfnisse der Menschen nicht an", sagt das GAL-Gründungsmitglied. Klingt so, als ob auf die Grünen viel Arbeit in der Opposition wartet.