Der Dioxin-Skandal bringt kleinen Händlern ein deutliches Umsatzplus. Doch der Boom wird kaum anhalten. Ein Besuch vor Ort.

Hamburg. Kaum waren Rainer Schuster und seine Frau Gerda aus dem Silvesterurlaub zurück, spürten sie die Folgen des Dioxin-Skandals vor ihrem Verkaufstresen - und zwar positiv. "In nur drei Tagen lag unser Umsatz um 27 Prozent höher als in den vergangenen zehn Jahren zum gleichen Zeitpunkt", sagt Fleischermeister Schuster, der sein Geschäft in Winterhude betreibt. "Wir hatten 50 Prozent mehr Kunden als 2010", sagt auch Fleischer Wolfgang Quell aus Eimsbüttel. Knapp die Hälfte davon sei wohl gekommen, weil sich durch das vergiftete Tierfutter das Interesse an seinem Biofleisch erhöht habe. Fragen wurden beim Einkauf nur wenige gestellt, erzählen beide. "Das gab es nur bei Menschen, die erstmals hier waren", so Schuster. "Meine Stammkunden haben kräftig eingekauft."

Die Erfahrungen in den beiden Geschäften belegen den aktuellen Trend in Hamburg. Es gibt keinen Rückgang beim Fleischkonsum, versichert der Obermeister der Hamburger Fleischerinnung, Michael Durst. "Die Verbraucher kaufen vielmehr stärker in Fachgeschäften ein, weil sie genau wissen wollen, woher das Fleisch stammt, das sie essen." Als Hintergrund für den Futterskandal sieht er die zunehmende Arbeitsteilung und Industrialisierung in der Fleischwirtschaft. "Die Produktion läuft weitgehend anonymisiert", sagt Durst. "Kein Wunder, dass es immer wieder zu Skandalen kommt."

Diese ließen sich nach Meinung von Experten vermeiden, würden Fleischer und Tierzüchter enger zusammenarbeiten. "Wir kennen alle unsere Lieferanten und haben die Bauernhöfe schon besucht", sagt Jessika Rose, Junior-Chefin bei der Fleischerei Rose, die in Hamburg allein drei Geschäfte betreibt. Von rund 20 Höfen aus der Region erhalten selbstständige Fleischer ihre Tiere, die kontrolliert aufwachsen und mehr Zeit haben, mit selbst angebautem Futter ihr Schlachtgewicht zu erreichen. Biosiegel wie der Verein Neuland, dem Jessika und ihr Vater Rüdiger beigetreten sind, verlangen zudem, dass Bestellungen "immer an den nächstgelegenen Hof gehen", versichert Rose. Zudem kommen Kontrolleure auch mal unangemeldet in die Geschäfte, sagt Quell, der als Biofleischer mit dem Umweltlabel Bioland zusammenarbeitet. "Die Höfe werden dabei eher noch häufiger untersucht als wir Händler."

Nach den Erfahrungen der Fleischer dürften die Umsatzzuwächse in den Geschäften aber nur vorübergehend sein. Die Ereignisse verschwinden zumeist rasch aus dem Gedächtnis der Menschen. "Der Rinderwahnsinn BSE ist heute kaum mehr präsent", sagt Schuster. Auch beim Thema Dioxin gingen viele schon zur Normalität über.

Das Hauptproblem der kleinen Fleischer: Die Kunden müssen bei ihnen deutlich tiefer ins Portemonnaie greifen. 30 bis 40 Prozent teurer als im Supermarkt sind Rind- oder Schweinefleisch, bei Geflügel kann der Preisaufschlag sogar mehr als 100 Prozent betragen. Selbst Schuster, der nicht an Biolabel gebunden ist, verkauft seine Ware im Durchschnitt um 40 bis 50 Prozent teurer als im Supermarkt. "Für deren Preise kann ich meist nicht einmal beim Grossisten einkaufen", sagt er.

Die hohen Preise sind für die Kunden aber ein entscheidendes Argument, sich auf den Weg in den Supermarkt oder zum Discounter zu machen. Generell stehen die Fleischer in der Hansestadt unter einem immer schärferen Konkurrenzdruck. Wer nicht mithalten kann, hört auf. So hat sich die Zahl der Innungsmitglieder in den vergangenen zehn Jahren von 140 auf 70 halbiert. Zum Vergleich: Im Jahr 1980 gab es noch mehr als 580 Fleischereien in Hamburg. Auch bundesweit hat sich die Zahl der Fachgeschäfte innerhalb von zehn Jahren um knapp 5000 auf 15.800 verringert. Nur noch 151.000 statt zuvor 206.000 Mitarbeiter zählt die Branche.

"Dem Preisdruck der Handelsketten können viele kleinere Betriebe nur schwer standhalten", sagt auch Innungs-Obermeister Durst. Zudem könnten die Fachgeschäfte kaum mit den langen Öffnungszeiten der Supermärkte und Discounter konkurrieren.

"Wir müssen deshalb umdenken und uns weiterentwickeln", sagt Schuster. Eine Möglichkeit dafür sind Mittagstische. Schuster sucht derzeit nach Rezepten für Grillwürstchen, die er in der kommenden Saison anbieten will. Die Roses haben dagegen einen Mitarbeiter eingestellt, der sich darum kümmern soll, Suppen mit Fleischeinlagen, Gulasch oder Rouladen in Dosen bereitzustellen. "Das wollen wir in sechs Monaten umsetzen", sagt Jessika Rose.

Sie ist bereits bei ihrem Vater eingestiegen - andere zögern jedoch bei der Entscheidung für den Beruf. Bundesweit sank die Zahl der Lehrlinge zum Fleischer und Fachverkäufer 2009 um zehn Prozent auf 14.500. Auch in Hamburg fehlt es an Nachwuchs. "Bei immer weniger Fachgeschäften gibt es weniger Perspektiven", sagt Quell. Auch bei Übernahmen wird es eng. "Bei den behördlichen Auflagen und hohen Investitionskosten sind junge Leute kaum mehr bereit, bei einem bestehenden Betrieb einzusteigen", weiß Durst.

Fleischermeister Schuster denkt bei dem Thema vor allem an seinen Sohn Lars - zumal bei der Übergabe des Geschäfts vom Vater auf den Sohn keine Auflagen für Investitionen greifen würden. "Lars ist mit dem Laden groß geworden, hat Praktika absolviert und kennt sich aus", sagt der Vater. Derzeit arbeitet sein Sohn jedoch für eine Spedition. Immerhin bleibt Zeit zum Überlegen. Rainer Schuster ist erst 53.