Niemand hat den zivilen Ungehorsam so perfekt kultiviert wie Greenpeace. Am Mittwoch wird der deutsche Verband 30 Jahre alt.

Hamburg. Drinnen in der Lagerhalle am Rethedamm im Hamburger Hafen sieht es aus wie in der Garage von James Bond. Auf einem Anhänger steht das "fliegende Schlauchboot". In der Luft wird es von einem Propellermotor getrieben und getragen von einem Drachengleiter. "Das würde mich wohl heute nicht mehr hochbekommen", sagt Harald Zindler und streicht über seinen Bauch. Daneben steht ein großes orangefarbenes Schlauchboot mit zwei mächtigen Mercury-Außenbordern, eine Drehbank, eine Werkstatt mit zerlegten Motoren. Hinten im Nachbarraum die Kleiderkammer mit all dem Ölzeug, den Sicherheitsanzügen, den Taucherausrüstungen und dem "Rapid-Response"-Gerät, Analysetechnik für schnelle Einsätze bei Umweltkatastrophen. "Was man eben so braucht", sagt Zindler.

Das "Aktionsmittellager" von Greenpeace im Hafen ist sein Werk. Wenn er es zeigt, kann sich Harald Zindler noch immer freuen wie ein Kind am Geburtstag. Er war dabei, vor 30 Jahren, als Greenpeace Deutschland gegründet wurde. Viele Jahre leitete er die Aktionsabteilung, das Herz der Organisation. Wäre Greenpeace die Kulisse für James Bond, dann hätte Zindler den Quartiermeister Q gegeben. Etliche Male hat er die Tüfteleien aus der eigenen Werkstatt unter Echtbedingungen selbst getestet, bei der Besetzung des Öltanks "Brent Spar" 1995, bei anderen Aktionen in Deutschland und in aller Welt. Aktiv ist Zindler, 66, in operativer Funktion bei Greenpeace mittlerweile nicht mehr. "Ich berate noch hier und da", sagt er und grinst. "Ich bin ja auch noch Mitglied im Verein."

Der Verein Greenpeace e.V. ist der deutsche Landesverband der wohl erfolgreichsten Umweltschutzorganisation der Welt. Einer Organisation, die polarisiert wie keine andere im Geschäft mit der Rettung der Erde, mit gewagten und gewitzten Aktionen, die mitunter wirken wie eine Mischung aus Karneval und Schauprozess, und möglichst immer wie großes Theater.

In ganz Deutschland wuchs in den vergangenen Jahren eine flächendeckende Protestkultur heran. Gegen Windturbinen begehren Bürger aller Milieus ebenso auf wie gegen Kohlekraftwerke oder Atomreaktoren . Und gegen das Großprojekt des neuen Bahnhofs Stuttgart 21 stand innerhalb weniger Wochen eine Demonstrationsmacht auf den Beinen, die an eine Volksbewegung erinnert. Die Härte der Straßenschlacht zwischen Polizei und Demonstranten zum Baubeginn stand früheren Kämpfen in Gorleben in nichts nach.

Überall in der Republik werden gutbürgerliche Menschen plötzlich zu heißherzigen Kämpfern gegen eine vermeintliche Willkür von Staat und Industrie. An die Protestkultur von Greenpeace aber reichen sie nicht heran. Keine andere Organisation hat über Jahrzehnte auf so originelle Weise gezeigt, wie effektiv ziviler Ungehorsam wirken kann. Mit einem Heißluftballon fuhren Aktivisten zu Beginn der 80er-Jahre über die deutsch-deutsche Grenze nach Ost-Berlin, mit einem Motorgleiter flogen sie später um die Uno-Zentrale in New York. Von Kraftwerkstürmen und Brückengeländern seilten sie sich mit ihren Bannern ab. In ihren Schlauchbooten manövrierten sie vor die Harpunen von Walfängern im Südpazifik oder lieferten sich Verfolgungsjagden mit den Sicherheitskräften beim G8-Gipfel in Heiligendamm. An die Zugspitzwand projizierten sie ihre Warnungen vor dem Klimawandel, und vor die japanische Botschaft in Berlin hievten sie einen gestrandeten Finnwal zum Protest gegen den Walfang.

