Olaf Scholz holt Frank Horch in sein Team. Die CDU reagiert irritiert auf die Personalie, hielten sie ihn doch für einen der Ihren

Hamburg. Wäre dies das Kapitel eines politischen Romans, der Leser würde das Buch wohl zur Seite legen, weil die Schilderungen zu fantastisch klingen. Gestern wollte Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) eigentlich ins Miniatur Wunderland fahren, um bei der Übergabe seines geringelten Poloshirts dabei zu sein. Ahlhaus hatte das berühmteste Hemd der Stadt selbst für "Kinder helfen Kindern" gespendet - als sympathische Geste der Selbstironie. Die Macher der Modelleisenbahn boten 5000 Euro, um aus dem Streifenshirt eventuell ein Zirkuszelt zu bauen. Doch seine Teilnahme hat Ahlhaus kurzfristig abgesagt.

Zu dieser Zeit gehörten die Schlagzeilen längst jemand anderem. Herausforderer Olaf Scholz (SPD) stellte sich vor die Presse, um seinen Kandidaten für den Posten des Wirtschaftssenators zu präsentieren: den Präses der Handelskammer, Frank Hoch. Ein echter Coup, gilt der Handelskammer-Chef doch qua Amt als Verbündeter der CDU.

Christoph Ahlhaus ist also nicht ins Wunderland gefahren. Am Tag, an dem sich der Gegner im Umfragehoch sonnt und im Blitzlichtgewitter seinen neuen Freund herzte - zum ersten Mal überhaupt ein Handelskammer-Präses in den Senat drängt -, hat man besser kein Ringelshirt in der Hand.

Dabei war es ein Überlauf mit Ansage. Kürzlich erst fragten sich CDU-Spitzenpolitiker während der "Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns" an Silvester, auf welcher Party sie eigentlich seien. Frank Horch lobte vollmundig die Wirtschaftspolitik des SPD-Kandidaten Scholz. Der hatte schon vor einem Jahr gepoltert, es regiere der "wirtschaftsfeindlichste Senat seit 1946". Vielleicht liefen damals schon Gespräche mit der SPD; die Handelskammer hatte sich jedenfalls zu dieser Zeit schon mit der CDU über die Schulreform und den möglichen Umzug der Universität in den Hafen hörbar überworfen.

Dennoch flammte gestern ein Schmerz des Verrats bei den Christdemokraten auf, auch wenn offizielle Äußerungen diplomatisch klangen. "Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Handelskammer überparteilich ist", sagte die Bürgerschaftsabgeordnete Karin Koop. Sie habe nicht damit gerechnet, dass der Präses in die Politik wechselt. "Und ich finde das nicht gut", sagt Koop, die bis 2008 CDU-Fraktionsvize war. Durch die Worte des amtierenden Fraktionschefs Frank Schira schimmerte gar Eifersucht. Der Präses habe erst kürzlich noch Ahlhaus als "Mann der Wirtschaft" bezeichnet, empörte sich Schira, zudem habe die Union den Handelskammer-Chef erst im Sommer ebenfalls in den Senat holen wollen. "Das scheiterte jedoch an den Grünen", sagte der Fraktionschef. Er hofft offenbar, dass der Primarschulgegner Frank Horch für schlechte Stimmung zwischen den Wunsch-Koalitionspartnern SPD und GAL sorgt.

Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit: Wie aus Wirtschaftskrisen zu hören ist, hatte Horch im Sommer erst aus der Zeitung erfahren, dass die Wahl auf den Unternehmer Ian Karan gefallen war. Diese Art des Umgangs dürfte sein Verhältnis zur CDU nicht gerade verbessert haben. Der Gesundheitsexperte der CDU, Harald Krüger, betonte seine Anerkennung und gratulierte der SPD beinahe zu diesem Schritt: "Respekt, dass es gelungen ist, so einen profilierten Mann ins Schattenkabinett zu holen", sagte er. Dagegen zeigte sich CDU-Wirtschaftsfachfrau Barbara Ahrons "irritiert": Sie hoffe, dass die SPD Horch nicht als Spielball benutze.

Darüber schwebt die Angst der Union vor dem Signal der Personalie Horch: dass die Roten besser Wirtschaft können als die Schwarzen.

