Die Jury um Schauspielerin Whoopi Goldberg hat entschieden: Zodwa Selele ist die Hauptdarstellerin im Hamburger Musical “Sister Act“.

And as a sister and a friend, I'll be a sister til the end, and no one on this earth can change that fact - I'm part of one terrific sister act ." Bei diesen ruhig gesungenen Liedzeilen über das lebenslange Schicksal einer Ordensschwester liefen zwei jungen farbigen Frauen im Zuschauerraum des Palladium Theatre in London am Donnerstagabend die Tränen in Strömen über die Wangen. Es waren Freudentränen bei Zodwa Selele, Tränen der Trauer bei Patricia Meeden. Beide Musicaldarstellerinnen hatten bis vor wenigen Stunden darum gekämpft, die Hauptrolle in der Hamburger Musicalproduktion "Sister Act" der Stage Entertainment zu ergattern. Selele wird nun Teil der "sagenhaften Schwesternschaft". Sie wird am 2. Dezember bei der Premiere im Operettenhaus die Hauptrolle der Deloris van Cartier spielen und dann sechsmal pro Woche über die Bühne fegen.

Vor mehr als einem halben Jahr begannen die Castings für die jungen Frauen, die sich in fünf Runden gegen mehr als hundert andere Tänzerinnen und Sängerinnen durchgesetzt hatten. Doch für die finale Entscheidung wollten die Produzenten gern auch Whoopi Goldbergs Meinung hören. Die Meinung der Frau, die Koproduzentin der Hamburger Show ist und 1992 die Ursprungs-Deloris im Film "Sister Act" spielte.

So reisten Selele und Meeden mit dem Stage-Entertainment-Casting-Direktor Ralf Schaedler und einem Team nach London, um Whoopi ihr Können zu präsentieren. "Beide können absolut diese Rolle spielen, sie sind super ausgebildet, haben Erfahrung und Wahnsinns-Stimmen", sagte Schaedler vor der Entscheidung, "doch eben nur eine kann unsere Erstbesetzung sein."

Auch der zweite Platz ist eigentlich ein Sieg, denn nun wird Meeden die alternierende Besetzung sein. Das bedeutet zwei Auftritte pro Woche in der Hauptrolle. Und die Entscheidung war denkbar knapp, niemand wollte und konnte den Ausgang tippen. Zodwa Selele war aufgeregt, sagte vor der Entscheidung: "Wir sind vom Typ her sehr unterschiedlich, bringen also jede etwas ganz Spezielles, Eigenes in die Rolle ein. Letztendlich ist es Geschmackssache und Whoopi Goldberg wird entscheiden, welche von uns ihr besser gefällt." Doch zuvor bedeutet die Zeit in England Dauerbeobachtung für beide: Kameras begleiteten sie bereits auf dem Hinflug, im Hotel, bei den Tonproben, auf einem Spaziergang durch Soho, das West End. Ein Fotografenteam hielt jede Bewegung fest, zu diesem Zeitpunkt bekommen beide noch die gleiche Aufmerksamkeit. Noch.

Noch sind beide potenzielle Erstbesetzungen der feschen Nonnen-Rolle. Noch kämpfen beide gegen die Aufgeregtheit, die schweißigen Hände, die Angst vorm Versagen. Noch. Bis zum allerletzten Wettstreit. Der finalen Entscheidung. Doch anders als in Casting-Shows á la Heidi Klum oder "Deutschland sucht den Superstar" gab es keine kaugummiartig lang gezogenen Pausen, keinen künstlichen Spannungsaufbau, keine Inszenierungen. Dafür eine klare Struktur: Am Donnerstagnachmittag, kurz nach 15 Uhr, trat erst Patricia Meeden auf die leere Bühne des Londoner Theaters, sang die drei Sister-Act-Songs "There's your voice", "Fabulous" und "Sister act", dazu eine Streitszene. Die 24-jährige Patricia Meeden ist quirlig, ihre schwarze lange Lockenmähne kaum zu bändigen, sie kennt keinen Stillstand, lacht viel und laut und steckt alle mit ihrer offenen Art an. Und so stand die zierliche Kubanerin in einem langen blau-gemusterten Kleid auf der Bühne, füllte mit ihrer Soulstimme den fast leeren Saal. Kein Fehler, kein Wackeln im Ton. "Thank you, looking good", rief Whoopi Goldberg anerkennend aus der vierten Reihe des Parketts zu ihr hinauf, entlässt sie damit ohne weiteren Kommentar. Denn sofort ist Zodwa Selele an der Reihe, die Darstellerin mit mehr Erfahrung im Musical-Business. Die 32-Jährige absolvierte ihre Ausbildung an der Joop van den Ende Academy in Hamburg, spielte Hauptrollen in "Der König der Löwen" und "Aida". Sie ist ruhiger, wirkt nachdenklicher, dabei sehr konzentriert.

