Der Landesverband Hamburg hat enormen Zulauf. Der politische Einfluss nimmt zu. Die Neulinge müssen die Spielregeln aber erst lernen.

Hamburg. In der Landesgeschäftsstelle an der Lippmannstraße herrscht reges Treiben. Es ist voll in dem kleinen, schummrigen Raum, in dem verschiedenste Stühle und Bierbänke aufgestellt sind. Auch die Gäste sind bunt gemischt. Da sitzt ein Anzugträger neben einem jungen Mann im abgewetzten Kapuzenpullover; eine junge Studentin unterhält sich mit einer Rentnerin, zu deren Füßen ein kleiner Hund hockt. Man kommt eben schnell ins Gespräch, wenn man dicht an dicht sitzt. Die Zentrale der Piraten ist bislang nicht dafür ausgelegt, so viele Menschen zu beherbergen. Doch vielleicht wird sich das bald ändern, denn der Einfluss der politischen Freibeuter in der Hansestadt nimmt stetig zu: Am vergangenen Wochenende erlangte die Partei mit drei Abgeordneten im Bezirk Mitte den Fraktionsstatus in der Bezirksversammlung.

Erfolge wie diese scheinen die Attraktivität der Partei massiv zu fördern: Rund 70 Hamburger sind an diesem Tag der Einladung zum monatlichen Piratentreffen in die Schanze gefolgt - nur etwa die Hälfte sind bereits Parteimitglieder. "Es ist nicht verwunderlich, dass so viele Neulinge heute dabei sind", sagt Thomas Michel, der seit letztem Jahr das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden bekleidet. "Nach Wahlerfolgen wie gerade erst in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verzeichnen wir immer einen enormen Zulauf." Kontinuierlich steigt die Anzahl der Mitglieder in der Hansestadt, mittlerweile sympathisieren nicht nur die jungen, Internet-affinen Bürger mit der Partei, die sich größte Mühe gibt, das Image einer Protestpartei loszuwerden. Stattdessen hat sie das Ziel, endlich in der Tagespolitik anzukommen.

Grünen-Abgeordnete Gül Aydin wechselt zu Piraten

Mit derzeit rund 1200 Mitgliedern hat der Hamburger Landesverband der Piratenpartei mehr als ihre Parteifreunde in Schleswig-Holstein, und schon genauso viel Mitglieder wie die Hamburger FDP. Und immer mehr Hamburger können sich mit dem Slogan "Klarmachen zum Ändern" identifizieren. Gegründet im Oktober 2007, hat der Hamburger Landesverband bereits 2008 an der Bürgerschaftswahl teilgenommen. In den vorgezogenen Wahlen von 2011 erhielten sie 2,1 Prozent der Stimmen. Vier Abgeordnete in den Bezirken Mitte und Bergedorf werden von den Piraten gestellt.

"Im Laufe der Zeit hat sich unsere Struktur und Ausrichtung massiv verändert. Am Anfang war ein Großteil der Mitglieder etwa Mitte 20, alle waren sehr auf das Internet ausgerichtet", sagt Anne Alter, Erste Vorsitzende des Verbandes. Die Hamburgerin ist 45 Jahre alt - das Durchschnittsalter der Hamburger Parteifreunde. Protokollarisch ist die Redakteurin demnach der Kopf des Landesverbandes. Echte Hierarchien lehnen sie und ihre Parteikollegen jedoch ab. "Es gibt Verantwortliche, aber keine Chefs", erklärt Alter, die im Internet unter dem Pseudonym Jinx_HH in Erscheinung tritt. "Wir als kleine Partei mit einem winzigen Budget sind angewiesen auf die aktive Mitarbeit der Hamburger. Und das bedeutet auch, dass jeder - wirklich jeder - bei uns mitmachen kann."

Einziges Kriterium: Sie alle muss die gleiche Leidenschaft antreiben, das Einstehen für freien Wissensaustausch, die Reformierung des Urheber- und Patentrechts, Datenschutz und Informationsfreiheit. Dass es schwer für einen Landesverband ist, diese zum Großteil sehr globalen Themen voranzutreiben, dessen sind sich die Hamburger Piraten bewusst. "Diese großen, meist europäischen Themen auf lokale Ebene herunterzubrechen, das ist nicht einfach", gibt Andreas Gerhold, 49, zu. Seit 2009 engagiert sich der Hamburger für die Piraten. "Aber es ist eben meine Aufgabe, mich in die Strukturen einzuarbeiten. Und wir sind gut dabei." Die Kernthemen der Piraten in Hamburg sind beispielsweise die Forderung einer kostenlosen Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und eine Rekommunalisierung der Energienetze.

Auch auf der Tagesordnung sind an diesem Tag die Themen lokaler Couleur. Dienste für Infostände auf kommenden Veranstaltungen werden eingeteilt. Auch die Neulinge sollen gleich ins kalte Wasser gestoßen werden - ein erfahrenes Parteimitglied sei schließlich immer an ihrer Seite. Eins wird sehr schnell deutlich: Jeder, wirklich jeder, ist dazu aufgerufen, seine Meinung einzubringen. Deutlich wird jedoch auch, dass zum Teil das Engagement der Neu-Piraten stärker ist als das politische Vorwissen um die Arbeitsweise und Möglichkeiten einer Partei, politisch Einfluss zu nehmen.

Wo liegt der Unterschied zwischen einem Volksbegehren und einem Volksentscheid? Was ist Acta? Und warum machen die Piraten in Schleswig-Holstein nicht in der Regierung mit?

"Als der Zuwachs noch nicht so stark war, konnten wir die neuen Mitglieder einfacher an die Hand nehmen und sie langsam in die Strukturen einbinden", sagt Anne Alter. "Das ist jetzt längst nicht mehr so einfach." Die logische Konsequenz der Führung: "Wir haben keine Angst vor Verantwortung, aber müssen unsere Fähigkeiten realistisch einschätzen", sagt Thomas Michel reflektiert. Die gesteckten Ziele der Hamburger seien derzeit nicht, Koalitionen einzugehen, bei den nächsten Wahlen Teil einer Regierung zu werden. "Bei uns stehen die Themen im Vordergrund. Und für die können wir uns starkmachen, egal welche Rolle wir derzeit auf der politischen Bühne spielen."