Bei der GAL nahm man die Ankündigung betont gelassen. "Es ist nicht unüblich, dass die großen Parteien Schattensenatoren benennen", sagte Spitzenkandidatin Anja Hajduk tagsüber. Am Abend dann, als sie mit Olaf Scholz bei einer Veranstaltung des "Taz Salons" diskutierte, zeigte sich ein möglicher Grund für ihre Ruhe: Scholz erteilte der CDU eine klare Absage, auch das für die Öffentlichkeit zu einem überraschend frühen Zeitpunkt und ebenfalls sprühend vor Selbstbewusstsein: "Wir wollen, wenn wir einen Partner brauchen, mit der GAL verhandeln." Die Bürger wollten die CDU abwählen, so Scholz weiter, "aber sie will sich in den Senat hineinmogeln. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung."

Hajduk legte nach: "Ob wir brüskiert sind oder nicht, ist doch nicht die Frage, sondern es geht um Inhalt." Die Personalie Horch mache deutlich, "dass wir zwei verschiedene Parteien sind". So unterstütze Horch nicht den von der GAL angestrebten Rückkauf der Energienetze. Auch betonte Hajduk, wie wichtig "Kreativwirtschaft" für die GAL sei. Ob sie glaube, dass überhaupt jemand etwas gegen "Kreativwirtschaft" habe, sagte sie nicht.

Politikwissenschaftler Michael Th. Greven, der an der Diskussion teilnahm, interpretiert den Schachzug von Scholz so: "Die Personalie Horch zielt darauf ab, im CDU-Lager Stimmen abzuwerben." Das zeige, dass Scholz die Hoffnung auf eine absolute Mehrheit seiner Partei habe, so Greven weiter.

Überraschend ist, dass sich Frank Horch schon vor der Wahl im Februar für eine Zusammenarbeit mit der SPD entschieden hat. Damit hat der höchste Vertreter der Handelskammer gleichzeitig eine eindeutige Wahlempfehlung an die Hamburger Wirtschaft gesandt. Das ist ein bislang noch nie da gewesener Vorgang in der Geschichte der Kammer, die sich zuvor auf Forderungen an künftige Senate beschränkt hatte. Trotz des ungewöhnlich offenen Schritts blieb gestern ein Aufschrei von den eher der CDU nahestehenden Wirtschaftsvertretern aus. Tagsüber zumindest, denn sie glaubten, erkannt zu haben, dass Horch mit seinem Coup auch die für sie ungünstige Konstellation Rot-Grün verhindern könnte. "Mit dieser Personalie sind die Weichen für die Bildung der Großen Koalition gestellt", sagte Uli Wachholtz, Präsident des Unternehmensverbandes UVNord. "Die Grünen sind Gift für den Hamburger Hafen", setzte Thomas Eckelmann, Chef des größten europäischen Umschlagsunternehmens Eurogate, nach. Da hatte Scholz der CDU seine Absage noch nicht erteilt.

Andere Wirtschaftsvertreter gehen noch weiter und fordern vom SPD-Bürgermeisterkandiaten Scholz, dass er die Zuständigkeiten der Behörden neu ordnen sollte, um so der Wirtschaftsbehörde wieder mehr Kompetenzen zu sichern. So empfiehlt der Vorsitzende des Industrieverbandes, Hans-Theodor Kutsch, die Rahmenbedingungen in der Zusammenarbeit der Behörden zu ändern. Der neue Senator solle "aus der Wirtschaftsbehörde heraus Bereiche wie Energiepolitik, Verkehrsinfrastruktur sowie die Konzeptionen zur Ansiedlung von Wirtschaft und Industrie in der Stadt" vorantreiben können. Im Klartext: Der Aderlass der Behörde, den Bürgermeister Ole von Beust veranlasst hatte, soll wieder zurückgenommen werden.

Unterdessen hat in der Handelskammer die Suche nach einem neuen Präses begonnen. Bis Mai wird Horch-Vorgänger Karl-Joachim Dreyer die Geschäfte führen. Kandidaten gibt es viele: Michael Behrendt (Hapag-Lloyd), Jens Peter Breitengroß (Kappa International), Fritz Horst Melsheimer (Hanse Merkur) und Thomas M. Schünemann (Hamburger Software) werden gehandelt. Auch Plenumsmitglied Rainer Brüggestrat (Volksbank) ist als Nachfolger im Gespräch.