Die Deutsche Nationalstiftung zeichnet zwei deutsch-polnische Brückenbauer aus: Karl Dedecius und Alfons Nossol.

Hamburg. Richard von Weizsäcker ist 90 Jahre alt und seit 16 Jahren nicht mehr Bundespräsident - aber nach seinem Auftritt bei der gestrigen Nationalpreisverleihung im Festsaal des Rathauses dürften ihn viele der mehr als 400 Anwesenden wieder ins Schloss Bellevue gewünscht haben. Er hielt eine Rede voller Kraft, voller Rhetorik, voller erlebter Geschichte - und setzte einen brillanten Schlusspunkt unter eine beeindruckende Preisverleihung.

Zuvor hatten zwei deutsch-polnische Brückenbauer, der deutsche Übersetzer Karl Dedecius, 89, und der ehemalige polnische Erzbischof Alfons Nossol, 77, den Nationalpreis 2010 der Deutschen Nationalstiftung erhalten. In seinem kurzen Schlusswort schlug Richard von Weizsäcker die Brücke vom Weltenbrand des Zweiten Weltkrieges in die Gegenwart. Er habe als junger Soldat im September 1939 die Grenze nach Polen überschritten, ohne Wissen um die Hintergründe dieses Angriffskrieges, ohne fundamentale Kenntnisse der polnischen Kultur und Denkweise. Längst habe er Polen kennen-, verstehen und lieben gelernt. "Der heutige Vormittag ist mit wahrer Ermutigung und tiefer, tiefer Dankbarkeit für unsere beiden Preisträger verbunden."

20 Jahre nach der Wiedervereinigung hat die Nationalstiftung ein weiteres Signal für die deutsch-polnische Verständigung gesetzt. Sie verlieh den mit 50 000 Euro dotierten Preis an zwei große Versöhner. "Karl Dedecius hat mit seinen Übersetzungen von polnischer Literatur den Deutschen deren Kultur geöffnet, Erzbischof Nossol verkörpert mit seinem Lebenswerk die Versöhnung der beiden Länder nach dem Krieg", hieß es in der Begründung der Jury. An der Feierstunde im Rathaus nahmen neben Richard von Weizsäcker auch Altkanzler Helmut Schmidt sowie die Politiker Kurt Biedenkopf und Richard Schröder teil.

Nossol hatte sich stets für die deutschsprachige Minderheit in Schlesien eingesetzt und 1989 einen Versöhnungsgottesdienst im polnischen Kreisau initiiert. Im August 2009 legte der gebürtige Oberschlesier sein Amt als Erzbischof des Bistums Oppeln nieder. "Schon früh hat Erzbischof Nossol Brücken der Verständigung und der Aussöhnung zwischen der deutschen Minderheit und der polnischen Mehrheit in der oberschlesischen Diözese gebaut", lobte Laudator Karl Kardinal Lehmann. Nossol verwies in seiner Dankesrede auf die Friedensarbeit der polnischen und deutschen Bischöfe, die 1965 mit einer Botschaft das Eis zwischen den Völkern gebrochen hatten: "Wir vergeben und bitten um Vergebung."

Der zweite Preisträger, Karl Dedecius, ist Gründer des deutsch-polnischen Instituts in Darmstadt, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und Namensgeber des deutsch-polnischen Übersetzerpreises. Er gab neben Hunderten Lyrikübersetzungen rund 200 Bücher heraus. In seiner Ansprache warb der Deutsche, der sich stets als "Europäer aus Lodz" verstand, um eine nachhaltige Friedensarbeit: "Nun gilt es, daran zu denken, dass Vertrauen ein Werk in Permanenz ist. Schwer aufzubauen, leicht zu zerstören", sagte Dedecius. "Es ist wie das Atmen. Wer damit aufhört, hört auf zu leben."

Der mit 50 000 Euro dotierte Nationalpreis wird seit 1997 vergeben. Geehrt werden jene, die sich um die Vereinigung Deutschlands und das Zusammenwachsen Deutschlands in Europa und für Europa verdient gemacht haben. Im vergangenen Jahr wurden die Schriftsteller Erich Loest, Monika Maron und Uwe Tellkamp ausgezeichnet.

Neben Altkanzler Helmut Schmidt gehörten auch die Hamburger Unternehmer Michael Otto, Gerd Bucerius und Kurt Körber zu den Gründern. Bislang hatte die Nationalstiftung den Preis vor allem in Berlin verliehen und kam nun erstmals zum Sitz der Nationalstiftung nach Hamburg.