Neue Pflegestudie: Zimmer und Wohnungen zu fast 100 Prozent ausgelastet. Leiter der Einrichtungen rechnen mit deutlich steigender Nachfrage.

Fuhlsbüttel. Das Sofa im Eingangsbereich lädt zum Entspannen ein. Man versinkt tief im Polster. Bequem sitzt sich's. Aus der Cafeteria ist das Klirren von Tassen und das Gemurmel leise geführter Gespräche zu hören. Im Radio läuft "Waterloo" von ABBA. Draußen, vor der Eingangstür und nur gedämpft zu hören, rollt unentwegt der Verkehr auf der Alsterkrugchaussee.

Christel Amberger sitzt in ihrem Rollstuhl, genießt den Sommertag und lässt sich eine Kugel Eis schmecken. Seit zwei Jahren lebt die 95-Jährige in einem der 72 Einzelzimmer im Alten- und Pflegeheim Rommerskirchen, zusammen mit derzeit 107 Bewohnerinnen und Bewohnern. Ihr 51-jähriger Sohn besucht sie regelmäßig.

Etwas mehr als 150 Alten- und Pflegeheime gibt es derzeit in Hamburg, in denen fast 17 900 Menschen leben. Hinzu kommen nach Angaben der Gesundheitsbehörde 354 ambulante Pflege- und 28 Tagespflegeeinrichtungen.

Die Auslastung der Heime erreicht 95 Prozent, bei Einzelzimmern liegt sie zwei Prozentpunkte höher. Das ergab die Studie "Stationäre Pflege - Status Quo in Hamburg 2012". Das Hamburger Marktforschungsinstitut Harris Interactive hatte im Auftrag des Pflegeheimbetreibers KerVita zwischen dem 14. und dem 24. Mai 2012 dazu 40 Leiter Hamburger Pflegeheime befragt.

+++ Leitartikel: Jeden kann es treffen +++

"Ja, noch ist die Belegung gut, weil wir ein leichtes Überangebot von Plätzen in Alten- und Pflegeheimen haben", sagt Jörg Rommerskirchen, der Chef des Heims an der Alsterkrugchaussee. Doch schon in naher Zukunft rechnet er damit, dass der Bedarf an Heimplätzen steigen wird. Dann dürfte das bisherige Angebot nicht mehr reichen.

Mit dieser Einschätzung steht Rommerskirchen nicht allein. Derzeit leben in Hamburg rund 421 000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Das bedeutet, dass bereits jetzt fast ein Viertel der Einwohner der Hansestadt umgangssprachlich zu den Senioren gehört. Bis zum Jahr 2030 wird ihre Zahl auf 30 Prozent steigen.

Mit der Alterung unserer Gesellschaft rücken Alten- und Pflegeheime mehr und mehr in den Fokus. Zwar steigt das Alter, in dem Menschen in ein Heim umsiedeln. Allerdings sind sie zu diesem Zeitpunkt deutlich pflegebedürftiger. Oftmals werden die Betroffenen zunächst in ein Krankenhaus eingewiesen, weil sie sich allein nicht mehr versorgen können. Vom Krankenhaus aber führt der Weg dann zumeist in ein Alten- oder Pflegeheim.

Fast jeder zehnte der über 60-Jährigen in Hamburg bedarf der Pflege. Unter den Bewohnern von Pflegeheimen liegt die Zahl der Pflegebedürftigen signifikant höher. Der Befragung der Heimleiter zufolge ist bereits jetzt mehr als jeder zweite Pflegeheimbewohner (58 Prozent) demenzkrank oder benötigt aus anderen Gründen eine Spezialpflege. 95 Prozent der Heimleiter gehen davon aus, dass diese Quote in den kommenden Jahren steigen wird.

+++ Hamburger Pflegeheime haben lange Wartelisten +++

Demgegenüber gibt es der Studie zufolge trotz des guten Angebots bereits jetzt in vielen Pflegeeinrichtungen Wartezeiten. Wer ein Einzelzimmer möchte, muss in etwa jedem zweiten Heim damit rechnen, dass es bis zum Einzug mehr als zwei Monate dauert. In jedem fünften müssen Interessierte sogar ein Jahr oder länger warten.

Doch allein mit Neubauten von Einrichtungen ist es nicht getan. Etliche Heime seien alt und räumlich sowie von der Ausstattung her nicht für den sich ändernden Pflegebedarf ausgerüstet, sagt KerVita-Geschäftsführer Torsten Rieckmann. Die Umfrage hatte ergeben, dass fast jedes dritte Pflegeheim (29 Prozent) vor 1970 erbaut wurde.

Dass sich die Situation in den kommenden Jahren nicht entspannen wird, hat auch damit zu tun, dass die Bereitschaft von Verwandten, Großeltern oder Eltern, daheim zu pflegen, sinken dürfte, vor allem dann, wenn die Kinder voll im Berufsleben stehen. Fast 60 Prozent der Pflegeheimleiter rechnen damit, dass die Bereitschaft zur Pflege leicht oder deutlich abnehmen wird.

Auch deshalb gewinnen Ausbildung und Bezahlung von Pflegefachkräften mehr und mehr an Bedeutung. Fast jeder zweite Pflegeheimleiter fordert daher eine bessere Bezahlung von Pflegekräften. So sieht es auch Jörg Rommerskirchen. "Allein durch ein gutes Arbeitsklima werden wir die Fachkräfte nicht halten können."

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hält die Pflegesituation für gut. Sie hofft, dass zusätzliche Plätze und spezielle Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz die steigende Zahl an Pflegebedürftigen ausgleichen werden. Zugleich, mahnen Experten, sollte für ältere Menschen der Umzug in ein Heim der letzte Schritt sein. Altengerechte Wohnungen könnten helfen. Die Politik will deshalb jedes Jahr 1,69 Millionen Euro für den Umbau von Wohnungen ausgeben.