Das Werkheim in Ottensen vermietet Büros für 15 Euro pro Tag. Freiberufler schätzen beim Coworking geringe Fixkosten und die Atmosphäre.

Hamburg. Einsam fühlt sich Nilgün Aktan eigentlich nie. Die Chefin der kleinen Pharmafirma Fair Med Healthcare hat ihren Arbeitsplatz in luftiger Höhe eingerichtet, direkt unter dem Dach einer alten Fabrikhalle in Ottensen. Unter ihr im Erdgeschoss vibriert das Leben. Ein Businesscoach bereitet gerade eine Konferenz vor, zwei Softwareentwickler gönnen sich im Bistro eine Kaffeepause, und eine befreundete Unternehmensberaterin zeigt den Kollegen ihren neuen Mischlingshund namens Nuk.

"Mir gefällt, dass es hier so familiär und wenig spießig zugeht", sagt Nilgün Aktan. "In meinem alten Büro in Harburg war es einfach zu still." Vor gut einem Monat ist die lebhafte Chefin daher mit einer Angestellten ins Werkheim in Ottensen gezogen. 120 Arbeitsplätze für Freiberufler stehen in der ehemaligen Lederfabrik zur Verfügung - komplett mit Schreibtischen, Stühlen, Konferenzräumen, drahtlosem Internetanschluss und Gemeinschaftsdrucker. 15 Euro kostet es, sich für einen Tag einzumieten, 195 Euro im Monat.

Für das Geld bekommen die Selbstständigen neben dem technischen Equipment vor allem eines: Gesellschaft. Anstatt allein in den eigenen vier Wänden vor sich hinzuwerkeln, treffen sich hier Existenzgründer aus den unterschiedlichsten Branchen. Coworking (englisch für zusammenarbeiten) nennt sich dieses Konzept, das in New York entstand und sich nun auch immer mehr in Deutschland durchsetzt. In Hamburg machten Werkheim und der Konkurrent Igoor Coworking Mitte dieses Jahres den Anfang, mittlerweile ist mit dem Ableger des Berliner Basishauses noch ein dritter Anbieter am Start.

"Wir wirken hier der zunehmenden Vereinsamung der Freiberufler entgegen", sagt Werkheim-Chef Wolfgang Lebrecht. "Viele Berufstätige müssen sich heute notgedrungen selbstständig machen, weil die Firmen immer mehr Tätigkeiten auslagern und die Stammbelegschaft reduzieren." Der 54-Jährige wirkt mit seiner kräftigen Statur und dem tiefen Bass wie ein gutmütiger Herbergsvater. Er kocht Tee und Kaffee für seine Mieter, zeigt den Neuen ihre Räumlichkeiten und fungiert auch schon mal als Kummerkasten bei privaten oder beruflichen Problemen. "Ich sehe mich in der Rolle des Gastgebers", sagt Lebrecht, der in seinem früheren Leben auch schon mal ein Hotel geführt hat. "Statt Betten vermiete ich jetzt halt Schreibtische." Um die sozialen Kontakte der Mieter zu fördern, veranstaltet der Werkheim-Chef regelmäßig Brettspielabende und holt auch schon mal eine Kunstmesse ins Haus.

Nilgün Aktan fühlt sich wohl mit der Rundumbetreuung. Ihre Pharmafirma hat sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Generika, preisgünstigen Nachahmerpräparaten von bekannten Arzneimitteln wie Paracetamol, spezialisiert. "Wir lassen die Medikamente im Ausland herstellen, haben aber Vertriebsmitarbeiter in ganz Deutschland", sagt sie. "In Hamburg brauchen wir nur eine kleine Zentrale." Derzeit reichen ihr die Räumlichkeiten im Werkheim aus. "Es ist hier aber auch kein Problem, einige Arbeitsplätze hinzuzumieten, falls wir expandieren."

Nur einige Schreibtische von Nilgün Aktan entfernt sitzt Businesscoach Christoph Lauterbach. Der gelernte Sparkassen-Fachwirt hat sich darauf spezialisiert, Menschen zu beraten, die sich beruflich verändern wollen. Auch seiner "Nachbarin" von der Pharmafirma hat er schon in der einen oder anderen Situation Tipps in Führungsfragen gegeben - ein weiterer Vorteil von Coworking: Durch Gespräche miteinander können das eigene Geschäftsmodell verbessert oder neue -ideen entwickelt werden. "Früher habe ich von zu Hause aus gearbeitet, aber da ist mir die Decke auf den Kopf gefallen", sagt der 38-Jährige. "Hier muss ich mich außerdem nicht darum kümmern, dass alles aufgeräumt oder das Bad sauber gemacht ist." Der Businesscoach schätzt es zudem, im Bistro einfach mal einen Kaffee trinken zu gehen und sich mit anderen Existenzgründern über deren Erfahrungen auszutauschen.

Während der Berater und die Pharmavertreterin ihre Schreibtische dauerhaft gemietet haben, kommt Frank Hopp nur ab und zu zum Arbeiten ins Werkheim. Mit seinen 49 Jahren gehört der Diplom-Kaufmann zu den älteren Mietern in der alten Fabrikhalle. Greycon (englisch für graue Beratung) heißt seine Firma, die bei Bedarf Spezialisten im Ruhestand an Unternehmen vermittelt. "Ich bin gerade noch dabei, mir eine Datenbank mit Experten aufzubauen", sagt Hopp. "Daher reise ich viel und treffe mögliche Partner." In Hamburg brauche er nur ab und an einen Büroraum, in dem er Kunden empfangen könne. "Dafür ist es hier ideal." Und es erspart feste Kosten.

Der Werkheim-Chef ist überzeugt, dass sich das Arbeiten in der Gemeinschaft positiv auf die Produktivität der Selbstständigen auswirkt. "Die Leute schauen schon, wie lange die anderen arbeiten und wie viele Pausen sie machen", sagt Lebrecht. "Einige reißen sich mehr zusammen und legen beim Arbeiten noch eine Schippe drauf."

Die Nachfrage im Werkheim ist jedenfalls so groß, dass Lebrecht sein Angebot gerade erst um einige Plätze erweitert hat. Allerdings befinden sich die zusätzlichen Schreibtische nun nicht mehr im Großraum, sondern in abgeschlossenen Büros. "Wir haben festgestellt, dass die Deutschen zwar die Gemeinschaft am Arbeitplatz schätzen, aber trotzdem ihre Privatsphäre brauchen", schmunzelt der Werkheim-Chef.