Halsbrecherisch muten diese Aktionen oft an, lebensgefährlich waren viele, und es erstaunt, dass seit den 70er-Jahren nur ein einziger Mensch dabei gestorben ist. Der Fotograf Fernando Pereira ertrank 1985, als der französische Geheimdienst im neuseeländischen Hafen Auckland das Greenpeace-Flaggschiff "Rainbow Warrior" versenkte. Der Nervenkitzel bleibt stets präsent, obgleich das Risiko bei Greenpeace-Aktionen wohl kalkuliert, obwohl die Abläufe genau trainiert sind. Doch wagemutige Auftritte vor großer Kulisse stärken die zentrale Foto- und Filmbotschaft der Organisation: dass die Aktivisten zur Not ihr Leben riskieren, wenn sie Raubbau an Fauna und Flora verhindern wollen.

Begonnen hat diese Geschichte am 15. September 1971 im kanadischen Hafen Vancouver. Da lief der altersschwache Fischkutter "Phyllis Cormack" mit einer Handvoll Spontis in den Nordpazifik aus. Gegen amerikanische Atombombentests vor Alaska wollten sie demonstrieren. Die Testregion erreichten sie nicht, doch mit ihrer Aktion legten sie das Fundament für die Gründung von Greenpeace. Und zahlreiche Berichte trugen dazu bei, dass die US-Regierung die Atomtests 1972 abbrach.

Die kanadischen Ökopaxe fanden schnell Nachahmer in anderen Ländern - auch in Deutschland. Der "Verein zur Rettung von Walen und Robben" blockierte im Herbst 1980 mit Schlauchbooten und Rettungsinseln einen Dünnsäure-Tanker in Nordenham. Die Aktivisten verzögerten die Verklappung der Säure in die Nordsee. Bald darauf gründeten sie Greenpeace Deutschland - mit dabei auch der Elektriker Harald Zindler und seine damalige Freundin Monika Griefahn, die später Chefin von Greenpeace Deutschland und unter Gerhard Schröder (SPD) Umweltministerin von Niedersachsen wurde.

Zindler und die Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte Behrens (59) sitzen in einem Konferenzraum des Hafenlagers. Die Anekdoten und den großen Bogen überlässt Behrens dem Veteran. Die zierliche Frau konzentriert sich darauf, die Rolle zu interpretieren, die Greenpeace heute spielen soll. Seit 1989 gehört sie zur Geschäftsführung von Greenpeace Deutschland, seit 1999 steht sie an der Spitze der Organisation, derzeit gemeinsam mit dem Kampagnenleiter Roland Hipp. Doch obwohl sie für die Außendarstellung zuständig ist, taucht sie in der Öffentlichkeit fast nie auf, anders als ihre Vorgänger Griefahn oder Thilo Bode, heute Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch.

Behrens scheint das Repräsentieren nicht zu mögen - dabei ist Greenpeace Deutschland unter ihrer Führung so erfolgreich wie nie zuvor, gemessen an den Spenden. Die verschaffen der Organisation Unabhängigkeit von anderen Geldquellen - und die Freiheit, bei Bedarf in alle Richtungen zu agieren und zu kritisieren. 46 Millionen Euro gingen im vergangenen Jahr ein, drei Millionen Euro mehr als 2008. Und das mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. "Es scheint so, dass Umweltthemen gerade in der Krise für viele Menschen noch wichtiger geworden sind", sagt Behrens. "Der hohe Spendenbeitrag des vergangenen Jahres ist vor allem dadurch zustande gekommen, dass uns bereits vorhandene Förderer mehr gespendet haben. Rund 80 Prozent unserer 560 000 Fördermitglieder haben Greenpeace einen Lastschrifteinzug gegeben."

Greenpeace Deutschland und dessen Erfolg wirken in vieler Hinsicht paradox. Die Organisation ist ein Verein mit dem freundlichen Image der Basisdemokratie, doch geführt wird sie straff von der Hamburger Zentrale aus, in der mittlerweile 206 Angestellte arbeiten. Nahezu jeden wichtigen Akteur in der deutschen Politik und Wirtschaft hat Greenpeace schon mal geärgert, und immer gern auch die Grünen. Doch zum runden Geburtstag überbieten sich Freund und Feind mit Elogen.

"Greenpeace macht Druck für eine bessere Umwelt - immer mit Mut, meist mit Geschick. Lobenswert!" sagt Jürgen Großmann, Vorstandsvorsitzender des von Greenpeace oft attackierten Energiekonzerns RWE. "Greenpeace verleiht der Umwelt eine Stimme, mitunter auch unter Gefahr für Leib und Leben der Aktivisten", sagt Ingrid Nestle, Bundestagsabgeordnete der Grünen. "Uns eint das gemeinsame Anliegen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren", salbte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Jubilar in einem Beitrag für das hauseigene "Greenpeace Magazin". Mitte der 90er-Jahre hätte sie das wohl nicht getan - da war sie Bundesumweltministerin in Bonn, und Greenpeace nervte sie besonders im Dauerstreit um die Atompolitik hart und ausdauernd.

