Der Herausgeber der Zeitschrift “Yacht“ und ehemalige Abendblatt-Chefredakteur Menso Heyl hat mit seiner Frau 13 Wochen auf der Ostsee verbracht und ein Buch darüber geschrieben. Das Abendblatt druckt Auszüge

Am Morgen ist der Geruch der See besonders. Bevor die Sonne stark genug scheint, riecht das Meer wie ein Garten, der sonst nirgendwo zu finden ist. Hätte die Farbe Blau einen Duft, er wäre so. Um 8 Uhr 30 klopft es an unseren Rumpf. Der Skipper der "Crescendo", eine Hallberg Rassy 36, steht auf dem Steg. "Meine Frau hat gerade den Schweden gehört", den Seefunk-Wetterdienst von Stockholm Radio auf Kanal 21. "Wir gehen raus. Sonst liegen wir die nächsten zwei Tage hier eingeweht." Uwe und Renate hatten uns am Abend in Ystad, Südschweden, zu einem Glas guten Badener auf ihre "Crescendo" eingeladen. Sie sind auch Hamburger, das ist bei Seglern oft von Weitem zu erkennen. Der Heimathafen steht meist gut sichtbar am Heck ihres Schiffes. Die Wettervorhersage für die nächsten drei Tage war zunächst äußerst unerfreulich gewesen. Kernsatz des Berichtes: "Gewittertief 1008 Westdeutschland, vertiefend, nordostziehend, heute Nacht 990 Südschweden."

Das versprach Schlechtwetter, Regen, Wind. Erst aus Südost bis fünf Beaufort, dann westdrehend, zunehmend sechs und schwere Gewitterböen. (...) Alles zusammengenommen kommen wir zu dem Schluss, dass wir nur noch während des heutigen Tages bei Sonnenschein und einigermaßen günstigen Bedingungen um die Südostecke von Schweden herumsegeln können. Bei den Westwinden, die danach für einige Zeit heftig wehen, werden wir dann im Schutz der ostschwedischen Küste sein. Dennoch schwanken wir einen Augenblick mit der Entscheidung, zu bleiben oder nicht. Der Eindruck aus den Werbebroschüren der Landschaft Schonen klingt noch nach. "Es ist wie ein anderes Land", hatten wir gelesen. (...) Hier, so hieß es, würden sich Himmel und Meer auf eine Art begegnen, die die Zeit zum Stillstand bringt. So nah käme man dem Himmel hier. Ystad hatte bei Seglern lange den Ruf eines langweiligen Übernacht-Hafens. (...) Ein Schmugglernest war Ystad auch vor Langem. Einige Straßennamen zeugen noch davon, "Betrügerweg", "Trinkergasse". Inzwischen ist die Stadt als Lebensschauplatz des Bestseller-Helden Kurt Wallander für viele Krimileser zum Begriff geworden. Die Touristeninformation gibt Straßenkarten heraus, die jeden, der mag, auf Wallanders Spuren durch Ystad leiten. (...) Es hilft alles nichts, auch wir laufen aus. Wir müssen eben darauf verzichten, aus der Hauptstadt von Henning Mankells Kriminalsaga Postkarten an unsere Freunde zu verschicken. (...) Die meisten Segler, die wir hier draußen treffen, sind wie wir Babyboomer, Nachkriegskinder - die Generation mit Geburtsdatum rund um 1950. Bei vielen von ihnen ist es mit dem Job gerade vorbei. Und das Leben beginnt? Wäre schade, wenn es jetzt erst losgeht. Aber Zeit für den gelebten Augenblick zu haben, diese Chance - für einige ist sie auch eine Klippe - haben offensichtlich mehr und mehr aus jener Generation. In diesen Maitagen, nicht wirklich hohe Urlaubszeit, scheint eine große europäische Flotte von ihnen unterwegs zu sein.

"Ha, ihr geht heute noch raus. Ihr habt es also immer noch eilig", sagt die sympathische Bordfrau der "Indian II", eine Bremerin, lächelnd. Sie hat recht. Es nicht eilig zu haben, das ist Lebenskunst. Dahin zu kommen, daran wäre zu arbeiten. Wo hatte ich jene herrlichen Beschreibungen von Menschen gelesen, die selbst den Flügelschlag eines Schmetterlings nicht dem Zufall überlassen wollen? Ja, das war in dem kleinen und wunderbaren Buch über die Gezeiten des Lebens von Thilo Bode. Es trägt den Titel "Nimm zuerst ein kleines Boot", und er schreibt darin: "Ich kenne einen hervorragenden Anwalt, der Familienausflüge mit derselben Sorgfalt plant, mit der er Fälle vor Gericht vertritt. Zur Bestürzung seiner Frau und seiner Kinder besteht er darauf, sich vor dem Aufbruch auf jeden möglichen Zufall, jedes denkbare Unglück vorzubereiten. Das Leben ist für ihn ein Gerichtsverfahren, eine echte Prüfung; er steht in einer gegnerischen Beziehung zu ihm und versucht, es mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Als Folge davon verpasst er die einfachen, unerwarteten Freuden des Augenblicks.

