So international wie das Team ist auch die Anhängerschaft. Die integrative Kraft des Fußballs zeigt sich auch in Hamburg.

Hamburg. Owusu Mensah guckt traurig aus der Wäsche. Nur wenige Stunden nach dem dramatischen Ausscheiden seines Heimatlandes Ghana im WM-Viertelfinale mixt er Getränke auf dem Hamburger Fanfest und sagt: "Das war schon bitter gestern." Weil aber Deutschland seine zweite Liebe sei, "hoffe ich, dass wir jetzt Weltmeister werden."

Dieses "wir" geht ihm bewusst über die Lippen, denn der Afrikaner Owusu Mensah ist Deutschland-Fan. Und zwar nicht erst, seit sein ghanaischer Landsmann Jérome Boateng den Bundesadler auf der Brust trägt. "Das ist mir wurscht. Ich fühle mich hier einfach zu Hause, deshalb kann ich auch bei Deutschland-Spielen mitfiebern." Seit 1992 lebt und arbeitet er in Hamburg, hat einen Prozess vom "steifen, intolerant wirkenden Volk" hin zum "weltoffenen, duldsamen Deutschland" beobachtet. "Wir wachsen zusammen", sagt er, bevor das 1:0 durch Thomas Müller fällt. Owusu Mensah springt auf - und wedelt mit seinem Deutschland-Schal.

Sie kommen aus aller Herren Länder, haben unterschiedliche Hautfarben und beten ungleiche Götter an. Aber das Deutschland-Banner eint sie, die vielen Nationalitäten in Hamburg. Noch nie war der Deutschland-Jubel so bunt wie bei dieser WM, noch nie so multikulturell. Denn mittlerweile sind die Schlachtenbummler der Nationalelf mindestens so international wie das DFB-Team selbst.

+++ Erlebnisbericht über Bus-Fanfahrt nach dem Spiel +++

In der polnischen "Luana-Lounge" zeigt sich das schon bei der Nationalhymne: "Einigkeit und Recht und Freiheit ...", singen die Nationalspieler im fernen Kapstadt, "... für das deutsche Vaterland", stimmen überall in Hamburg Fans mit ein. Auch in der von einer gebürtigen Danzigerin betriebenen Allermöher Bar würden die polnischstämmigen Sportfreunde mitsingen, gäbe es da nicht dieses kleine Problem: "Ich kenne den Text nicht auswendig", sagt Philip Malewski. Zum Ausgleich hat er sich Deutschland-Fähnchen auf die Wangen gemalt. An den Wänden hängen Blumenketten in den Nationalfarben, der Fernseher ist mit einem Deutschland-Schal umrahmt.

Kein Wunder, in Jogi Löws Multikulti-Truppe spielen mit Klose, Podolski und Trochowski gleich drei Männer "ihresgleichen". Deshalb ist das Geschrei in der 68. Minute besonders groß: Klose schießt das zweite Tor, und in der "Luana-Lounge" rasten die Leute förmlich aus. "Miiirooo!!!", kreischen sie, hämmern die Fäuste auf die Tische und klatschen begeistert Beifall. "Das ist für uns echt klasse zu sehen, dass Leute wie wir in Deutschland sogar bis in die Fußballnationalmannschaft kommen können", findet Philip. "Dobshe - das heißt gut", erklärt er und stößt mit seinem Kumpel Vladimir Solinski, 20, an. "Tyskie" trinken sie, ein typisch polnisches Bier. Und klar seien sie für Deutschland, "wir sind doch hier aufgewachsen".

Ein Phänomen, das sich durch die ganze Stadt zieht. Besonders die vielen Türken bekennen sich zu Deutschland. Sogar im dem Nationalstolz eher kritisch gegenüberstehenden Schanzenviertel. Beim türkischen Herrenfriseur Carizma hängt kein Halbmond im Schaufenster, sondern die schwarz-rot-goldene Fahne. "Probleme gab's deswegen noch nicht. Özil ist einer von uns, er spielt für Deutschland und schweißt uns zusammen. Das macht uns alle stark", sagt Inhaber Irfan Akgül.

Im türkischen Kiosk an der Susannenstraße das gleiche Bild: Deutschland-Fahnen überall. Verkäufer Fatih Kurutus: "Klar freuen wir uns mit. Ich meine, wir leben hier. Das ist meine Heimat. Und wer sagt, ich darf nicht mitjubeln, ist ein dummer Mensch."

Fußball sei einer der besten "Integrationsbeschleuniger", sagt Harald Winkels, Geschäftsführer der Türkischen Gemeinde Hamburg. "Gerade bei der Fußball-Weltmeisterschaft wird das deutlich. Da verblassen die politischen und auch unsere Integrationsbemühungen, und es zeigt sich: Fußball - das bringt's!" Es sei Gold wert, dass die Nationalelf vorlebe, wie Völkerverständigung funktioniere. Und weil es in einem "natürlichen Umfeld" ohne Zwang geschehe, sei die multikulturelle Verbrüderung eine "gesunde Geschichte", bringe die Gesellschaft voran.

Paulina Pietuch, 29, Besitzerin der polnisch geprägten Luana-Lounge in Allermöhe, reicht die nächste Runde über den Tresen. Sie sagt: "Auch ich fühle mich der DFB-Elf noch näher als sonst. Denn ich weiß: Da spielen Kerle mit, die eine ähnliche Geschichte haben wie ich selbst." Kaum, dass sie diese Sätze ausgesprochen hat, sorgt in der 74. Minute Arne Friedrich für Treffer Nummer drei. Die ersten Deutsch-Polen skandieren nun "Finale, oho". Und als in der 84. Minute Trochowski eingewechselt wird, ist ihr Glück perfekt.

Beim Fanfest tragen jetzt sogar die Brasilianerinnen Freictas Marines und Tonia Cartos nach dem Ausscheiden der Selecao Deutschland-Trikots. "Wir sind dafür, dass Deutschland Weltmeister wird." Eine multikulturelle Nationalmannschaft: "Besser geht's nicht", sagt Freictas Marines.

Ein paar Meter weiter - es ist die 89. Spielminute - feiert Tanyel Eroglu unter dem türkischen Halbmond die Vorarbeit von Mesut Özil zum 4:0. Um den Hals des 17-Jährigen baumelt auch eine Deutschland-Kette: "Warum denn nicht?", sagt er. Er sei hier geboren und aufgewachsen, seine Wurzeln seien nun mal türkisch. Der Jubel bedeute für ihn keinen Widerspruch: "Denn Deutschland, das ist auch mein Land."