Bezirke klagen über finanzielle Einschnitte und zu wenig Personal. Doch wie sieht die Realität für Bürgerinnen und Bürger wirklich aus?

Hamburg. Mit der mir zugewiesenen Nummer 486 reihe ich mich in das deutsche Amtssystem ein. Punkt 11.19 Uhr spuckt der Nummernautomat im Kundenzentrum des Bezirksamts Eimsbüttel den Zettel aus, der mich die Wartezeit abschätzen lässt, um umzugsbedingte Adressänderungen in meine Papiere eintragen zu lassen. Der vom typischen Bürogrün gezierte Warteraum ist voll. Aktuell blinkt Nummer 459 an der Anzeigetafel auf. Als durchschnittlich begabter Mathematiker überschlage ich ungefähr 27 privilegiertere Kunden als mich, also eine halbe Stunde Karenz. Gut gelaunt greife ich zum Stapel mit den An- und Ummeldeformularen. Meiner Bitte nach einem Kugelschreiber kommt eine der drei jungen Empfangsdamen nach, und zwar mit dem netten Hinweis "WmF - Wiedersehen macht Freude".

Es ist Montagvormittag. Hier und heute sind die Klagen der Bezirksamtsleiter, es gebe zu wenig Personal in ihren Ämtern, nicht ersichtlich. Neben den drei Empfangsmitarbeiterinnen kümmern sich sechs Sachbearbeiter um die Untiefen der bürgerlichen Meldeanliegen. Die rasche Folge des "Ding-Dongs" unter der Anzeigetafel spricht für einen flüssigen Kundenstrom. Dass laut Amtsleiter Torsten Sevecke (SPD) 80 von 870 Stellen in seinem Bezirksamt unbesetzt sind, scheint sich im Meldewesen nicht niederzuschlagen. Oder es ist Ausdruck praktizierter Mitarbeiter-Rotation innerhalb seines Hauses. Jedenfalls fluktuiert es angesichts des vollen Warteraums recht ordentlich. Ein Eindruck, den auch die junge Dame neben mir teilt.

Stefanie Daras hat Wartenummer 488 und ist kürzlich nach Hamburg gezogen. Die gebürtige Staderin hat schon in München im Amt gesessen. "Dort hat das drei Stunden gedauert", sagt die 25-Jährige. Insofern könne sie mit einer halben Stunde Wartezeit sehr gut leben. "Aber man sieht schon, dass die Leute hier gut zu tun haben. Ein weiterer Stellenabbau würde wahrscheinlich zulasten der Kunden gehen."

Dass diese Ahnung in der Wohngeldstelle längst Realität ist, zeigt ein Blick in die Büros des Sachgebiets. Akten stapeln sich auf Schreibtischen und Stühlen. "Seit einem Jahr kommen wir mit der Bearbeitung nicht hinterher", sagt Sigrid Wiehe, Leiterin der Wohngeldstelle. Zwei Vollzeitstellen in ihrem Bereich seien nicht besetzt, dann seien auch noch zwei Kollegen länger krank gewesen, Ersatz gab es keinen. Das Resultat seien ein formidabler Bearbeitungsstau, lange Wartezeiten für Bittsteller und eine imposante Zahl von Überstunden bei den Sachbearbeitern. Die Situation habe sich seit der Rückkehr der beiden erkrankten Kollegen zwar leicht verbessert, "aber wir haben noch immer einen Rückstand von 1029 zu bearbeitenden Akten".

Die Visite im Bezirksamt zeigt: Die vom Senat diktierten Sparvorgaben an die Bezirke - etwa, vakante Stellen nicht neu zu besetzen - wirken sich nicht zwangsläufig auf den direkten Kundenkontakt aus. Vielmehr kommt der Ärger zeitversetzt, weil Anträge zwar relativ problemlos abgegeben werden können, aber in der Folge die Sachbearbeiter in den Fachämtern mit der Papier-Flut überfordert sind. Wie berichtet, sind in den sieben Bezirksämtern der Stadt Hunderte Stellen unbesetzt. "Allein in diesem Jahr sollen wir zusätzlich 10,6 Millionen Euro sparen. Das ist eine Zumutung", echauffierte sich Mittes Amtsleiter Markus Schreiber (SPD) im Abendblatt. Die Folge sei, dass einzelne Bereiche wie Elterngeld- oder Wohngeldstellen längere Bearbeitungszeiten verbuchen, sagte sein Eimsbüttler Amtskollege Torsten Sevecke. Und Wolfgang Kopitzsch (SPD), Chef des Bezirks Nord, prognostizierte: "Wenn wir weiter sparen müssen, müssen wir bis 2014 mehr als 100 Stellen streichen." 74 seien schon vakant.

