Berlins Zögern gegenüber Gaddafi ist heikel, aber nachvollziehbar

Die Steigerung von Dilemma heißt Polylemma. Dies liegt dann vor, wenn mehr als zwei Optionen eigenen Handelns negative Folgen haben können. In der Frage militärischer Maßnahmen gegen das Regime in Libyen und der Abstimmung über eine entsprechende Uno-Resolution stand die Bundesregierung vor der Wahl: Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung. Jede dieser Handlungsoptionen ist mit Risiken belastet. Zustimmung bedeutete Absegnung eines Kriegseinsatzes mit unwägbaren Gefahren, Ablehnung einen Freifahrtschein für die Gaddafi-Soldateska beim Niedermetzeln der Opposition. Berlin hat sich für Enthaltung entschieden; es ist eine Position im Ungefähren und eine unbefriedigende Lösung angesichts der libyschen Opfer; zudem isoliert sie Deutschland von seinen wichtigsten EU-Verbündeten. Das blitzartige Einknicken Gaddafis vor der Uno-Resolution Nummer 1973, mit dem er westliche Luftangriffe unterlaufen will, lässt die Bundesregierung zudem düpiert dastehen. Es wirkt, als habe sie versäumt, zu helfen, den libyschen Bruderkrieg durch den Aufbau einer Drohkulisse rasch zu beenden.

Doch noch ist die Krise keineswegs beigelegt. Gaddafi ist ein äußerst gerissener Taktiker. Es ist denkbar, dass er auf Zeit spielt, Kampfjets und Panzer zurückhält, während seine Spezialeinheiten weiter Jagd auf Oppositionelle machen.

Noch immer könnte es zu westlichen Kampfeinsätzen kommen. Und die Berliner Position, sich nicht daran beteiligen zu wollen, ist nachvollziehbar. Man muss bedenken, dass der Sicherheitsrat nicht nur die Einrichtung einer Flugverbotszone abgesegnet hat - was angesichts der militärischen Fakten auch kaum noch Wirkung zeigen würde - sondern auch Angriffe auf Gaddafis Bodentruppen. Dies sind massive kriegerische Handlungen, die die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation in sich tragen. Zudem ist die chronisch unterfinanzierte und von Verzwergung bedrohte Bundeswehr bereits mit 7000 Soldaten im Auslandseinsatz und am Anschlag ihrer Kapazität. Ein weiterer Kampfeinsatz deutscher Soldaten ist weder anzuraten noch zumutbar.

Dass Frankreichs Staatspräsident Sarkozy sich kampfesfreudig gebärdet wie weiland Napoleon, hat nicht nur humanitäre Motive: Sarkozy will in der Nordafrika-Politik verlorenen Einfluss zurückholen - vor allem aber vergessen machen, dass er Diktator Gaddafi vor Kurzem noch aus Leibeskräften hofierte und ihm jene Waffen verkaufte, die nun gegen libysche Zivilisten eingesetzt worden sind.