Oben einhängen, unter aufstecken: Das alte Unilever- wird zum Emporio-Haus. Alle 2700 Fenster der geschützten Fassade sind eingesetzt.

Neustadt. So könnte eine Ufo-Landung aussehen: erst langsam-geräuschloses Herabschweben, dabei kaum merkliches Schwanken, dann sicher-abruptes Aufsetzen. Doch geht es hier gerade nicht um ein Raumschiff, sondern um ein Fenster. Eines der letzten, das jetzt im Emporio-Haus, dem alten Unilever-Gebäude, eingesetzt wurde, eines von rund 2700 verbauten Scheibenteilen seit Mai 2010. Damit hat der zwischenzeitlich komplett entkernte 100-Meter-Turmbau am Dammtorwall seine gut 19 000 Quadratmeter große Glasfassade zurück. Und er sieht von außen wieder aus wie vor Sanierungsbeginn Mitte 2009.

"Er sieht aber auch nur so aus", sagt Ralf Schulze. Der 38-Jährige, Inhaber und Geschäftsführer der für den Fassadeneinbau verantwortlichen Jenaer Firma P & S Systemmontage GmbH, steht gerade im umwindeten 23. Stock des Emporio-Hauses - Aug' in Aug' mit der Aussichtsplattform des Fernsehturms und mit den Turmspitzen von Rathaus und St. Petri. Gerade zieht er das nächste Fenster zu sich heran. Schulze steht gemeinsam mit seinem Kollegen Marco Krüger, 37, vor einer Eisenstange. Hinter dieser Absturzsicherung ist nur ein Fuß breit Platz - danach nur noch Himmel. Gesichert sind die beiden Männer nicht. Gesichert ist lediglich der Dritte im Bunde, Ronny Langer, 30, der jenseits des Absturzschutzes steht: Er, der immer als Erster die ankommenden Fenster vom Kran annimmt, trägt ein Geschirr samt Drahtseilkette um den Körper. Schwindelig? Die Männer schütteln fröhlich den Kopf. Kaum zu glauben, hier, auf dem nackt-kalten Beton. Über den Böen brausen, die das Atmen schwer machen. Und die doch nicht verhindern können, dass dieser typische Baustellengeruch aus Matsch, Zement und Mörtel in die Nase kriecht.

Wie das mit dem Einsetzen der bis dato noch in Schutzfolie gehüllten Fenster genau funktioniert, das wird Ralf Schulze später genauer erklären. Zunächst will Georgios Kordelas, der Projektleiter des Emporio-Turms, erläutern, was es mit dem neu-alten Antlitz des Baus auf sich hat. Während der 43-Jährige mit einem Auge die Fenstermontage der Handwerker begutachtet, sagt er: "Tatsächlich sieht das neue Emporio-Haus aus wie sein Unilever-Vorgänger. Das muss auch so sein, denn das Gebäude steht unter Denkmalschutz." Technisch jedoch habe sich einiges verändert. "Das Emporio-Hochhaus wird nach der Revitalisierung ein sogenanntes Green Building sein", sagt Kordelas, der Mann im Anzug, und zählt auf: Heute, bei den hier verarbeiteten Fenstern des Unternehmens Haskamp aus Edewecht bei Bremen, gebe es eine hochwertige Isolierverglasung. Davor einen außenliegenden Sonnenschutz. Und wiederum davor eine sogenannte Prallscheibe, die den Sonnenschutz - manuell und individuell steuerbar - vor allzu heftigem Geflatter schütze. Früher hingegen habe es bloß eine schlichte Einfachverglasung gegeben. "Damals", sagt Kordelas, "konnte man die Fenster nicht mal öffnen."

Das sei nun anders, meldet sich Ralf Schulze zurück, während er den Blick auf die "Monopoly"-Haus-kleinen Messehallen richtet und seinen lockigen Pferdeschwanz im Wind baumeln lässt. Schulze beginnt vom Fenstereinbau zu erzählen: "Fangen wir mal vorne an, nämlich bei den Daten der Fassadenteile: 1,90 Meter breit und 3,75 Meter hoch sind die und etwa 700 Kilo schwer." Dann erläutert Schulze den technischen Ablauf: Erst würden die Fassadenteile mit dem Kran - mit 120 Metern einer der höchsten frei stehenden Kräne Europas - eine Etage über jenen Stock gehievt, für den sie bestimmt seien, von der tiefsten bis in die höchste Etage. Danach führen sie sachte nach unten, und zwar so, dass sie oben eingehängt und unten aufgesteckt würden. Schließlich komme die Feinjustierung mit millimetergenauem Fugenmessen, um sicherzustellen, dass sowohl die Horizontale als auch die Vertikale plan seien. "Wir arbeiten nach dem Baukastenprinzip, das ist Tetris für Große", sagt Ralf Schulze in Anspielung auf das bekannte Computerspiel. 45 Fenster am Tag hätten er und seine Kollegen in Spitzenzeiten angebracht.

Nun also ist das Emporio-Haus gänzlich "verfenstert". Einzige Ausnahmen: das Erdgeschoss, das bis März eine sieben Meter hohe Rundumverglasung erhalten soll, und ein vertikaler Streifen an der Ostseite des Gebäudes, die Fahrrinne des Außenaufzugs. Projektleiter Georgios Kordelas, nun wieder am Boden, sieht für seine Baustelle "ein wichtiges Etappenziel" erreicht: "Jetzt, da die Hülle steht, kann endlich der Innenraum gestaltet werden." Im April starte der "Mieterausbau": die Herrichtung von Decken, Wänden und Böden.

Das sei jedoch nicht mehr sein Bier, sagt Ralf Schulze. Die Arme in die Hüfte gestemmt, steht er nach dem Einbau des letzten Fensters in der 23. Etage wieder unten und blickt den Emporio-Turm hinauf. Zufrieden mit dem Ergebnis? Froh darüber, dass die vielleicht als Sisyphosarbeit betrachtete Aufgabe erledigt ist? "Zufrieden, sicher", antwortet Schulze. "Aber dass wir das hinbekommen würden, war uns von Beginn an klar. Schließlich machen wir diesen Job seit 15 Jahren, haben schon größere Projekte bewältigt." Ufo-Landungen - für Ralf Schulze und seine Kollegen sind sie eben schlichtweg Alltag.