Der Trend kommt - natürlich - aus den USA: Co-Working bedeutet, dass sich Freiberufler ein Büro teilen und sich bei Bedarf gegenseitig helfen.

Hamburg. Noch vor ein paar Monaten waren Cafés mit kostenlosem Internetzugang das Arbeitsumfeld von Florian Schüppel. Dort saß er allein mit Laptop und Latte macchiato und erledigte sein Tageswerk. "Ich hatte oft ein schlechtes Gewissen, weil ich über Stunden nur ein, zwei Getränke bestellt habe", sagt der selbstständige Fotograf und Eventveranstalter. Unabhängigkeit hat eben ihren Preis.

Seine Freiheit hat sich Florian Schüppel erhalten. Aber der 32-Jährige hat den Bistrotisch gegen einen Schreibtisch eingetauscht. Seit acht Wochen arbeitet er im "Karostar", in einem Büro mitten im Karoviertel, hat dort einen sogenannten Co-Working-Arbeitsplatz angemietet. Für 160 Euro im Monat stehen ihm Schreibtisch, Drehstuhl, Regal und Internetanschluss zur Verfügung. Den Klönschnack mit den sechs anderen Selbstständigen gibt's gratis dazu. Mit ihnen teilt er sich den etwa 100 Quadratmeter großen, im Fabrikstil gestalteten Büroraum und die Küche mit dem orangefarbenen Tresen. Die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg bietet hier jungen Unternehmen monatlich kündbare Arbeitsplätze an - eine beliebte Alternative zur Heimarbeit oder eben regelmäßigen CaféBesuchen.

Beim Co-Working ("zusammen arbeiten") sitzen Freiberufler verschiedener Gewerbe unter einem Dach, arbeiten alleine und haben dennoch eine Plattform für Austausch, Inspiration und Ideen: Ein Arbeitskonzept, das sich der sogenannten kreativen Klasse, der digitalen Bohéme, anpasst.

"Ich habe mich für Co-Working entschieden, weil ich so einen günstigen Arbeitsplatz außerhalb der eigenen vier Wände habe, den ich auch kurzfristig kündigen kann", sagt Florian Schüppel. Argumente, die auch Andreas Gutjahr dazu bewogen haben, einen Schreibtisch anzumieten. "Vorher habe ich zu Hause gearbeitet", sagt der Kommunikationsberater. Doch seitdem er im vergangenen Jahr Vater geworden ist, sei das Arbeiten zu Hause schwierig geworden. "Unsere Bürogemeinschaft funktioniert wie eine WG. Man kann zusammen etwas machen, muss aber nicht." Er schätze vor allem den Gedankenaustausch. "Manchmal braucht man einfach die Meinung eines anderen", sagt der 37-Jährige. "Wir geben uns Tipps und Ideen, sind aber keine Konkurrenten." Andreas Gutjahr ist sich sicher, dass es zunehmend Co-Working-Büros geben wird. "Die klassischen Arbeitsstrukturen brechen auf." Co-Working biete die Flexibilität, die sich viele Freiberufler wünschen. "Es ist die Zukunft des freiberuflichen Arbeitens."

Noch ist Co-Working, das wie so viele Trends aus Amerika über den großen Teich geschwappt ist, in Deutschland die Ausnahme. Rund 30 sogenannte Co-Working-Spaces gibt es bundesweit. Tendenz: steigend.

"Die Nachfrage wird zunehmen", prognostiziert Andreas Köpke, Marketingleiter der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung. "Co-Working ist eine wichtige Arbeitsform der Zukunft, weil es durch die geringen Fixkosten den Einstieg in die Selbstständigkeit erleichtert. " Die Arbeitswelt verändere sich. "Die Zahl der festen Arbeitsplätze ist gesunken und die Selbstständigkeitsquote gestiegen." Das bestätigt auch Clas Beese vom Hamburger Gründungszentrum ".garage". "Durch die Wirtschaftskrise haben wir mehr Arbeitslose. Parallel ist die Zahl der Existenzgründer gestiegen."

Die Selbstständigkeit ist für viele nicht nur eine, sondern die einzige Möglichkeit, um einen neuen Job zu finden. Gleichzeitig scheinen die Freiberufler, für die der Laptop das wichtigste Arbeitsmittel ist, zu erkennen: Es war nicht alles schlecht im Büro. Auch Einzelkämpfern tut der Plausch an der Kaffeemaschine gut. Und das Tastengeklapper kann durchaus inspirierend sein. Oder zumindest disziplinieren.

"Ich mag diese Arbeitsatmosphäre im Hintergrund", sagt Herbie Albrecht. Der 40-jährige Internetprogrammierer war vor gut einem halben Jahr der erste, der in die Bürogemeinschaft eingezogen ist. Neben seinem Notebook stehen Lautsprecher. "Ich stelle öfters für alle Internetradio an", sagt er. Wenn jemand etwas dagegen habe, setze er einfach die Kopfhörer auf. "Alles ganz unkompliziert." So wie Co-Working. Für ihn sei es "das perfekte Modell".

Ebenso wie für Peter Cramer. Bis Ende 2009 war er in einer Werbeagentur angestellt - bis er den Job verlor. Eigentlich wollte er ein eigenes Büro anmieten. "Aber so ein Einzelbüro hat mich ein bisschen an Einzelhaft erinnert", sagt der 42-Jährige. Ihm sei es lieber, sich bei der Arbeit mit anderen Menschen "Ideenbälle zuspielen" zu können. Co-Working - das klingt bei Peter Cramer und seinen Bürokollegen nach mehr als reiner Arbeit. Es spiegelt auch ein Lebensgefühl. Ein Lebensstil im Netzwerkzeitalter, bei dem Unabhängigkeit eine ebenso große Rolle spielt wie menschliche Nähe.