Zwei Frauen aus Hamburg und Hannover sind konvertiert: vom Christentum zum Islam und umgekehrt. Was haben sie gesucht und gefunden?

Hamburg. Das erste Abendmahl feierte Parysa Hadi kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres mit iranischen Christen in der hannoverschen Gartenkirche St. Marien. Die Frauen und Männer waren ihr fremd, so fremd wie das Land, in dem sie wenige Tage zuvor angekommen war. Sie sangen christliche Weihnachtslieder in ihrer Sprache, in Farsi, und Parysa Hadi war beseelt von der Geborgenheit und dem Frieden. Sie war endlich angekommen.

Der Tag, an dem Rita Schiborn ihren Vornamen in Rahima änderte, war ein wunderschöner Sommertag vor fünf Jahren. Zwei Jahre zuvor hatte sie erstmals mit dem Islam Bekanntschaft gemacht. Nun band sie sich ein Kopftuch um und sagte zu sich: "Jetzt will ich Muslima werden." Sie setzte sich in ihren Kleinwagen und fuhr zur Hamburger Zentralmoschee in der Böckmannstraße. Dort sprach sie das islamische Glaubensbekenntnis: "Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Allahs ist." Das war's. "Rahima" Schiborn war endlich angekommen.

Die Asylbewerberin Parysa Hadi ist 30 Jahre alt. Sie ist eine attraktive Frau, betont ihre vollen Lippen dezent mit Lippenstift und trägt ihr dichtes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden. Ihre zerlöcherten Jeans entsprechen dem aktuellen Schick. Dazu trägt sie eine schwarze Lederjacke mit weißer Bluse. In ihrer Heimat, dem Iran, musste sie ihre Weiblichkeit stets verschleiern. Sie hat keine Angst mehr, jedenfalls nicht vor religiöser Verfolgung. Höchstens fürchtet sie, wieder abgeschoben werden zu können.

Die Sozialpädagogin Rahima Schiborn ist 58 Jahre alt. Sie trägt Kopftuch und Brille, ist ungeschminkt und schlicht gekleidet. Unter einem blau-grün gemusterten Umhang lugen dunkelblaue Hosenbeine hervor und schwarze Halbschuhe mit nur wenig Absatz. Rahima Schiborn ist Brillenträgerin. Sie liest viel und ist daher oft in der Bibliothek des Islamischen Zentrums an der Schönen Aussicht anzutreffen. Darüber hinaus engagiert sie sich in der Schura, der islamischen Dachorganisation, der in Hamburg 42 islamische Gruppen angehören.

Über ihr Christsein zu sprechen kann für die Iranerin gefährlich werden

Rahima wurde als Tochter eines Beamtenehepaars in Elmshorn geboren. Ihre Eltern waren evangelisch, aber die Kirche spielte keine besonders große Rolle im Leben der Familie Schiborn. Trotzdem wurde Rita getauft und konfirmiert, denn das gehörte irgendwie dazu. In die Kirche ging sie nur sporadisch, obwohl "ich schon früh auf der Suche war", wie sie sich zu erinnern meint. "Ich ahnte, dass da noch was war. Aber was?" Mit 13 Jahren begann sie, ernsthafte Bücher zu lesen. "Götter, Gräber und Gelehrte" und "... und die Bibel hat doch recht!". Rahima Schiborn nickt: "Diese Suche hat mich mein bisheriges Leben lang begleitet."

Parysa Hadi, sie arbeitete im Iran zuletzt als Englischlehrerin, will über ihr Leben als Konvertitin sprechen, obwohl das gefährlich werden kann. Der Islam gehöre zu Deutschland, hat Bundespräsident Christian Wulff vor einigen Wochen gesagt - und in dieser Woche vor dem türkischen Parlament ergänzt: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei." Nach Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat zwar jeder Mensch "das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit", und dieses Recht schließt auch die Freiheit ein, seine Religion zu wechseln, doch erst in der Praxis erweist sich das Maß der tatsächlich vorhandenen Freiheit. Die Skala reicht dabei von völliger Toleranz bis hin zu massivsten Repressionen oder sogar der Ermordung von Konvertiten.

