Seit fünf Jahrzehnten ist das Kino am Jungfernstieg Hamburgs erste Adresse für glanzvolle Filmpremieren. Bald soll es schließen.

Die Sonne an diesem Tag ist trügerisch. Unbehelligt von Wolken scheint sie auf den Jungfernstieg, lässt die Flaniermeile trotz Baustelle in einem guten Licht dastehen, bringt das Wasser der sonst eher braunen Binnenalster zum Glitzern, und wer sich umdreht, zur Häuserfront, sieht einen im Sonnenlicht goldfarben wirkenden Schriftzug erstrahlen. Der Glanz des Streit's. Lange Zeit stimmte dieses Bild. Bald ist es damit endgültig vorbei.

1956 ist das Jahr, in dem der Glanz an diesem Ort geboren wurde. Es war das Rekordjahr des Kinos in Hamburg, 37,5 Millionen Besucher strömten in die Vorstellungen, wer in seiner Freizeit etwas erleben wollte, ging aus, ins Filmtheater. Das heißt, jeder Hamburger war in diesem Jahr statistisch gesehen 20-mal im Kino. Fürs Parkett erste Reihe zahlte man damals noch 1,45 Mark. In ebendiesem Jahr, in den Glanzzeiten des Kinos, eröffnete das Streit`s, und dieser Umstand hat das Lichtspielhaus für alle Zeiten geprägt.

Es war ein Donnerstag, der 6. Dezember, 650 geladene Gäste waren gekommen, der Hamburger Senator Biermann-Ratjen war da, auch der Königliche britische Botschafter Sir Frederick R. Hoyer Miller, und der in hellblauen Farben gehaltene Saal platzte aus den sprichwörtlichen Nähten. Die Damen hatten sich in ihre schönsten Abendkleider gehüllt, die Männer, im Anzug, führten sie am Arm an ihre Plätze. Auf der Leinwand lief die englische Komödie "Doktor Ahoi!", es wurde herzhaft gelacht und im Anschluss gefeiert, das Kino und das Leben.

Der richtige Ort dafür war die berühmte Bar des Streit's, wohl die beste der Stadt. Ralph Coroton spielte am Klavier, Werner Müller, Harry und Heinz Anger mixten die Getränke. "Geöffnet von 11 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts" - damit warb das Kino. Geadelt wurde die Bar von Hans Albers ("Jeden Abend besoffen ist auch ein geregeltes Leben"). "Sie und ich, wir sind gute Bekannte", sagte die Hamburger Filmlegende. Großes Kino.

Seit dem prächtigen Start lag der rote Teppich regelmäßig vor der Hausnummer 38, die Wörter Premieren, Hollywood und Streit's bildeten flüssig einen Satz . 1963 feierte "Irma la Douce" mit Shirley MacLaine und Jack Lemmon Premiere. "Was gibt's Neues, Pussy?" (1965), "Einer flog über das Kuckucksnest" (1976), "Gandhi" (1983), "Yentl" (1984), "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" (1994) - die Liste der großen Filme, die hier erstmals in Deutschland zu sehen waren, ist so eindrucksvoll wie Namen der Stars: Barbra Streisand, Liza Minnelli, Michael Douglas, Jack Nicholson, Wolfgang Petersen.

Jungfernstieg, Hausnummer 38, gestern Mittag. Im fünften Stock, mit einem traumhaften Blick über die Alster, sitzen Peter und Christoph Reimers in dem Konferenzraum ihrer Grundstücksgesellschaft und setzen sympathische Mienen auf. "Wir sind traurig", sagt Christoph Reimers. "Doch irgendwann ist alles mal endlich." Christoph Reimers, 42, und seinem Vater Peter, 76, gehört das Streits's-Haus, das auch dem Kino seinen Namen gibt. Denn Christian Daniel Friedrich Streit hatte das Haus 1837 als Hotel erbaut. 1945 nutzten die Briten es als Offiziersquartier. Nach deren Abzug wurde der Festsaal zum Kino und der Rest zum Bürohaus.

Die Reimers sind Vermieter und sie hatten immer "ein gutes Verhältnis zum Kino", doch jetzt, so Peter, habe das Programm-Kino keine Zukunft mehr. Das sei, so der Sohn, wie der Zyklus einer Marke. Lange hätten sie es versucht, häufige Mieterwechsel überstanden, hätten Zugeständnisse gemacht, sich an Investitionen wie dem Barausbau beteiligt und bei der Miete, da seien sie ihren Mietern immer wieder entgegengekommen. Über Jahre. Jetzt läuft der Vertrag mit dem Betreiber Greater Union aus, und Vater und Sohn werden ihn nicht verlängern. "Wir sind Hamburger Kaufleute", sagt Peter Reimers. "Es fällt uns nicht leicht, aber wir haben kein schlechtes Gewissen."