Darunter litt der Amtsbesuch von Janina Schulz aber noch nicht. Die junge Mutter verlässt gerade das Bezirksamt Nord, hat dort einen Kita-Gutschein beantragt. "Und ich wurde eine Stunde sehr gut beraten." Voll sei es in Ämtern immer, deshalb habe der 22-jährigen Köchin die vorangegangene Wartezeit nichts ausgemacht. Jetzt sei sie aber gespannt, ob das Bezirksamt Nord seine Ansage halten könne. "Am Mittwoch kommender Woche soll der Antrag bearbeitet sein." Wenn das klappe, sei der Service in Ordnung.

Eine Mitarbeiterin aus dem sozialen Bereich des Bezirksamts Nord - sie möchte nicht namentlich genannt werden - relativiert die Aussagen jedoch. "Viele Kunden regen sich zu Recht auf, dass die Bearbeitung ihrer Anträge so lange dauert. Dabei ist das kein Wunder. Wir müssen mit der Hälfte des Personals die doppelte Arbeit machen." Letztes Beispiel sei die vom Senat beschlossene Gebührenerhöhung im Kita-Bereich gewesen. Die neuen Vorgaben umzusetzen blieb dem alten Mitarbeiterstamm überlassen. Neue Leute für die zusätzlichen Aufgaben wurden nicht eingestellt. Anträge lagen lange auf Eis.

Die Quittung dafür bekam Patricia Stoye am 14. Januar mit der Post (siehe auch Seite 10). Mitte Oktober hatte sie einen Folgeantrag für Hort- und Kita-Betreuung ihrer Söhne Noah, 9, und Joel, 4, beim Bezirksamt Nord eingereicht. Weil die Neuberechnung drei Monate in Anspruch nahm und die Barmbekerin von der Gebührenerhöhung betroffen ist, darf sie nun auf einen Schlag rund 1000 Euro für das vergangene Vierteljahr nachzahlen. "Das ärgert mich und bringt unsere Familie in arge finanzielle Bedrängnis", sagt die 31-Jährige. Sie müsse nun ausbaden, dass eine ungenügende Anzahl Mitarbeiter im Fachamt länger für die Bearbeitung ihres Antrages brauchte.

"Die Unzufriedenheit der Bürger ist nachvollziehbar", sagt der Landeschef des Deutschen Beamtenbundes, Rudolf Klüver. "Jetzt aber seinen Unmut an den Bezirken auszulassen ist falsch." Er erwarte vom Senat mehr Personal, ein "weiter so" könne es nicht geben. Andererseits meinen nicht wenige Kritiker, die Amtsleiter jammerten auf hohem Niveau. Zwar seien den Bezirken mit der Verwaltungsreform 2006 mehr Aufgaben übertragen worden, aber dafür habe es auch mehr Personal gegeben. So weist etwa der Hamburger Personalstrukturbericht des Jahres 2009 insgesamt 326 zusätzliche Vollzeitstellen in den sieben Bezirken aus.

Zu beobachten ist, dass der direkte Kundenservice auch mit reduziertem Personal gegeben ist. "Gute Organisation", nennt das Eimsbüttels Bezirkschef Torsten Sevecke. Fakt ist aber auch, dass punktuell Verwaltungsbereiche leiden, die Mitarbeiter auf dem Zahnfleisch gehen. "Ich weiß gar nicht, wie viele Überstunden ich habe", sagt Sigrid Wiehe in der Wohngeldstelle.

Ich für meinen Teil verlasse um exakt 12.10 Uhr mit frisch geklebten Adressschildchen auf Ausweis und Fahrzeugschein das Bezirksamt. 21 Euro ärmer und eine gestohlene Stunde reicher. Aber dafür war alles schön amtlich. Nummer 486 werde ich behalten.