Auch Parysa Hadi war auf der Suche. Sie ist in Isfahan aufgewachsen, dem alten Karawanenknotenpunkt im Iran. Sie stammt aus einer Lehrerfamilie. Wer für den Staat arbeitet, der muss als Botschafter der Staatsreligion funktionieren können, selbst wenn er ein Ungläubiger ist. "Meine Eltern haben mich zu nichts gezwungen", erzählt sie. "Sie sagten mir, ich solle meinen Weg selbst finden." Aber im Iran gibt es keinen anderen Weg, nur den Islam eben, dessen rigide Autorität sie nicht ertragen mochte. "Warum sind Mädchen bei uns schon mit neun Jahren erwachsen und müssen täglich zu Allah beten, Jungen aber erst mit 15?", wollte sie einmal von ihrer Lehrerin wissen. Deren Antwort konnte sie nicht befriedigen: "Verwirre die anderen Schüler nicht, Parysa. Ordne dich unter. So ist das eben."

Ein weiter Weg über Bhagwan und Buddha zu Mohammed

Dennoch tat sie fortan so, als sei sie eine Muslima. Sie betete zu den vorgeschriebenen Zeiten. Aber in die Moschee ging sie nur selten. Wenn sie im Koran lesen musste, fand sie das Geschriebene unrealistisch. Vor allem das Paradies, in dem Wasser, Milch, Wein und Honig fließen. "Ist das nicht albern?", fragt sie. Mit 14 Jahren lernte sie dann Arpi kennen, ein Mädchen in ihrem Alter, eine armenische Christin. Arpi las Parysa aus der Bibel vor, Psalmen, von denen Parysa noch nie etwas gehört hatte. Doch sie verstand, dass es darin um Vergebung ging, ohne Vorbedingungen. Und um ein persönliches Verhältnis zu Gott, ohne zwischengeschaltete Autoritäten wie die Mullahs im Iran. Parysa Hadi begann sich für die christliche Lehre zu interessieren und zu begeistern.

Rahima Schiborn hatte schon als Jugendliche mit Jesus "ein Problem". Und vor allem mit der Heiligen Dreifaltigkeit. An wen sollte sie sich wenden? An den Vater, den Sohn oder den Heiligen Geist? Und so suchte sie weiter nach Halt, Stabilität und Geborgenheit. Dabei war sie nicht undiszipliniert: Obwohl sie nur den Realschulabschluss besaß, wurde sie diplomierte Sozialpädagogin. Aber immer mehr beschäftigte sie sich mit "spirituellen" Dingen wie "Energiefluss" oder "Quantenmechanik", mit Magie und Schamanismus, auch als sie längst im öffentlichen Dienst in der Jugendarbeit tätig war. Sie begeisterte sich für Bhagwan, wandte sich dann dem Hinduismus und später dem Buddhismus zu. Ihr damaliger Lebenspartner duldete ihre "spirituelle Sprunghaftigkeit, akzeptierte sie jedoch nicht und ging irgendwann".

Parysa Hadi machte ihren Schulabschluss, studierte, wurde Lehrerin. Die islamtreue Lehre wurde streng kontrolliert. Jeden Tag musste sie ihre Schüler zum Pflichtgebet begleiten. "Diese armen Kinder, die da vor mir auf dem Boden knien mussten", sagt sie noch heute. Weil sie sich nur mit einem Schal, nicht aber einem Tschador verhüllte, war sie kein Vorbild mehr. Die Schulleitung kürzte ihr Gehalt. Sie weigerte sich trotzdem, einen Tschador zu tragen. Sie wollte sich dem Regime und der Religion nicht beugen. "Der Islam behandelt Frauen wie Sklaven", sagt sie immer wieder. "Warum zählt das Wort eines Mannes vor Gericht doppelt so viel wie das einer Frau? Warum erhalten männliche Erben stets das Doppelte?"

"Wenn Politik ins Spiel kommt", sagt Rahima Schiborn, "dann verliert jede Religion ihre Unschuld. Doch von Frauenfeindlichkeit konnte ich bisher nichts spüren."

