Was die Verleihung des Friedensnobelpreises Peking lehren sollte.

Eine Verfassung ist eine gute Sache, das Fundament des Rechtsgebäudes in einem Land, sie garantiert die Rechte der Bürger. Natürlich hat auch China eine solche Verfassung; ihr Text stammt von 1982, der Satz über die Menschenrechte ist noch aktueller, er wurde 2004 eingefügt.

Der neue Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo wird die folgenden Verfassungsartikel ebenso gut kennen wie seine Widersacher in Partei und Staat: "Art. 33, Abs. 3. Der Staat respektiert und beschützt die Menschenrechte. (...) Art. 35. Die Bürger der Volksrepublik China genießen die Freiheit der Rede, der Publikation, der Versammlung, der Vereinigung, der Durchführung von Straßenumzügen und Demonstrationen. (...) Art. 38. Die persönliche Würde der Bürger der Volksrepublik China ist unverletzlich. Jegliche Form von Beleidigung, Verleumdung oder falscher Anschuldigung und Diffamierung von Bürgern ist verboten. (...) Art. 41. Die Bürger der Volksrepublik China haben das Recht, gegenüber jeglichem Staatsorgan oder Staatsfunktionär Kritik und Vorschläge zu äußern."

Vorbildlich formuliert, klar und eindeutig. Kann man nicht missinterpretieren. Nur: Wie viel sind Grundrechte wert, die angesichts von missliebigen Meinungen außer Kraft gesetzt werden? Was für ein Gefühl bleibt bei Politikern, bei Investoren und Handelspartnern, wenn solche Gesetze nur gelten, falls es den Machthabern gerade passt? Es bleibt ein großes Unwohlsein, mit solchen Machthabern Geschäfte zu machen. So schadet sich China selbst. Rechtssicherheit, humaner Umgang mit Kritikern und Dialogfähigkeit müssen unteilbare Eigenschaften jeder menschlichen Gesellschaft sein. Sie sind kein westlicher Sonderweg, den China ignorieren sollte - selbst dort kann man die geschichtliche Entwicklung höchstens bremsen, nicht aufhalten. Genauso wenig, wie man die Information über das schreiende Unrecht, das Liu Xiaobo angetan wird, unterdrücken kann.

Bittere Szenen, bittere Worte: der leere Stuhl in Oslo, Liu Xiaobos bewegende Botschaft, die er angesichts seiner Verurteilung schrieb, Chinas Diffamierung des Nobelkomitees als "eine Handvoll Clowns". Dieser Preis war dringend notwendig. Vielleicht sollten die Genossen in Peking noch mal das kleine rote Büchlein hervorholen. Dort sagt der Vorsitzende Mao Tsetung: "Wenn ein Fehler begangen wurde, muss er korrigiert werden, und je schneller und gründlicher das geschieht, umso besser."