Ingo Tusk, 44, ist Vizepräsident der Deutschen Sportärzte und Chefarzt an der Rotkreuzklinik Frankfurt.

1. Der HSV beklagt mit Joris Mathijsen den 18. Verletzten der Saison. Andere Bundesligateams sind dagegen kerngesund. Zufall?

Ingo Tusk:

Leider ja. Ich kenne es zu gut, dass die medizinische Abteilung unter Druck gerät oder Trainingsmethoden hinterfragt werden. Das Bewusstsein für Prävention ist im Profifußball zum Glück ausgeprägt. Aber gerade Bänderverletzungen lassen sich durch Training kaum vermeiden. Die Zeit, in der ein Kreuzband reißt, ist wesentlich kürzer als die, in der ein Muskel das verhindern könnte. Was wir aber feststellen: Ein erfahrener Spieler verletzt sich seltener schwer als ein unerfahrener. Und Verletzungen häufen sich vor der Halbzeitpause und vor Spielende.

2. Wie ist das zu erklären? Auch Mathijsen erwischte es in der Nachspielzeit der ersten Hälfte.

Tusk:

Der Druck ist in diesen Phasen besonders groß: Man will mit einer Führung in die Pause gehen, noch den Ausgleich erzielen. Gleichzeitig ist die Ermüdung hoch. Die Motivation des Athleten läuft also seinem körperlichen Zustand zuwider. Das erhöht das Risiko.

3. Ist die Belastung der Profis - alle drei Tage ein Spiel - aus medizinischer Sicht vertretbar?

Tusk:

Grundsätzlich ja. Gute Rehabilitation ist natürlich unabdingbar. Sie müssen wissen: Fußball ist eine Parallelwelt, in der Trainer, Spieler und Arzt ein schwieriges Dreieck bilden. Der Spieler steht unter dem Druck des Trainers, der Arzt auch. Ein typischer Spruch: "Mit so einer Verletzung habe ich früher auch gespielt. Hast du ein Mittel dagegen?" Wir Ärzte können den Spieler auf die Gefahren hinweisen. Wir können nicht verhindern, dass er trotzdem spielt.

4. Arjen Robbens Verletzung bei der WM war nach Ansicht des FC Bayern vorhersehbar. Gehen Vereine und Verbände verantwortungsbewusst mit der Spielergesundheit um?

Tusk:

Der Spieler ist ihr Kapital. Und das wird in wichtigen Spielen auch auf Risiko eingesetzt. Ich bin dann immer heilfroh, wenn alle einigermaßen gesund zurück in die Kabine kommen. Denn der Körper ist das Kapital des Spielers, und er gibt ihm klare Signale.

5. Mit welchen gesundheitlichen Langzeitfolgen muss ein Fußballprofi rechnen?

Tusk:

Er wird aufgrund der Band- und Knorpelverletzungen wahrscheinlich etwas früher Arthrose bekommen. Dafür erleidet er vielleicht erst später einen Herzinfarkt.