(...) Wovor das Beispiel warnt? So sehr damit beschäftigt zu sein, die Zukunft zu verhindern, dass es nie ein Jetzt gibt. (...) Ich schaue auf die leicht bewegte See. Ich sehe das Flirren der Luft über der Kimm, die hohen Wolken mit den feinen Fasern. Ein Moment der Stille, in dem mir klar wird, dass ich dankbar sein muss. Mit MaryAnn habe ich - so temperamentgeladen sie manchmal auch sein kann - die Frau, ohne die mir mein Leben nicht vorstellbar wäre. Wir haben zwei wunderbare Söhne. Im Job ist es irgendwie immer ganz gut gelaufen. Und jetzt haben wir sogar die Chance, unsere Zeit zu genießen. Gemeinsam. Ich fühle den Wind auf meinem Gesicht und auf meinen Händen. Ich höre das Gurgeln des Wassers am Rumpf. Ich habe den Kopf frei, das alles zu spüren. Und ich weiß, dass ich gerade über eine Brücke gehe, über die zu gehen wichtig ist. Mein Blick wandert vom Himmel zum Wasser, zum Bug, nach vorn. Das fühlt sich an, wie der Zukunft direkt ins Auge zu sehen. Ins Auge sehen. Für einen Moment am Ruder trägt mich der Gedanke mit sich fort. Ich richte mich auf, nehme den Kopf hoch, schaue wirklich geradeaus, will obendrein mit fester Stimme etwas sagen. Und muss lachen. Hier gibt es keine Zuschauer. Es reicht, sich glücklich zu fühlen. Niemand muss es sehen. Etwas Neues zu beginnen, was immer das Neue auch ist, dieses Lebensabenteuer mit 59 scheint mir in diesem Moment hier draußen so groß, wie das Lebensabenteuer, in das wir uns alle stürzen, wenn wir 20 sind. (...) Stille, bis auf das Rauschen des Windes. Die Segel füllen sich und stehen voll - eine mächtige Hand greift unter das Schiff, und alles, was drauf und drin ist, alles wird vorwärtsgeschoben. Draußen ist nur noch das Gurgeln des Wassers. Die Geräusche haben Harmonie. Du übergibst an eine unbegreiflich große Kraft. Und sie hält dich. So fühlt ein Fallschirmspringer, wenn sich sein Schirm öffnet.

Wir bleiben in guter Entfernung von der Küste. Im Laufe der 16 Seemeilen bis Simrishamn, ein Kreuzschlag inklusive, dreht der Wind südlicher. Halber Wind, vier bis fünf Beaufort, strahlender Sonnenschein, es wird ein schöner, wenn auch kurzer Segeltag. (...) Acht Stunden auf dem Wasser, das verlangt unserem Bordhund eine Riesenleistung ab - aushalten. Emmy ist ein schottischer Terrier, genau der Typ Hund wie der schwarze auf dem Etikett der Whiskymarke "Black & White". Diese Schotten, sagt man, sind konservativ. Alles muss immer gleich ablaufen. Fressen zur selben Zeit. Napf am selben Ort. Natürlich immer derselbe Napf, der Inhalt darf leicht variieren. Jede Abwechslung von gewohnten Abläufen wird mit skeptischem Blick und distanziertem Verhalten quittiert. Terrier, wie der Name sagt, sind "Erdhunde". Und wenn sie bereit sind, auf ein Boot mitzukommen, wo sich immer alles verändert, zeigen ihre Menschen besser Dankbarkeit. (...) Hunde haben an Bord eine für Frauen nutzbringende Funktion. Sie bremsen den Mann. Der Mann ist meist - wenn langsam auch nicht mehr immer - der Skipper. Und als Skipper wollen Männer gleich bis Feuerland durchsegeln. Ohne Stopp. Also bringen Frauen Hunde an Bord. Das begrenzt die Tagesetappen, weil - wie gesagt - der Hund morgens und abends an Land muss. So domestiziert der Bordhund den Skipper. Eine viel zu selten gewürdigte Kulturleistung des Tieres.