Der Erfolg der Serie “Sprechen Sie Hamburgisch?“ ist die Erinnerung an die Kindheit, die Zeit, als Großmutter 'n lütt Deern weer.

Hamburg. 1000 Folgen und kein Ende - das ist das Motto für die Rubrik "Sprechen Sie Hamburgisch?", für die erfolgreichste Serie in der Geschichte des Hamburger Abendblatts. Sie erscheint seit dem 2. Dezember 2008, jetzt immer in der linken Spalte der zweiten Lokalseite. Unzählige Leser warten auf das tägliche Stichwort, beginnen die Zeitungslektüre an dieser Stelle und lassen sich durch einen Ausdruck oder einen Schnack (Spruch) zurückversetzen in die Zeit, als Großmutter 'n lütt Deern weer (ein junges Mädchen war).

Manchmal erfahren die kleinsten Dinge in einer Tageszeitung die größte Resonanz, stellt Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider fest. Was macht nun das überwältigende Interesse für das Hamburgische im Abendblatt aus? Der Erfolg der Serie ist die Erinnerung, die Erinnerung an die Kindheit, die mit jedem Begriff, Sprichwort und jeder Redensart, die die Älteren unter uns früher in und um Hamburg gehört, gelesen oder gebraucht haben, die aber vergessen und verschüttet waren, plötzlich wieder lebendig wird.

Das Hamburgische ist keine Sprache und kein Dialekt, weder ein plattdeutscher noch ein hochdeutscher, sondern eine Sammlung von Begriffen und Redensarten, die typisch für Hamburg sind. Natürlich werden sie größtenteils nicht nur in Hamburg gebraucht, sondern ebenfalls im Umland und unter Umständen in ganz Norddeutschland. Die Anzahl der Hamburgensien, die ausschließlich in Barmbek oder auf St. Pauli zu Hause waren, ist begrenzt. Wir können einen Ausdruck wie Feudel (Bodenwischtuch) schließlich nicht deshalb weglassen, weil auch in Lübeck, Bremen oder Lüneburg gefeudelt worden ist. Zum Feudel gehört der Leuwagen (Schrubber am Stiel), die Handeule (siehe unten) sowie in Omas Küche das Fatuch (Spültuch) und der Handstein (Ausguss), Begriffe, die alle die Hamburger Staatsgrenze überschreiten, aber nicht im hochdeutschen Dialektraum südlich des Mains anzutreffen sein sollten. Ich erinnere mich, dass ich als Zehnjähriger in Passau in eine Bäckerei geschickt wurde und sechs Runds-tücke verlangte. Die stämmige Bäckersfrau im Dirndl verstand nicht, fühlte sich gefoppt und überschüttete mich mit einem Schwall an Schimpfwörtern, die nun wiederum ich nicht verstand.

+++ Täglich zwei Stichwörter +++

+++ Jubiläumspreise +++

+++ Wat den enen sien Uul ... Zehn Begriffe rund um die Eule von Peter Schmachthagen +++

Jede Regional- oder Heimatzeitung im Norden tut gut daran, ein paar typische Ausdrücke ihres Umfeldes zu gebrauchen und zu bewahren. Das hat nichts mit übertriebenem Lokalpatriotismus zu tun, schon eher mit dem notwendigen Maß an Heimatgefühl, wie es an jedem Ort in ganz Deutschland vorhanden ist.

Vorgestern standen zwei kürzlich zugezogene Damen in unserem Dorf vor meiner Pforte, um für das Kindervogelschießen am Samstag zu sammeln. Ein Kinderfest mit ganz viel Heimat, Tradition, Nostalgie, Blumenbügeln und Ponykutsche zwischen den Knicks (Wallhecken) am Samstag? Das geht gar nicht! Ich zog meinen Zwanzig-Euro-Schein zurück und erklärte, nur für ein Kinderfest am Sonnabend spenden zu wollen. Die Damen erkannten den Sinn des Einwands nicht, tauschten verstohlene Blicke, versprachen aber nach einem längeren Vortrag meinerseits, in Zukunft die hiesige Sprachregel Nummer eins zu beachten: In Hamburg heißt der Samstag Sonnabend.

