Gegen eine Jahrespauschale bekommen mehrere Hundert Verbraucher alles, was der Buschberghof nahe Hamburg erntet. Ein Modell, das in Zeiten von Lebensmittel-Skandalen und Masttierquälerei immer mehr Anhänger findet

Karla sitzt in der Vorratskammer des Hofes und greift tief in eine Holzkiste. "Mama", kräht die Zweijährige, "was ist das?" - "Eine Zuckerschote", antwortet Mama Anne-Kathrin Kranenberg, "die kann man essen." Karla nuckelt an der Zuckerschote und fragt: "Mama, brauchen wir auch Eier?" Ja. Karla packt Eier in eine Kiste und greift sich noch ein paar Möhren.

Veronika Ristow hat gerade mit ihrer Tochter Lea Erdbeeren auf dem hofeigenen Feld gepflückt, jetzt beladen die beiden ihren blauen Ford Focus Kombi. "Hast du schon Mehl geholt?" fragt die Mutter. "Und Kartoffeln brauchen wir auch noch." Sie geht in den Stall des alten Bauernhauses und schleppt einen riesigen Sack Kartoffeln heraus. Acht Familien müssen versorgt werden.

Sabine Patzner lädt, während ihre beiden Kinder mit dem Hofhund spielen, Lebensmittel in ihren Golf. Die frisch gebackenen Brote liegen schon auf dem Beifahrersitz, Salat, Kartoffeln und Gemüse kommen in den Kofferraum. Alles ist für zwei Familien gedacht und muss für eine Woche reichen.

Die kleine Karla und ihre Mama, die Ristows und die Patzners sind auf Einkaufstour am Buschberghof bei Ratzeburg. Ohne Geld und ohne Einkaufszettel. Sie kommen aus Hamburg-Rahlstedt, Geesthacht oder dem Nachbarort Koberg und sind Mitglieder einer Wirtschaftsgemeinschaft, die den Hof mit Beiträgen finanziert. Den Betrag, den sie - quasi als Abonnenten - im Jahr zahlen, haben sie im Voraus zugesichert, dafür bekommen sie, was der Hof hergibt. Im Winter Kohl und Wurzelfrüchte, im Sommer Salat und Tomaten. Ist die Ernte schlecht, gibt es weniger, ist sie gut, gibt es mehr. 360 Menschen werden so mit Grundnahrungsmitteln versorgt.

Der Betrieb bekam 2009 einen Förderpreis der Bundesregierung

Das Konzept heißt "Community Supported Agriculture" (CSA) und ist das Gegenmodell zur industriellen Landwirtschaft. CSA ist in den USA weit verbreitet, in Deutschland gibt es nicht mehr als zehn Betriebe, der Buschberghof war der erste. Im vergangenen Jahr wurde er vom Bundesagrarministerium mit dem "Förderpreis Ökologischer Landbau" ausgezeichnet. In der Begründung der Jury hieß es, der Betrieb besitze "Modellcharakter für andere Betriebe in der Landwirtschaft".

Zum Buschberghof gehören 101 Hektar Land. Hier leben 30 Milchkühe und mehrere Zuchtbullen, 40 Jungrinder, drei Zuchtsauen, ein Eber und 45 Mastschweine, zehn Mutterschafe und ein Bock, eine Norwegerstute, ein Shetlandpony, 200 Hühner, ein paar Enten und Gänse. Und 40 Menschen, die hier leben und arbeiten. Das sind die Kennzahlen des Wirtschaftsmodells.

Der Buschberghof wird biologisch-dynamisch bewirtschaftet, nach den Demeter-Kriterien; sie gehen auf Rudolf Steiner zurück, den geistigen Vater der Waldorfschulen. Möglichst viele Tier- und Pflanzenarten solle es geben, schrieb Steiner vor, je mehr Artenvielfalt, desto stabiler die Umwelt. Der Mist, den die Tiere hinterlassen, macht die Felder fruchtbar. Synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel sind tabu. Die Zahl der Tiere ist an die Fläche angepasst, die Menge der produzierten Lebensmittel an die Zahl der Mitglieder im Buschberghof-Projekt. Die Tiere liefern Milch, Eier, Fleisch. Die Menschen ernten Gemüse, stellen Joghurt und Käse her, mahlen das Getreide in ihrer Mühle und backen Brot. Alles kommt aus eigener Produktion. "So funktioniert der geschlossene Betriebsorganismus", sagt Karsten Hildebrandt.

Hier zählt kein Marktpreis, dafür Qualität und Vielfalt im Anbau

Hildebrandt ist groß, sein Gesicht ist hager, die kurzen Haare grau, die Mine ernst. Der 48-Jährige ist der Mann, der mit seinen Mitarbeitern die Lebensmittel produziert. Hildebrandt redet, macht lange Pausen, denkt nach. Es geht um die Zukunft der Erde und der Menschheit. "Land ist etwas Gemeinnütziges", sagt er. "Die Aufgabe eines Landwirts ist es, die Menschen generationenübergreifend zu ernähren." Er referiert darüber, dass er allen Menschen, ob arm oder reich, Zugang zu fruchtbarem Boden verschaffen will, damit sie ihren Lebensunterhalt sichern können. Bis hierher könnte man Hildebrandt für einen esoterischen Spinner halten. Doch je länger er redet, desto mehr Sinn ergeben seine Worte.

