Die selbsternannte Rampensau der deutschen Fernsehköche über Essen als Liebesersatz und seine Angst vor dem Karriereende.

Ottensen. An ihm scheiden sich die Geister von Kochshowfreaks. Die einen finden ihn toll. Andere halten ihn schlicht für einen Proll. Wenn Rainer Sass im Fernsehen zum Kochlöffel greift, geht's lautstark, polternd und bodenständig zu. Der Autodidakt, einer der Gründungsväter der deutschen TV-Kochshows, bezeichnet sich gern als Rampensau der deutschen Fernsehköche. Einer, der geradlinig, ehrlich, alltagstauglich und vor allem lecker kocht, wie Frank Beckmann, der Programmdirektor des NDR, Sass zu seinem 25. Jubiläum im September lobte.

Eine absolut raumfüllende Persönlichkeit ist er allemal. Mit seinen über 1,90 Metern und dem stolzen Gewicht um die 95 Kilo. Auch hier im Mamma Mia in Ottensen. Rainer Sass ist überpünktlich. Hat uns schon mal seine Lieblingspizza bestellt, "Inferno" mit einem ordentlichen Schuss Chili. Palavert ausgiebig mit Chef Mario Della Negra. Sass ist oft hier, schwärmt von der guten italienischen Hausmannskost und hält hier auch seine Geschäftsessen ab. Denn sein zweites Standbein, das ihm finanziell Sicherheit bietet, ist die Versicherungsbranche. Seit 30 Jahren ist er Bezirksdirektor für einen großen Versicherungskonzern, seit 25 Jahren in der SPD, 25 Jahre FC-Bayern-München-Fan, 36 Jahre mit seiner Antje verheiratet, liebt außer ihr hochbeinige Parson-Russell-Terrier wie die dreijährige Linda - "unser Kind" -, hasst Reisen und Übernachtungen im Hotel ohne seine eigenen Bettdecken und hat sich nie sehr weit von seinem Heimatort Stade entfernt. Einfach durch und durch treu in allem, sagt er.

Dann lacht er dröhnend. Die anderen Mittagsgäste haben ihn längst erkannt, grüßen freundlich, und Sass sonnt sich ein bisschen darin. Begeistert sich für die Grünkohlsaison, am liebsten mit Lamm, Gans oder Rotbarsch, und erzählt von seiner neuen Kreation: große Ohrennudeln, gefüllt mit 15 Minuten gegartem Grünkohl und überbacken. Mit ihm kommt keine Pause auf. Essen, Trinken und Schnacken sei nun mal die Essenz des Lebens. Wichtiger als alles andere. Auch als die Liebe? Ja, sagt er. Essen und Trinken sei das einzig wahre Aphrodisiakum.

Rainer Sass wurde als mittlerer von fünf Söhnen eines "Hamborger" Kellners und einer Kauffrau geboren. Groß geworden mit Senfeiern, Eintöpfen, pommerscher Stippe und einem ewig trockenen Sonntagsbraten, wenn die ganze Familie vom Zeitungsaustragen nach Hause kam. So fängt er selber an zu kochen, misstrauisch beäugt von seiner Mutter, die immer noch etwas in Reserve dazukauft. Sie hätte es ohnehin lieber, dass er was mit Zahlen lernt, und so macht Rainer Herbert den Kaufmannsgehilfenbrief, verkauft fünf Jahre lang erfolgreich BMWs und erfindet nebenbei das Kochen als Radiosendung auf NDR 2. Schmatzt und stöhnt vor Behagen ins Mikro, schafft sich eine treue Fangemeinde, die ihm später vor den Bildschirm folgt und für solide Einschaltquoten sorgt - Liebesquoten, wie Rainer Sass sie nennt.

Er düst kochend mit einem roten Automobil durch norddeutsche Lande und hat heute Hunderte von Bewerbungen für jede seiner beliebten sonntäglichen Sendung "Wünsch dir Sass". Dass er nie einen Preis bekommen hat trotz Nominierung für den Grimme-Preis und die Goldene Kamera, wurmte ihn lange. Heute ertrage er es gelassen, sagt er, kenne seinen Stellenwert, sei mit vielen seiner Konkurrenten wie Tim Mälzer, Sarah Wiener, Johann Lafer befreundet, und dass es irgendwann einmal mit dem Kochen vor der Kamera vorbei sein könnte, gehört zu seinen wenigen Albträumen.

Er genießt den Weißwein, bestellt noch ein schönes Stück Leber in Salbei nach und schwärmt schon von seiner nächsten Idee: der Befreiung des Bauernfrühstücks von allzu fettigem Gedöns. Ein rastlos vor sich hin kochender Renner durchs Leben mit sanften braunen Augen, so scheint es. Nee, sagt er. Das Leben auf dem Land habe ihn ein anderes Tempo gelehrt. Versicherungen würden dort nur mit Geduld verkauft, mit Zuhörenkönnen, Glaubwürdigkeit, Gesprächen "in de Kök" und Hausbesuchen selbst am Wochenende. In Fredenbeck-Wedel hat er sich ein altes Landarbeiterhaus umgebaut, mit einer Fernsehküche drin.

Aber abgammeln könne er auch wunderbar. Auf der Couch liegen und in Zeitschriften wühlen oder sich einen Film reinziehen. Wie "Jenseits von Afrika", seinen Lieblingsfilm. Da könne er Szenen mitsprechen. Wie diese: Meryl Streep am Grab ihres Lovers (Robert Redford) bei ihrer tränentreibenden Abschiedsrede. Rainer Sass' sonorer Bariton zittert gekonnt "... als du für uns den Sieg errungen, haben Alt und Jung dir zugejubelt ..." Und damit hat er mich, die absolute Kochshowhasserin, total weichgeklopft und bereit, ihn für "Wünsch dir Sass!" in meine Küche einzuladen und über Himmel und Erde mit Leberwurst auch noch eine Zusatzversicherung abzukaufen.