Für Schüler bis Klasse 10 fiel gestern der Unterricht wegen Unwetterwarnung aus. Eltern wurden mit der Nachricht des Ausfall kalt erwischt.

Hamburg. Fayssal war gestern enttäuscht. Der zehn Jahre alte Junge hätte gerne Schule gehabt. "Wir wollten nämlich Plätzchen backen", sagt der Viertklässler. Doch das Teigkneten und Kekseverzieren fiel wegen Unwetterwarnung aus. Stattdessen verbrachten Fayssal und neun weitere Grundschulkinder den Vormittag in der Turnhalle, spielten Fußball, übten sich im Klettern an der Sprossenwand. Am Mittag zogen die Kinder mit Sportlehrer Christian Burian zum ganz besonderen Winterspaß auf den Schulhof. Was nämlich an gewöhnlichen Schultagen strengstens verboten ist, durften die Kinder gestern ausgiebig tun: eine Schneeballschlacht vom Feinsten austragen.

Ganze zehn von 150 Grundschülern hatten in der Schule an der Friedrichstraße auf St. Pauli am Morgen vor der Tür gestanden. "Die Nachricht, dass die Schule ausfällt, hat sich überraschend schnell herumgesprochen", sagt Sozialpädagoge Axel Wiest. Sie hätten gelassen reagiert. Die meisten Eltern hätten die Kinder trotz des Betreuungsangebots wieder mit nach Hause genommen.

Die Meldung, dass in ganz Hamburg an öffentlichen Schulen für Erst- bis Zehntklässler der Unterricht ausfällt, erreichte die Schulen erst um 8.28 Uhr per E-Mail. Die Radiosender hatten schon ab 5 Uhr morgens "Schneefrei in Hamburg" gemeldet. Wen weder Nachrichten noch Telefonketten erreichten, musste nicht fürchten, dass sein Kind auf der Straße stand. Hamburgs Grund- und Stadtteilschulen sind angewiesen, trotz Unterrichtsausfalls für Erst- bis Viertklässler eine Notbetreuung anzubieten. In der Grundschule Lutterothstraße funktionierte das prächtig. Von 250 Erst- bis Viertklässler standen morgens 40 vor der Schultür. Sie durften passend zum Wetter den Film "Urmel aus dem Eis" schauen. An der Schule Hinter der Lieth in Lokstedt fiel sogar die Weihnachtsfeier aus. "Es fehlten zu viele Akteure", so die Schulleiterin Susanne Solger. 50 von 280 Grundschülern waren erschienen.

Ana Velican brachte ihre Kinder Milian, 6, und Laila, 9, in die Notbetreuung der Rudolf-Roß-Grundschule. "Ich habe kein Radio gehört", so die Altenbetreuerin. "Mich rief eine andere Mutter an, und dann ist schon ein bisschen die Panik ausgebrochen. Ich habe niemanden, der die Kinder betreuen kann." Und: "Ich versteh nicht, warum das erst heute Morgen bekannt gegeben wurde. Das Unwetter wurde doch schon gestern vorausgesagt."

Im Gegensatz zu Hamburg hatte das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein schon am Vorabend beschlossen, landesweit schulfrei zu geben. Die Nachricht hatte sich zunächst über Radio und im Anschluss per Facebook blitzschnell unter den Schülern verbreitet. Mit der frühen Entscheidung hatte das Ministerium eine Forderung des Landeselternbeirats erfüllt, der nach dem letzten wetterbedingten unterrichtsfreien Tag am 6. Dezember um zeitige Benachrichtigung über Schulausfall gebeten hatte.

Kritik am Vorgehen der Hamburger Schulbehörde kam von den Privatschulen. "Wir wurden überhaupt nicht informiert", sagt Klaus Nehmitz, Leiter der Brecht-Schulen. Letztlich seien gestern Morgen aber die meisten Grundschüler gekommen, der Unterricht habe ganz normal stattgefunden. In den höheren Klassen hätten dagegen viele Schüler gefehlt, dort sei der Unterricht ausgefallen.

