St. Michaelis heißt die Kirche in der Neustadt. Doch die Hamburger sagen Michel - ein Zeichen der Verbundenheit

Unser Michel. Kein Festtag, an dem die Menschen nicht scharenweise zu Gottesdiensten oder Konzerten strömen, kein Jahr, in dem weniger als eine Million Touristen den Prachtbau besuchen, kein Hamburger, der sich ihr nicht verbunden fühlt - der stolzen Hauptkirche am Hafenrand. Hier schlägt das Herz der Stadt, heißt es. Und tatsächlich scheinen die angeblich so spröden Hamburger an der Kirche einen Narren gefressen zu haben. Warum sonst haben sie aus dem imposanten "St. Michaelis" ein freundschaftliches "Michel" gemacht? Und warum helfen sie der Kirche immer wieder aus der Patsche, wenn's finanziell eng wird? An diesem Wochenende feiert das Gotteshaus mit dem prägnanten Kupferhelm seinen 350. Geburtstag. Ein Anlass, sich auf die Suche zu machen nach den Gründen seiner Strahlkraft.

Für Michel-Hauptpastor Alexander Röder liegt das Besondere in der Architektur. "In seiner heutigen Form ist St. Michaelis eine Barockkirche - dieser Baustil ist in Hamburg weitgehend verloren gegangen." Welches Mysterium damals eine solch prächtige Kirche mitten in einem Arme-Leute-Viertel bedeutet habe, könne man heute nur noch ahnen. "Sie war eine moderne Antwort auf die gotischen Kirchen in der Altstadt", so Röder. Die hätten sich eher von der Welt abgeschottet - durch kleine Eingänge und bunte Fenster, die das Tageslicht abhalten. Der Michel dagegen sei eine lutherische Kirche, wurde er doch als einzige der Hamburger Hauptkirchen nach der Reformation gebaut. Das Wort sollte Raum bekommen, daher die große Kanzel, die Welt sollte Einlass finden: durch die Sonnenstrahlen, die durch die klaren Fenster fallen, den ursprünglichen Haupteingang, der nach Süden, zum lebendigen Hafen hin, lag, und das Kirchenschiff, das mit 2500 Sitzplätzen mehr als doppelt so viele Menschen aufnimmt wie die übrigen Hauptkirchen. "Ein besonderes Merkmal des Michels ist, dass er sich trotz seiner barocken Pracht immer volkstümlich gegeben hat", sagt Alexander Röder. In den Wirren der Kriege bot er den Menschen Schutz vor Feind und Bombenhagel, heute singt an den Hafengeburtstagen der Shantychor, es gibt Motorradgottesdienste, Aktionen für Kinder und eine starke Jugendarbeit.

Dass der Michel weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt ist, liegt für Georg Wiarda, 85, an seiner Lage. "Die Kirche steht auf einem Berg. Ihr Turm war das Erste, was die Seeleute sahen, wenn sie sich mit ihrem Schiff dem Hafen näherten." Sein Anblick ließ ihre Herzen höher schlagen - verhieß er ihnen doch das Ende ihrer beschwerlichen Reise und Vergnügungen im nahen St. Pauli. Wiarda, der gerade an einer Neuauflage des Buches "Der Hamburger Michel. Geschichte und Geschichten" schreibt, ist im Schatten der Kirche aufgewachsen - als Sohn von Hamburgs "Erstem Beamten", der damals für die Verwaltung des Michels zuständig war. Besonders angetan war der Knirps, wenn Orgelmusik das Kirchenschiff erfüllte. "Durch das Schallloch in der Decke klang es so, als käme die Musik aus dem Himmel", erinnert sich Wiarda. Auch nachdem er weggezogen war, blieb er dem Michel treu: war in Chor und Kirchenvorstand aktiv und baute in der Krypta eine Ausstellung über die Michel-Geschichte auf.

Eine Liebe aus Kindertagen, die bis heute anhält, ist die Kirche auch für Heike Schröder, 71. "Der Michel ist mein Leben", sagt sie. "Schon als Kind hat er mich fasziniert. Und noch heute fühle ich mich nirgendwo so geborgen wie hier." Seit nunmehr 48 Jahren steht sie in seinen Diensten: zunächst als Sekretärin der Hauptpastoren, seit ihrer Pensionierung als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Stiftung St. Michaelis, die Spenden für die Hauptkirche sammelt. Auch sie selber hat schon verschiedentlich in die Tasche gegriffen, um ihrem Michel Gutes zu tun, und hat einen sogenannten Lichtpunkt für die Außenbeleuchtung und einen eigenen Sitzplatz in der Kirche erworben. Denn schon lange bevor das Wort "Fundraising" in Mode kam, wurden für den Michel Spendenaktionen initiiert. Schon am Bau der ersten großen Michaeliskirche, die am 14. März 1661 geweiht wurde, hatten sich die Hamburger finanziell beteiligt. "Damals gingen die vornehmen Herrschaften durch die Stadt und sammelten", weiß Michel-Pastor Röder, "außerdem gab es in allen Kirchen der Stadt Kollekten für den Neubau." Das bürgerliche Engagement wiederholte sich nach dem Blitzschlag, durch den der Michel 1750 abbrannte, und auch nach den Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs.

Die größte Spendenwelle aber kam ins Rollen, als 1983 die Sanierung begann. Sie dauerte 27 Jahre und verschlang 26 Millionen Euro - Stadt und Bund übernahmen 900 000 Euro. Mehr als elf Millionen Euro wurden gespendet. Da schickte ein Hamburger Kaufmann aus Übersee vier Millionen Mark, lagen Wertpapiere im Briefkasten des Michel, gingen Geldspenden zwischen einigen Mark bis zu siebenstelligen Summen ein. Partner und Sponsoren wie die Hamburger Sparkasse und die Norddeutsche Affinerie (heute Aurubis) wurden ins Boot geholt, Patenschaften für Engel, Bänke und Orgelpfeifen angeboten, Michel-Tafeln, Michel-Lose und Michel-Uhren aus dem alten Kupfer des Turms verkauft.

"Der Turm des Michel ist genauso bedeutungsvoll wie das Stadtwappen", sagt Bauhistoriker und Autor Boris Meyn. Er bezweifelt, dass die als "neues Wahrzeichen" gehandelte Elbphilharmonie der Kirche diesen Rang ablaufen wird. Weder optisch noch akustisch. Schließlich sind die Glocken des Michels schon seit 1929 jeden Sonntag weltweit zu hören: bei der ältesten noch ausgestrahlten Radiosendung überhaupt, den berühmten Hamburger Hafenkonzerten.

Festgottesdienst am Sonntag, 13. März, um 10 Uhr