Die alte Kakaofabrik an den Elbbrücken läuft wieder auf Hochtouren. Der neue Besitzer Delfi Cocoa investierte 65 Millionen Euro.

Hamburg. Mit Schaufeln und Besen traktieren die beiden Arbeiter die Kakaobohnen. Ein ganzer Schwung ist vom Lastwagen gerutscht, der sie vom Hafen zur Veddel transportiert hat. Die ruppige Behandlung ist nur die erste von vielen Torturen: Aufbrechen, sterilisieren, pulverisieren - die Kakaobohne muss einiges über sich ergehen lassen, bevor sie ihre Weiterreise zu Großkunden wie Nestlé und Kraft antreten und sich in Schokoriegel verwandeln darf. Die Arbeiter schaufeln hektisch, in den Lagerhallen türmen sich Bohnenberge. Ein scharfer Wind weht von der Norderelbe über das Fabrikgelände. Industrieromantik pur.

Die Kakaobohne hat auf der Veddel Tradition. Seit fast 100 Jahren verarbeiten verschiedene Firmen auf dem Gelände am Einsiedeldeich den Grundstoff für zahlreiche Lebensmittel, für Kosmetik und medizinische Produkte wie Zäpfchen. Wie die Produktion im vorigen Jahrhundert aussah, ist heute nur noch zu erahnen: Delfi Cocoa, eine Tochter des asiatischen Süßwarenkonzerns Petra Foods, hat das Werk 2007 gekauft und jüngst mit 65 Millionen Euro modernisiert.

Zwischen den alten Backsteingebäuden stehen nun moderne hellgraue Hallen. Ein Labyrinth aus Stahlrohren windet sich zwischen den Gebäuden und verbindet die Produktionsanlagen. Schornsteine aus hellem Stahl spucken pausenlos Wasserdampf in den Himmel über den Elbbrücken, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. 110 000 Tonnen Kakaobohnen können pro Jahr verarbeitet werden - das sind 20 vollgeladene Lastwagen pro Tag.

Dass ein Familienunternehmen aus Singapur ausgerechnet in Hamburg das größte seiner acht Werke für Kakaoverarbeitung aufgebaut hat, ist kein Zufall. "Viele unserer internationalen Kunden sind im europäischen Markt aktiv", erläutert Petra-Foods-Chef John T.C. Chuang im aktuellen Geschäftsbericht. "Das neue Werk in der Hansestadt entspricht unserer Strategie, nah bei den Kunden zu produzieren."

Zudem biete der Standort Hamburg reichlich Vorteile: die Nähe zum Hafen, die traditionsreichen Produktionsanlagen auf der Veddel. Die zentrale Lage in Europa, dem größten Kakaomarkt der Welt - allein die Deutschen haben 2009 Schokolade für 4,8 Milliarden Euro gegessen. Und nicht zuletzt punktet Hamburg mit dem Know-how der Facharbeiter, von denen einige schon seit Jahrzehnten im Kakaowerk arbeiten.

Einer von ihnen ist Dierk Sternhagen, 47. Seit 25 Jahren ist die Fabrik sein Arbeitsplatz, damals hat er als Anlagenfahrer angefangen. Delfi Cocoa ist sein vierter Arbeitgeber auf dem Gelände. "Die Produktion hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wahnsinnig verändert", sagt Sternhagen. Seine hellblauen Augen strahlen, wenn er von seinem Job erzählt. "Früher haben wir die Maschinen manuell gesteuert, heute ist alles automatisiert." Der geborene Wilhelmsburger trägt eine blaue Arbeitshose und einen weißen Helm. Interne erkennen daran: Er ist Techniker und kümmert sich um die Maschinen, wenn es irgendwo hakt. Ein blauer Helm hingegen steht für Arbeiten draußen zwischen den Hallen, wo die Elbe gegen eine rostige Außenmauer plätschert.

Selbst die Putzgeräte heben sich gemäß ihren Funktionen farblich voneinander ab: ein roter Besen für den Boden, gelb für die Wände, grün für die Maschinen. In einigen Hallen sind Überschuhe, Kopfhauben und Bartschutz Pflicht. Frauen müssen sich abschminken, Schmuck ist tabu, strikte Hygiene ein Muss. "Die Kunst ist, ein Naturprodukt, das je nach Ernte anders ausfallen kann, zu einem Standard zu verarbeiten", sagt Bernd Sieksmeier, der kaufmännische Leiter der Hamburger Anlage. Und dabei noch die Kundenwünsche in Bezug auf Geschmack, Konsistenz und Farbe zu erfüllen.

Dass die Asiaten darin gut sind, zeigt das Wachstum von Petra Foods. Die Konzernumsätze waren im vergangenen Jahr mit 1,24 Milliarden Euro fast dreimal so hoch wie 2005. Auf dem asiatischen Markt ist Petra Foods mit eigenen Schokoriegeln ein großer Name - in Indonesien etwa beträgt der Marktanteil 60 Prozent. Die Konzerntochter Delfi Cocoa hingegen beliefert neben dem Mutterunternehmen vor allem Nahrungsmittelriesen wie Nestlé, Cadbury oder Kraft Foods. "Der Trend geht zum Outsourcing", sagt Sieksmeier. "Die großen Schokoladenhersteller bauen ihre eigenen Kakaowerke ab und lassen sich von uns beliefern."

Vorher steht den Bohnen auf den Schaufeln der beiden Arbeiter aber ein langer Leidensweg durch die grauen Hallen bevor. Noch ist ihnen die weite Anreise aus Nigeria, Togo oder von der Elfenbeinküste deutlich anzusehen: Wie staubige Kiesel kullern sie übereinander, manche rötlich gefärbt, andere schmuddelig grau. Es scheppert laut und anhaltend, als sie von der Schaufel in einen Trichter plumpsen.

Damit ist die Handarbeit vorbei, von nun an durchwandern die Kakaobohnen die voll automatisierte Produktion, den Fabrikkomplex aus Stahlrohren und Maschinen. Den sogenannten Rüttler, der den Rohstoff von Staub und Schmutz befreit und unförmig gewachsene Bohnen aussortiert. Den Schäler, der die Kerne aus ihrem harten Mantel befreit. Den Röster, der den Rohstoff in zweistündiger Prozedur auf 130 Grad erhitzt und so sterilisiert. Und schließlich die Presse, die mit gewaltigem Dröhnen das Fett, Kakaobutter genannt, aus der Bohne quetscht. Übrig bleibt der Kuchen, der zu feinem Pulver gemahlen wird. Die Butter, wichtiger Bestandteil von Milch- und Schmelzschokolade, Kuvertüre, weißer Schokolade und Nugat, läuft weiter in die Deodorieranlage, die sie von Geschmack und Fremdstoffen befreit.

Je weiter die Bohne ihrem Endzustand entgegengeht, desto unverkennbarer duftet es in den Fabrikhallen. Mal schokoladig, mal eher buttrig. Unter den Anwohnern auf der Veddel ist darum ein Streit entbrannt. Die einen sprechen vom "Duft unserer Kindheit", die anderen beklagen beißenden Gestank. Diesen Vorwurf weist Sieksmeier zurück: "Der Gestank kommt nicht von uns." Auch die Hamburger Umweltbehörde hat nichts zu beanstanden. Und so werden die staubigen Kakaobohnen weiterhin stundenlange Torturen über sich ergehen lassen müssen. Für eine süße Zukunft als Schokoriegel.