An den evangelischen Bugenhagen-Schulen gab es unterschiedliche Reglungen. In der St.-Paulus-Schule in Hamm büffelten die Kinder fast wie an jedem anderen Tag. Am Standort Alsterdorf blieben die meisten Schüler zu Hause. Statt Unterricht boten die Lehrer Betreuung an. Auch an der katholischen Schule in Ottensen war das Wirrwarr groß. "Viele Eltern haben nachgefragt", sagte Schulleiterin Bärbel Dörnte. 25 Kinder seien am Vormittag betreut worden, Unterricht fand nicht statt. Für Hamburgs Oberstufenschüler galt das Schneefrei nicht. Ihnen mutete die Schulbehörde den Schulweg durch den Schnee zu.

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Zehntausende Hamburger Eltern wurden gestern Morgen von der Nachricht eiskalt erwischt. Viele erfuhren ganz spät oder gar nicht, dass ihre Kinder nicht zur Schule kommen sollten, und schickten diese wie gewohnt los. Betroffen waren etwa 150 000 Kinder. Auch die Behindertentransporte wurden abgesagt. Nur die Oberstufenschüler ab der 11. Klasse und Berufsschüler mussten wie gewohnt zum Unterricht. An den Schulen wurde eine Notbetreuung organisiert. Möglicherweise gibt es heute wieder Schneefrei.

Seit 1979 war es das erste Mal, dass die Schule in Hamburg wegen Schnees flächendeckend ausfiel. Während Schleswig-Holstein schon am Vorabend mitgeteilt hatte, dass die Kinder am Donnerstag landesweit freihaben, entschied sich das Hamburger Amt für Bildung erst am frühen Morgen nach einer neuen Unwetterwarnung dazu.

"Ich wusste von nichts", sagte Tina Cyriax, die ihren Sohn Lars, 10, wie gewohnt zum Gymnasium Ohmoor in Niendorf schickte. Die Rhetorik-Trainerin, 43, erfuhr erst auf dem Weg zur Arbeit, dass die Schule ausfällt. "Ich habe heute lernen müssen, dass man morgens den Fernseher oder das Radio einschalten muss. Das finde ich nicht in Ordnung."

Der Vorsitzende der Elternkammer, Peter Albrecht, kritisierte: "Es muss eine Verpflichtung geben, dass die Schulen die Eltern informieren." Zudem forderte er, dass für die Schüler, die in die Schule gekommen seien, Unterricht erteilt werden müsse.

Der angekündigte starke Schneefall setzte erst gegen 14 Uhr ein. Vorwürfe der Überreaktion wies die Schulbehörde zurück: "Die Sicherheit geht vor." SPD-Schulexperte Ties Rabe sprach dennoch von einer Fehlentscheidung. "Schulfrei verursacht insbesondere für berufstätige Eltern große Probleme - und trägt nicht zur Verbesserung der Schulleistungen der Kinder bei." Im letzten Winter seien die Verhältnisse auf Straßen und Gehwegen über Monate schlimmer gewesen, ohne dass die Schule ausfiel. Er forderte klare, einheitliche und nachvollziehbare Kriterien. Der schulpolitische Sprecher der GAL-Fraktion, Michael Gwosdz, reichte eine schriftliche Kleine Anfrage an den Senat ein. "Die Behörde muss beantworten, welche Rechtsgrundlage es für die Entscheidung gibt", sagte er.

Ob heute der Unterricht erneut ausfällt, wollte Schulamtsleiter Norbert Rosenboom heute früh gegen 5 Uhr mit Blick auf die neuesten Wetterprognosen entscheiden. Dann werde die Nachricht über die Radiosender verbreitet. Auch abendblatt.de wird sofort berichten. Diesmal sollen zudem die Schulen rechtzeitig Telefonketten in Gang setzen.