Die Bilder von Greenpeace-Aktionen wirken heute längst nicht mehr so spektakulär wie früher, wie etwa bei der Besetzung des Shell-Öltanks "Brent Spar" in der Nordsee oder den Protesten gegen die französischen Atombombentests im pazifischen Mururoa-Atoll Mitte der 90er-Jahre. Das Publikum hat sich an solche Auftritte gewöhnt. Vergangen sind die großen Kampagnen mit einfachem Feindbild und der Chance, sie schnell zu gewinnen.

Das Greenpeace-Basisstück "David gegen Goliath" funktioniert nicht mehr, dafür ist David zu groß geworden. Aber gerade deshalb ist die Organisation heute in den Medien präsenter denn je zuvor. Bei jeder nur denkbaren Gefahrenlage für die Umwelt werden Fakten, Meinungen und Einschätzungen von Greenpeace-Experten erbeten und verbreitet, von der Ölpest im Golf von Mexiko bis zu den Waldbränden in Russland, von der Gentechnik-Front bis zum Kampf um die Atomkraft in Deutschland. Greenpeace hilft mit Orientierung, Rat und Tat. Vom hitzigen Ankläger wurde die Organisation mehr und mehr zum geduldigen Aufklärer. "Es wird für Greenpeace schwieriger, in der zersplitterten Medienlandschaft präsent zu sein", sagt Brigitte Behrens. "Es reicht eben heutzutage nicht mehr aus, in einer Hauptnachrichtensendung aufzutauchen. Wir versuchen deshalb auch, neue Medien zu nutzen, zum Beispiel soziale Netzwerke wie Twitter."

Die Lage wird komplexer, doch Greenpeace agiert als Umweltorganisation stets in der Poleposition. Die Wettbewerber erkennen das neidlos an. "Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als wunderbare Ergänzung", sagt Ute Bertrand, Sprecherin der Umweltschutzorganisation Robin Wood. "Wir tauschen uns fachlich aus, wo immer das Sinn macht, und wir kooperieren auch mit Greenpeace." Robin Wood war etwa zur gleichen Zeit wie Greenpeace Deutschland gegründet worden, auch von enttäuschten Greenpeace-Aktivisten, denen die Organisation nicht basisdemokratisch genug war. Das war auch nie die Absicht der Greenpeace-Gründer. Bei ihnen stand stets die Schlagkraft der Kampagne im Mittelpunkt. Greenpeace wuchs rasant, Robin Wood nicht. Mit rund 10 000 Förderern und zwölf Festangestellten wirkt die Bremer Truppe bescheiden. Stolz ist man dennoch. "Wir sind kleiner, in der inneren Organisation aber auch viel weniger hierarchisch als Greenpeace", sagt Bertrand. "Wir sprechen eher Leute mit eigenem Kopf an, die über Ziele, Aktionen und Struktur der Organisation selbst bestimmen wollen."

Zu Beginn der 80er-Jahre erlebte die Umweltbewegung in Deutschland ihren großen Aufschwung. Die neu gegründete Partei der Grünen schickte ihre Mitglieder auf den Marsch durch die Institutionen, und Greenpeace die seinen auf die Schornsteine der Industrie. Gemeinsame Sache machten sie nie, doch auf unterschiedlichen Wegen wurden beide Teil des Establishments.

Umweltorganisationen und -politiker haben die Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren derart verändert, dass es heutzutage in allen Parteien von Umweltschützern nur so wimmelt, und ebenso in den Chefetagen von Unternehmen. Zufrieden darüber ist Greenpeace-Veteran Harald Zindler keineswegs. "Die Chlorchemie wurde abgeschafft, die Verklappung von Dünnsäure aufgegeben, Schwefel aus Kraftwerksabgasen gereinigt. Vieles wäre heute ohne den Einsatz von Umweltorganisationen wie Greenpeace noch viel schlimmer", sagt er im Hafenlager am Rethedamm. "Aber die Megatrends - Klimawandel, Überfischung, Artensterben, Waldrodung - die haben wir nicht gedreht." Das klingt so, als würde er am liebsten in das fliegende Schlauchboot steigen und wieder losziehen gegen die Raubritter an der Umwelt. Aber das ist für ihn vorbei. Das Boot bleibt still in der Garage an diesem verregneten Tag.