Sie machen oft erst Karriere, dann Nachwuchs: Paare in Großstädten wie Hamburg entscheiden sich spät für Familie - aber sie tun es

Sieben Jahre Studium, danach ein zweijähriges Volontariat und dann die erste Festanstellung: Für Katja Evers spielten eigene Kinder lange Zeit keine Rolle, ihr Lebensplan besagte, erst mal beruflich Fuß zu fassen. Als dann zwischenzeitlich auch noch der passende Partner fehlte, rückte eigener Nachwuchs in ganz weite Ferne. Erst als die Kommunikationswissenschaftlerin mit 34 ihren Freund Jens kennenlernte, kam wieder Bewegung in die Sache. Und dennoch dauerte es bis zu ihrem 39. Geburtstag, bis sie die frohe Kunde ihres Frauenarztes erhielt: "Frau Evers, Sie sind schwanger."

Es ist die typische Biografie einer Akademikerin in der Großstadt. Tausende ähnliche Lebenswege sorgen dafür, dass Hamburg und die anderen Stadtstaaten der Republik schlecht abschneiden bei der aktuellen Geburtenstatistik. Frauen in Großstädten leben anders als Frauen auf dem Land. Sie machen erst Karriere, genießen die Vorzüge ausufernder Freizeitoptionen und denken dann an Kinder. Nirgends ist die Geburtenrate pro Frau geringer als in den Metropolen. Andererseits wurde vom Statistischen Bundesamt im Jahr 2009 - wie schon in den Vorjahren - ein leichter Anstieg in Hamburg verzeichnet. 16 779 Kinder wurden hier geboren - 28 mehr als im Jahr zuvor.

Auch Theo, der Sohn von Katja Evers, ist 2009 geboren und heute zehn Monate alt. "Er ist mein großes Glück", sagt die Eimsbüttlerin. Es hat bis zu ihrem 41. Lebensjahr gedauert, bis sich "die Prioritäten verschoben haben". Hin zur eigenen Familie, zur "großen Verantwortung". "Das ist nicht vergleichbar mit dem Partyleben, dem Ausgehen und der vielen Arbeit zuvor. Es ist das pure Glück", sagt sie heute. Gerade in der Großstadt. Und sie habe es sich lange herbeigesehnt, ebenso lang, wie sie zuvor kaum einen Gedanken daran verschwendet hatte.

Genau das sei ein Grund für die Kinderarmut in Großstädten, sagt Olaf Naether, Reproduktionsmediziner im Fertility Center Hamburg: "Kinder werden heute geplant wie Weltreisen oder Einbauküchen. Nur leider vergessen viele dabei, dass die Fruchtbarkeit ab dem 25. Lebensjahr abnimmt. Wenn Frauen sagen, ab 35 könnten sie sich Kinder vorstellen, ist das auf natürlichem Wege oftmals zu spät. Dann kommen sie zu uns." Das Center sei eines der aktivsten in Deutschland, die Patienten kommen nicht nur aus Hamburg.

Medizinische Hilfe mussten Jessica, 38, und Florian Grebe, 40, aus St. Pauli nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie sich auch zwölf Jahre Zeit bis zum ersten Kind gelassen haben. Wie die meisten Akademiker haben sie erst ihre beruflichen Pläne verfolgt. Aber die Fernsehredakteurin und der Vertriebsleiter hatten das Glück, sich schon früh kennengelernt zu haben - sie war 21, er drei Jahre älter. Dass die beiden zusammen Kinder haben möchten, war ihnen von Anfang an klar.

Und irgendwann passte es: Im September 2005 kam Ida zur Welt. Ein Wunschkind. Genau wie Ole, der dreieinviertel Jahre jünger ist als seine Schwester. "Das zweite Kind war die logische Folge des ersten, weil Ida nicht ohne Geschwister aufwachsen sollte", sagt Jessica Grebe. Anders als bei vielen anderen Paaren gab es mit der Geburt ihrer Kinder keinen Stress in der Beziehung. Warum also kein drittes? Das ist jetzt unterwegs und hat Mitte Dezember Geburtstermin. "Ein bisschen Angst vor meiner eigenen Courage habe ich jetzt schon", sagt Jessica Grebe. Aber Kinder seien solch eine große Bereicherung: "Man lacht einfach viel mehr. Worüber haben wir eigentlich gelacht, bevor wir Kinder hatten?" Aus Hamburg möchten die Grebes auch mit ihrem dritten Kind nicht wegziehen. "Es gibt hier so viel für Kinder zu erleben." Erst am Freitagnachmittag war Ida, 5, im Theater. Jessica Grebe: "Auch wenn die Kinder am Stadtrand mehr Platz hätten. Da bin ich egoistisch. Aus der Stadt möchte ich nicht weg."

Eine eher untypische Ansicht, wie Soziologin Birgit Pfau-Effinger von der Universität Hamburg sagt: "Die Geburtenrate ist in Großstädten auch deshalb so niedrig, weil viele Familien nach der Geburt ihrer Kinder in die Speckgürtel ziehen. Dann tauchen sie in der Statistik des Nachbarlandes auf." Sie habe das am Beispiel Bremen untersucht, wonach das "verkehrsberuhigte Wohnen im Grünen" für Großstädter elementar wird, sobald sie Kinder haben. "Ein weiterer Grund ist natürlich die Bevölkerungszusammensetzung in der Metropole. Städte haben eine Sogwirkung auf junge Leute. Und die denken an alles, aber nicht an eine Familie." Studenten, junge arbeitsuchende Erwachsene - sie alle würden den Schnitt bei der Geburtenrate drücken, weil sie einer ausgeprägten Singlegesellschaft angehören. Das betreffe aber beide Geschlechter: "Frauen bleiben lange im Bildungssystem, bevor sie Kinder haben wollen, und auch Männer wollen erst Gewissheit, dass sie eine Familie finanziell durchbringen könnten. Da verschiebt sich die Gründung einer Familie nach hinten", sagt die Sozialogin.

Aber es geht auch anders: Filiz Wessolek wurde mit 21 Jahren schwanger. Die Verkäuferin aus Harburg hatte eine unbefristete Anstellung und entschied sich bewusst für Fynn Luca, der heute zwei Jahre alt ist. Sie hat mittlerweile einen anderen Partner, und insgesamt "hätte ich es auch anders geplant - so ab 27 wäre ein Kind infrage gekommen. Aber Fynns Geburt hat mir noch mal einen Schub gegeben. Ich mache gerade mein Abitur nach und will Jura studieren - damit wir es später gut haben", sagt sie.

Filiz will den umgekehrten und für die Großstadt eigenwilligen Weg gehen: erst das Kind, dann die Karriere.