Schätzungen zufolge werden 25 Prozent der Lebensmittel in Europa weggeworfen: weil zu viel produziert wird, weil manche Produkte Ladenhüter sind, weil sie falsch etikettiert werden, weil sie beim Transport beschädigt wurden und weil Verbraucher ihre Einkäufe falsch planen. Das alles gibt es auf dem Buschberghof nicht.

Hildebrandt spricht von Bauernhöfen, die verkauft werden müssen, weil die Erben den Betrieb nicht fortführen wollen. Er spricht von den Märkten, die die Preise diktieren. Er spricht von Überproduktion, Lebensmittelskandalen, Preistreibereien, Zwischenhändlern. Von Erdbeeren, die um die Welt geflogen werden, nur damit deutsche Konsumenten sie auch im Winter essen können. Er erzählt von Schweinen und Kühen, die im Turbo-Mast-Verfahren nach wenigen Wochen Lebenszeit billig auf die Teller gebracht werden. Und davon, dass der Buschberghof damit nie etwas zu tun haben wird.

Ende der 60er-Jahre vererbten die Eigentümer den Hof nicht etwa ihren Kindern, sondern übertrugen ihn einem gemeinnützigen Träger. Sie wollten, dass der Hof dauerhaft biologisch-dynamisch arbeitet. Dass möglichst viele von der Idee profitieren. Die Menschen vom Buschberghof galten in der Nachbarschaft als verrückte Ökos.

1986 zog Karsten Hildebrandt mit seiner Familie nach Fuhlenhagen. Mit anderen baute er Obst und Gemüse an, produzierte Milch und Käse, verkaufte das alles im Hofladen. Doch im Hofladen zu stehen, machte keinem Spaß. Und irgendwie ging ihnen ihr bisheriges Konzept noch nicht weit genug. Deshalb gründeten sie die Wirtschaftsgemeinschaft.

Die Zusage der Mitglieder, ein Jahr lang einen fixen Beitrag zu zahlen, bedeutet Planungssicherheit für Hildebrandt. "So werden die Waren von den Finanzströmen getrennt", sagt er. "Denn ein Preis im Supermarkt hat nie etwas mit der Herstellung eines Produktes zu tun. Verpackung und Fahrwege sind mit inbegriffen."

Hier wird die Milch in Flaschen gefüllt, die den Kunden gehören. Das Brot nehmen sie so mit, der Käse ist in Papier gewickelt, das Gemüse liegt ungewaschen in Kunststoff-Kisten. "Wenn man aus dem wirtschaftlichen Zwang raus ist, macht man eine bessere Landwirtschaft. Es muss sich nicht jedes einzelne Produkt wirtschaftlich rechtfertigen. Jedes Produkt trägt das gesamte System und gewährleistet die Vielfalt", sagt Hildebrandt. So könne er auch Früchte anbauen, die wegen ihrer aufwendigen Pflege auf dem Weltmarkt gar nicht bestehen würden. Frühjahrsblumen zum Beispiel. Aus afrikanischen Gewächshäusern sind sie viel billiger. Dennoch werden die Blumen am Buschberghof angebaut. Wegen der Artenvielfalt. Und weil die Blumen, die Hildebrandt an seine Mitglieder weiterreicht, eine Wirkung haben: "Vielleicht kann man den Nutzen als Seelenpflege bezeichnen."

Die dunkelbraunen Kühe der Rasse Angler Rotvieh, alte Zuchtrichtung, geben weniger Milch als andere. Dafür hat ihre Milch einen hohen Eiweiß- und Fettgehalt, was gut für die Käseproduktion in der hofeigenen Meierei ist. "Milch ist für uns immer wirtschaftlich. Weil jede Kuh Mist hinterlässt, der die Fruchtbarkeit des Betriebes erhöht", sagt Hildebrandt. Während viele andere Milchbauern in einem ruinösen Wettbewerb stehen, sind Hildebrandts Betriebskosten mindestens gedeckt, und er rettet nebenbei noch die bedrohte Rasse Angler Rotvieh.

Einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft zu einer Jahresversammlung. Sie füllen Zettel aus, auf denen sie angeben, wie viel Geld sie im Monat zahlen können, jeder nach seinen Möglichkeiten. Ist jemand arbeitslos, stehen die anderen für ihn ein. Verdient jemand mehr, so soll er mehr zahlen. Als Richtsatz gelten 150 Euro pro Monat und Erwachsenen und 70 Euro pro Kind. Was die Mitglieder zahlen, weiß nur der Schatzmeister. In diesem Jahr liegen die Kosten, die die Mitglieder tragen müssen, bei 350 000 Euro. Das Soll wurde um 8000 Euro übertroffen.