Sie sind Kaufleute, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Und am schleichenden Niedergang des Kinos tragen sie auch keine Schuld.

Die erste große Kino-Krise begann in den 60er-Jahren. Fast alle deutschen Haushalte hatten jetzt Fernsehen. Die Nation saß abends vor der Glotze - und immer seltener im Kinosaal. Bald eroberten das Farbfernsehen und in den 80ern Video-Rekorder den Markt.

Das Kino-Sterben verlief parallel. Sechs Jahre nach der Gründung des Streit's gingen in Hamburg nur noch halb so viele Menschen ins Kino. Bis 1966 hatte sich die Zahl nochmals halbiert. Von den 174 Kinos im Jahr 1957 sind heute noch rund 20 übrig.

Das Streit's war lange dagegen gefeit: Der legendäre Ruf, der große Saal, die Riesenleinwand, der Stil des Hauses und die zentrale Lage - krisensicher, schien es. Doch in den vergangenen beiden Jahrzehnten nutzte sich auch das ab. 1980 übernahm die Ufa vom US-Giganten 20th Century Fox das Kino und ging 2002 in die Insolvenz. Es folgte CineStar und schon im November 2003 Greater Union.

Die vielen Wechsel beschreiben den unsicheren Markt, aber auch die großen Premieren laufen inzwischen erstens in Berlin und zweitens in den Multiplex-Kinos. Nur ab und zu schaut noch mal echte Prominenz vorbei, so 2005 Keira Knightley bei der B-Premiere zu "Stolz und Vorurteil". 2009 reichte es nur noch für "All inclusive" mit Vince Vaughn. Der kam zwar auch aus Hollywood, brachte mit seinem Film aber den Hauch von Zweitklassigkeit mit. Großes Kino - das war einmal. Das Streit's versuchte es mit einer Nische und setzte auf Filme in Originalversion, ohne Untertitel. Es wurde auch technisch aufgerüstet, das Kino ist 3-D-tauglich. Ob das genug Besucher anlockte, darüber schweigen die Betreiber. Und sie scheinen sich sogar mit dem Aus abgefunden zu haben, auch wenn sie die beiden Jahre bis zum Auslaufen des Mietvertrags weitermachen wollen. "Dies bedeutet für uns nicht, dass wir beabsichtigen, dem Hamburger Markt den Rücken zu kehren." Sie suchen nach einem anderen Standort. Das war das Einzige, was sie schriftlich verlautbaren ließen.

Auch die Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) trauert mit gebremster Emotion. "Es ist natürlich schade, dass diese schöne Adresse am Jungfernstieg in Zukunft kein Kino mehr beherbergen soll. Ich begrüße aber die Absicht des Betreibers, sich hier in Hamburg weiter engagieren zu wollen. Ich glaube auch nicht, dass die Aufgabe des Kinos am Jungfernstieg Auswirkungen auf unsere Programmkinolandschaft hat, die ja in Hamburg sehr profiliert ist", sagte sie gestern.

Und so führt der einzige rote Teppich, der heute auf dem Jungfernstieg liegt, in ein Modegeschäft. Zwei Hauseingänge weiter, vor dem Eingang zum Streit's, steht ein Mann in kariertem Hemd in der Sonne und raucht. Er hat dunkle Augenringe, und als er angesprochen wird, verdunkelt sich auch sein sonst sehr freundlicher Blick. Er ist der Vorführer im Streit's, seit 30 Jahren. Auf das Ende des Kinos angesprochen zu werden gefällt ihm nicht. Schon gar nicht in seiner Pause. "Warten wir's mal ab", sagt er und ascht in den großen Behälter. "Mehr sach ich dazu nicht." Sein Arbeitgeber Greater Union hat dem Mann einen Maulkorb verpasst, so wie allen Mitarbeitern. Aber muss man so ein Haus nicht retten? Der Mann lacht. "Wenn ich einen Sechser im Lotto hab, dann kauf ich das", sagt er.

Oder es geschieht ein anderes Wunder. Das Passage lebt ja schließlich wieder, obwohl nach der Schließung 2009 niemand mit einem Comeback gerechnet hatte.