Für sie war es eine der letzten Chancen, eine so große, wichtige Hauptrolle zu bekommen, ihre Karriere ist weiter fortgeschritten. Ernst und mit gerader Körperhaltung trat sie vor die dreiköpfige Jury, sang ebenfalls die drei Lieder, spielte die Deloris vor, die mit allen Mitteln versucht, dem Polizisten "Sweaty Eddy" ihre bedrohliche Lage klarzumachen: Sie hat gerade in einem Nachtklub, in dem sie als Sängerin auftritt, gesehen, wie ihr Liebhaber einen Mord begangen hat. Unglücklicherweise sah auch dieser sie, jagt Deloris seitdem durch die Stadt. Und genau diese war Seleles Auftritt. Whoopi Goldberg musste kichern, hielt sich die Hand vor den Mund. Hier konnte sie all ihre Bühnenerfahrung zeigen, überzeugte damit die Jury, bestehend aus Whoopi Goldberg, Ralf Schaedler und Regisseurin Carline Brouwer.

Die beiden jungen Frauen sitzen auf den ausgebleichten roten Klappsesseln vor der Jury, hören zu, streichen sich nervös durch die Haare. Sie wollen endlich wissen, wer die Nummer eins sein wird. Beide werden gelobt, Patricia Meedens gewaltige Stimme, Zodwa Seleles enorme Bühnenpräsenz. Die ausschlaggebend war. Regisseurin Brouwer atmet tief ein. "Unsere Erstbesetzung für die Deloris ist Zodwa." Klatschen, ein Jauchzen erklingt und die Gewinnerin vergräbt ihren Kopf zwischen ihren Armen, umarmt von Patricia Meeden. Sie strahlt, lächelt, jubiliert innerlich, nimmt Glückwünsche entgegen und hört dann wieder Whoopi Goldberg zu, die eindringlich mit ihnen spricht. Sich mit ihnen zur Premiere in Hamburg verabredet. Ihnen nochmals sagt, dass sie beide gut sind, Patricia eine glänzende Zweitbesetzung ist.

"Zodwa ist die Deloris, die wir gesucht haben. Sie bringt etwas ganz Besonderes, Eigenes mit in die Rolle", sagte Whoopi Goldberg hinterher über die einstimmige Entscheidung. Zodwa Selele selbst ist fast sprachlos, erst am Abend findet sei die richtigen Worte: "Ich bin überglücklich, habe Schmetterlinge im Bauch. Ich kann es noch gar nicht fassen." Sobald sie konnte, hatte sie mit ihren Eltern in Franken telefoniert, ihren Freund, einen Musical-Percussionisten, angerufen. "Nur einen Satz habe ich gesagt: 'Ich bin es', dann musste ich ja schon weiter, Fotos mit Whoopi machen." Ein guter Vorgeschmack auf ihre Zukunft, denn ähnlich eng getaktet wird auch ihre Zukunft aussehen, wenn im Oktober die Proben für die extrem intensive und schnelle Show "Sister Act" in Hamburg beginnen.

Auch für Meeden, die ihre Enttäuschung nicht verbergen kann: "Ich bin in ein riesiges Loch gefallen, als die Entscheidung bekannt gegeben wurde, aber immerhin bin ich dabei und fühle mich deshalb nicht so sehr als Verliererin." Denn beide treten in der Show auf. Die Erwartungen der Stage sind hoch: "Sister Act" ist eines der dynamischsten und glitzernsten Musicals, die es auf dem Markt gibt. Ich bin sicher, dass es mindestens genauso erfolgreich wie 'Mamma Mia' wird", erklärte Stephan Jaekel, Leiter Kommunikation der Stage Entertainment. Zur Erinnerung: "Mamma Mia" lief fünf Jahre lang, zog 2,5 Millionen Besucher in seinen Bann. Ein großes Ziel, das sich zu erreichen lohnt, wofür beide Frauen alles geben werden.