Hamburg lag in Schutt und Asche, viele lebten in Blechbaracken. Es war eine harte Schule für die junge Lehrerin in der Nachkriegszeit.

Hamburg. Plötzlich hörte sie diesen Familienpfiff: ditt-ditt-ditt-dütt-dütt-dütt. Draußen in Neugraben, wo Loki Schmidt mit ihren Eltern und einer Schwester in einer alten Gartenbude das Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai erlebt hatte, erklang plötzlich die Melodie des alten Shantys "Ich muss ein Schnäpschen haben, ist das nicht fei-fei-fein."

Es war der 24. August 1945. "Wir waren gerade dabei, uns ein bisschen was zu essen zu machen", hat Loki später in ihrem Buch "Erzähl doch mal von früher" berichtet. "Da bin ich barfuß, so wie ich war, losgelaufen." Zu Helmut, ihrem Mann, der aus belgischer Kriegsgefangenschaft in Jabbeke vorzeitig heimkehren durfte und nun vor ihr stand. Mit einer selbst genähten kurzen Hose aus Tarnstoff. "Wie Haut und Knochen, aber vergnügt."

Wie war die erste Begegnung? "Darauf gebe ich keine Antwort", sagt Loki Schmidt zu Reinhold Beckmann in dem Buch. Es gibt wohl Momente im Leben, die sind zu groß, um sie durch Worte zu zerstückeln.

Hamburg lag in Schutt und Asche. "Viele kamen in Blechbaracken unter", erinnerte sich Loki an die ersten Monate und Jahre nach dem Krieg. "Drinnen für viele Personen nur ein einziger Propangasherd, ein Wasserhahn, am Boden Strohsäcke als Matratzen. Das Klo vor der Tür. Zwei, drei Familien lebten in so einer Hütte. Ein unsägliches Gedränge. Um ein wenig Intimität zu haben, wurden Wolldecken mit Wäscheklammern an Seilen aufgehängt, um den Raum aufzuteilen."

Es ging ja einfach weiter. "Wenn ein Ehemann heil aus dem Krieg nach Hause kommt", hat Loki Schmidt gesagt, "ist es nur natürlich, dass irgendwann Kinder geboren werden. In jedem von uns steckte ja der Gedanke: Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen."

Zwei Jahre später, 1947, ist ihre Tochter Susanne geboren worden. Vorher hatte Loki eine Fehlgeburt erlitten, danach noch fünf. Sie litt an Toxoplasmose, einer für Schwangere gefährlichen Infektionskrankheit, die damals völlig unbekannt war. "Es hat sehr lange gedauert, bis meine Frauenärztin herausgefunden hat, warum ich diese Schwierigkeiten hatte."

Auf die Frage nach dem schönsten Tag in ihrem Leben hat Loki Schmidt einmal geantwortet: "Es hat manche schöne Tage gegeben. Aber wenn man ein Kind auf die Welt bringt, ist das etwas Fabelhaftes."

Dieses Kind hinderte Loki Schmidt auch nicht daran, sofort nach dem Krieg wieder zu arbeiten. Helmut lächelte sie morgens an, "dann fiel er vor Entkräftung einfach um. Also habe ich ihn wieder ins Bett gelegt und bin zur Arbeit gegangen. So ging es vielen Frauen. Er studiert oder lernt einen Beruf, sie arbeitet und zieht außerdem die Kinder groß."

Wenn es darauf ankommt, hat Loki Schmidt einmal die Frauen ihrer Generation - die Trümmerfrauen und Lebensretterinnen in den Flüchtlingskolonnen - beschrieben, "dann kämpfen Frauen nicht nur 'wie ein Mann', sondern wie zehn Männer!"

Unmittelbar nach dem Krieg hatte sie als Lehrerin in einem Kinderheim in den Schwarzen Bergen viele Flüchtlingskinder und Waisen in ihrer Obhut. Über die Schrecken erzählen konnten die Kleinen nicht. "Vieles hatten sie vielleicht auch gar nicht mitbekommen oder verdrängt. Manchmal weinten sie: 'Ich will zu meiner Mama.' Aber die war tot oder verschollen. Also nahm ich die Kleinen in den Arm, versuchte sie abzulenken und aufzuheitern. Das war in jenen Tagen schon ein großer Schritt: diese armen Dinger mal zum Lachen zu bringen."