Vor sieben Jahren entdeckte sie den Sufismus, die Mystik des Islam. Eine Sufi will den Koran nicht nur äußerlich verstehen und ihr Leben nach ihm richten, sondern auch dessen "innere" Seite entdecken. Die Sufi sucht das unmittelbare Erleben Gottes, das sie in die Einheit mit Gott führt - so wie den Propheten Mohammed. "Dieses gänzlich von Gott durchdrungene Leben war für mich das Klick-Erlebnis! Mein Herz ging auf", sagt Rahima Schiborn. Aber zwei Jahre rang sie noch mit sich, suchte Rat bei Eltern und Freunden, obwohl ihre Entscheidung längst gefallen war.

Als im Iran 2009 gewählt wurde, engagierte sich Parysa Hadi für den Oppositionskandidaten Mussawi, organisierte Demonstrationen. Die Festplatte eines beschlagnahmten Computers enthielt ihren Namen. Parysa musste fliehen, ein Schleuser brachte sie über die Türkei nach Deutschland. Als sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Angaben zu ihrer Person machen musste und die Dame bei Religion das Wort "Islam" ankreuzte, sagte Parysa: "Nein, ich bin Christin."

Am 30. Januar dieses Jahres wurde Parysa Hadi in der Gartenkirche St. Marien in Hannover getauft. Gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland suchte sie Kontakt zur Iraner-Seelsorge. Hans-Jürgen Kutzner kümmert sich von Hannover aus um Iraner in ganz Deutschland. Als Parysa zum ersten Mal den monatlichen Gottesdienst für iranische Christen besuchte, war sie so glücklich, dass sie weinte. Sie wollte der evangelischen Kirche beitreten, denn die katholische erschien ihr zu autoritär.

Der Tag ihrer Taufe war ein kalter Wintertag. Kutzner schöpfte mit einer Jakobsmuschel Wasser aus dem Taufbecken und taufte sie. Sie bekam eine Bibel in Farsi, eine Taufkerze und ein Kreuz. Ihr Taufspruch steht im Psalm 119, Vers 34: "Gib mir genug Verstand für dein Gesetz. Von ganzem Herzen will ich darauf hören." Iranische Christen geben sich darüber hinaus Taufnamen, um zu demonstrieren, dass sie ein neuer Mensch geworden sind. Parysa nennt sich jetzt Arpi, so wie ihre armenische Freundin, die ihren Glauben im Iran noch immer verstecken muss.

Parysa Hadi kann dagegen jeden Sonntag in die evangelische Kirche in ihrem Wohnort gehen, den sie jedoch geheim hält. Dass in der Iraner-Gemeinde Spitzel des Mullah-Regimes sitzen, ist nicht ausgeschlossen. Ihr Anwalt Stefan Copey hat ihr gesagt, dass sie durch den Übertritt zum Christentum keine Vorteile habe: auch nicht im Kampf ums Bleiberecht. "Ich bin eine Feindin des iranischen Staates. Wenn ich zurück müsste, würde ich bestraft - nicht nur von der Regierung, auch von der Gesellschaft." Dabei will sie nur das: zurück nach Hause, zu ihrer Familie und den Freunden. Sie schreibt E-Mails von einer Adresse mit Alias-Namen an Freunde, die den Inhalt an ihre Familie überbringen. Ihre Familie wisse daher jetzt, dass sie Christin geworden ist.

Für ihre alten Eltern und Freunde bleibt sie doch die "Rita"

Rahima Schiborn lebt nach den fünf Säulen des Koran: Sie glaubt, dass es keinen Gott außer Allah gibt und dass Mohammed sein Prophet ist. Fünfmal am Tag betet sie, sie zahlt die vorgeschriebene Armensteuer, sie will nach Mekka pilgern, wie jeder gute Moslem und sie fastet im Ramadan. Nur wenn ihre Eltern zum Sonntagsbraten einladen, lässt sie diese fünf Säulen auch mal gerade sein. "Meine Eltern haben zwar kein Problem damit, dass ich jetzt eine Muslima bin, aber sie sind immerhin 88 und 92 Jahre alt und da will ich sie doch nicht überfordern." Überhaupt: Für ihre alten Freunde und ihre Eltern sei sie trotz Kopftuch immer "die Rita".