Die Finanzkrise hat dem Buschberghof nicht geschadet, im Gegenteil: Während die Banken kollabierten, kamen immer mehr Menschen als Neumitglieder. "Sie fühlen sich sicherer, wenn sie ihr Geld an unseren Betrieb geben und dadurch ihre Lebensgrundlage sichern, als wenn sie es zur Bank bringen würden", sagt Hildebrandt.

Die Mitglieder bekommen Einblick in den Anbauplan und in den Finanzplan. Sie können mitbestimmen, welche Kuh und welches Schwein geschlachtet wird. Sie können darüber abstimmen, ob das Gehalt, das Hildebrandt und seine Mitarbeiter sich selbst zumessen, in Ordnung ist. "Die Vertragsgrundlage ist Vertrauen von beiden Seiten. Wir Landwirte vertrauen darauf, dass die Mitglieder die zugesicherten Beiträge auch wirklich zahlen. Und die Mitglieder vertrauen darauf, dass sie von uns versorgt werden", sagt Hildebrandt.

Vertrauen. Während in den Supermärkten Brot abgewogen, geschnitten, geteilt wird, ist der Laib die Messgröße am Buschberghof. Während dort Obst und Gemüse penibel abgewogen werden, liegen hier Möhren, Radieschen und Gurken aufgehäuft zum Mitnehmen. Der Käse wird nicht nach Gramm, sondern in Einheiten abgegeben. Eine Einheit Käse ist ein Viertel Laib, vier Einheiten ein ganzer Laib. Der Rest ist Vertrauenssache.

In dem Stall, in dem die Mitglieder ihre Lebensmittel abholen, riecht es nach frischem Brot. 350 Laibe werden pro Woche in der hofeigenen Bäckerei gebacken. Mit einer Holzschubkarre schiebt Johanna Hildebrandt, die Frau des Hof-Chefs, die ofenfrischen Brote herein, zählt sie für die Mitglieder ab und legt sie in Holzregale. Mit ihrem Kopftuch sieht sie aus wie eine Magd aus dem Mittelalter. "Volksdorf zwölf, Rahlstedt nur acht", murmelt sie. Das Brot und die Milchprodukte für die nächste Woche bestellen die Mitglieder jeweils beim Abholen der Lebensmittel auf einem Zettel, den sie in einen Briefkasten werfen.

Mitglieder helfen auch beim Unkrautjäten und Kartoffelnernten

Die kleine Karla aus Koberg kennt nur Lebensmittel vom Buschberghof, ihre Eltern sind Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft, seit sie auf der Welt ist. Die Sozialpädagogin Veronika Ristow aus Rahlstedt, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, ist seit vier Jahren dabei. "Ich bin froh, dass meine Kinder mitbekommen, wie das hier wächst", sagt sie und zeigt auf die Salatköpfe, Möhren, Radieschen, Gurken und den Mangold in ihrem Kofferraum. So frisch bekommt sie das nirgends. "Und auch nicht für diesen Preis."

Sabine Patzner aus Geesthacht ist sogar schon seit 15 Jahren Mitglied, eine Freundin hatte ihr den Buschberghof gezeigt. "Wir kennen das Land, wir kennen die Menschen, die unsere Lebensmittel herstellen. Das lässt sich aus unserem Leben nicht mehr wegdenken", sagt die zweifache Mutter. Sie und ihr Mann haben schon selbst hier geackert: Unkraut gejätet, Kartoffeln geerntet und einen Hühnerstall gebaut. Wenn sie bei Freunden eingeladen sind und es Tomatensalat im Winter gibt, überkommt sie ein komisches Gefühl. "Weil es hier immer das gibt, was die Saison hergibt", sagt Sabine Patzner. Im Winter bekommt sie Kohl, Möhren und rote Betete. Wenn im März der erste Salat in der Kiste liegt, sei das wie ein Fest.

Jeder ist mal an der Reihe, die Produkte abzuholen und weiterzuverteilen

Sie und Veronika Ristow werden die Lebensmittel, die sie gerade im Auto verstaut haben, in Hamburg und Geesthacht an andere Haushalte weiterverteilen. Es gibt Gruppen in Bergedorf, Rahlstedt, Tonndorf, Lokstedt, Volksdorf und Wandsbek. Jeder ist mal mit Abholen dran.

So schließt sich der Kreislauf. Sabine Patzner hat mit ihrer Freundin, die ihr den Buschberghof zeigte, seit 15 Jahren ein Ritual. Jeden Dienstag, wenn eine der beiden die Lebensmittel aus Fuhlenhagen holt, essen die beiden Familien abends zusammen. Dann gibt es je nach Jahreszeit mal dies, mal das, aber immer frisches Brot vom Buschberghof.