Bereits sechs Wochen nach der Geburt von Tochter Susanne ging sie wieder zur Arbeit. "Ja, so lange hatte ich frei, das kann sich heute keiner mehr vorstellen." Und da sie niemanden hatte, der auf das Kind aufpassen konnte, "stopfte ich Susanne in den Kinderwagen, wickelte ein heißes Fläschchen in eine Windel und schob damit los". Zur Schule nach Hamburg-Fischbek. "Dort habe ich sie unter einen Fliederbusch gestellt, ging in die Klasse und unterrichtete." In einem Interview mit der "Welt" hat Loki Schmidt vor fünf Jahren gesagt: "Heute wird so getan, als ob die berufstätige Mutter eine Erfindung der letzten zehn oder 15 Jahre ist. Dabei war das auch früher gang und gäbe, oft eine Notwendigkeit. Man sollte seine Kinder nicht in Seidenpapier wickeln und eine Schleife herumbinden, sondern ihnen früh etwas zutrauen und auch zumuten. Heute werden Kinder oft mit Geld verwöhnt statt mit Gegenwart. Beides - übermäßiges Behüten und zu wenig Zeit - ist für Kinder ganz schlimm."

Schlimm fand sie auch, und das hat sie später immer wieder geäußert, die Vernachlässigung des Pflichtgefühls bei der Erziehung. "Heute kommen mir die Pflichten zu kurz. Ich kann mich sehr ärgern, wenn ich sehe, wie Schüler mit dem Mobiliar, dem Gebäude und den Büchern umgehen. Die gehören ihnen nicht, sondern wurden ihnen von den Steuergeldern zur Verfügung gestellt. Dass man die Pflicht hat, mit dem Eigentum anderer sorgsam umzugehen, kann man schon einem Sechsjährigen vermitteln."

Auch über die Diskussionen um kleinere Klassen mag sie insgeheim nur milde gelächelt haben. 1942 übernahm sie in Hamburg zwei erste Klassen - mit 60 und 63 Schülern. "Jeden Tag gingen 123 Kinder durch meine Hände. Oft lag ich nachts wach und überlegte, mit wem ich mich morgen intensiver beschäftigen müsste, weil er heute zu wenig Zuwendung bekommen hatte." Lehrjahre einer Pädagogin mit großer Klasse.

In ihrer gesamten Lehrerzeit hatte sie selten weniger als 40 Kinder in einer Klasse. Ihr Rezept? "Ich habe immer versucht, meine Schüler neugierig zu machen, damit sie Lust bekommen zu fragen. Und wenn sie wissen wollten, wie Butter entsteht, dann haben wir eben selber Butter gemacht." Denn: "Ein Kind, das neugierig ist, akzeptiert auch die Grenze seines Freiheitsdranges, weil es auf etwas konzentriert ist."

Mehr Praxis in den Schulen, das war ein großes Thema der Pädagogin Schmidt.

Nachbesserungen sah sie auch bei der Lehrerausbildung. "Lehrer studieren heute länger als früher, aber sie kamen bis vor Kurzem überhaupt erst mit Schülern in Kontakt, wenn ihr Studium beendet war", hat sie gesagt. Viel zu spät, wie sie fand. "Ich stand im ersten Semester erstmals vor einer Klasse. Es gibt Lehrer, die sind einfach nicht für den Beruf geeignet, weil sie nicht mit Kindern umgehen können. Mir tun nicht nur die Kinder leid, die diese Lehrer ertragen müssen. Sondern die Menschen selbst, die den falschen Beruf gewählt haben. Solche Leute haben schon Generationen von Schülern und sich selbst unglücklich gemacht."

Drei Jahrzehnte lang war Loki Schmidt Lehrerin. Mit Leib und Seele. Sie hat mit den Kindern vor dem Unterricht geknuddelt, "wenn sie das brauchten". Andere bekamen auch mal eine Ohrfeige, "wenn es nötig war".

Für Lisa Schulz war Loki Schmidt die beste Lehrerin, die man sich vorstellen kann. "Das war 1941 in der Grundschule Bauerberg 44 in Horn. Wir waren etwa 40 Schüler in der Klasse. Jungs und Mädchen. Frau Glaser unterrichtete in Naturkunde. Was waren wir stolz, als sie ein Jahr später geheiratet hat." Und warum war sie die Beste? "Sie war sanft, hatte großes Einfühlungsvermögen, konnte aber auch burschikos werden, wenn es sein musste." Lisa Schulz lebt heute in Sasel, feiert im nächsten Jahr ihren 80. Geburtstag und sagt: "Wir waren verliebt in unsere Lehrerin."

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