Axel Springer, vor 100 Jahren im damals preußischen Altona geboren, hätte sein Abendblatt 1948 sofort wieder vom Markt genommen, hätte die Redaktion diese Regel nicht beachtet. Und dennoch, im Herbst 2008 muss es passiert sein, dass ein Volontär aus einer entfernten Ecke Deutschlands, der noch Alster und Elbe verwechselte, aus Unwissenheit einen Samstag in die Zeitung geschmuggelt hat. Die Reaktion der Leser war heftig und bestimmt. Auf den damaligen Chefredakteur Claus Strunz, einen Quiddje (Zugereisten) und bekennenden Franken, stürzten die Beschwerden ein. Er erkannte das publizistische Potenzial und fragte: Sprechen Sie Hamburgisch? Kennen Sie noch mehr hamburgische Begriffe?

Die Leser kannten. Eine Flut von Vorschlägen überschüttete die Redaktion in Mails und Briefen, zum Teil auf Platt und in Sütterlin geschrieben. Es mögen an die 20 000 Begriffe gewesen sein, darunter natürlich viele Dubletten. Das absolute Lieblingswort der Leser war zu Anfang appeldwatsch (wunderlich) gefolgt von eisch (böse). Inzwischen ist nach dreieinhalb Jahren die Flut ein wenig abgeebbt, aber beileibe nicht versiegt. Eine kleine Gruppe treuer Leser schickt unentwegt ihre Stichwörter, und für Carl Groth aus dem Ortsteil Neumühlen (siehe nächste Seite) ist jeder Tag ein verlorener Tag, an dem er nicht wenigstens zwei Mails an das Abendblatt senden kann.

Hans-Hermann Wölfert aus Volksdorf, dessen Name häufig unter der Rubrik steht, wird von Freunden, Bekannten und Nachbarn auf der Straße und im Supermarkt auf das Hamburgische angesprochen. Es sind die Erinnerungen an die alte Zeit, in die diejenigen sich zurückversetzt fühlen, die sie noch miterlebt haben.

Wer nun glaubt, die Hamburgisch-Serie sei allein für die Senioren reserviert, der irrt. Überraschend viele junge Menschen und selbst Schüler sind neugierig geworden und wollen wissen, wie zu Zeiten der Großeltern in Hamburg gesprochen und gelebt worden ist. Ich konnte eine dritte Klasse in Finkenwerder besuchen, die das Schattenspiel "De Haas un de Swienegel op de lüttje Heid bi Buxtehuud" aufführte. Die Kinder sprachen perfekt plattdeutsch, und man sah ihnen an, dass es ihnen großen Spaß machte. Das Überraschende: Fast alle Kinder der Klasse hatten einen Migrationshintergrund.

Niemand will Plattdeutsch wieder als Muttersprache in Hamburg einführen. Das ist vorbei. Es gilt vielmehr, zu bewahren. Immer weniger Leute sprechen Platt, aber immer mehr plattdeutsche Bücher, Sendungen und CDs erscheinen. Gerd Spiekermann (NDR), der Plattdeutsch-Experte par excellence, konstatiert ein gewisses Verlustgefühl, bei dem es gilt, auch auf sprachlichem Gebiet die letzten Ressourcen der Vergangenheit zu retten.

Plattdeutsch war die Sprache der Hanse und die Verkehrs- und Schriftsprache in Hamburg, bis im Gefolge der Reformation im 16. und 17. Jahrhundert in Kirche, Verwaltung und Schule das Hochdeutsche als Amtssprache eingeführt wurde, wenn man es hier lange Zeit auch als eine Art Fremdsprache empfand. Gesprochen wurde Plattdeutsch als tägliche Umgangssprache in der Familie, bei der Arbeit und auf der Straße noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, und zwar in allen Ständen. Der Hamburger Bürgereid musste bis 1844 op Platt geleistet werden. Nach 1945 mit der Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen und danach dem Zuzug der Zuwanderer aus fremden Sprach- und Kulturräumen war es jedoch weitgehend vorbei mit dem Plattdeutschen.

Übrigens heißt Plattdeutsch nicht Plattdeutsch, weil es auf dem platten Land in der Norddeutschen Tiefebene gesprochen worden ist, wie drittklassige Bänkelsänger aus Bremen glauben machen wollen, sondern es kommt von platt für klar, volkstümlich oder sogar derb, also weder welsch, hochdeutsch, lateinisch oder griechisch, sondern platt un düütsch, für jedermann verständlich.

Zwischen Hamburgisch und Plattdeutsch besteht kein Gegensatz, wie ihn einige wenige Leser immer wieder konstruieren möchten. Die meisten Begriffe in unserer Serie fußen auf dem Plattdeutschen oder sind als Redensart reines Platt. Ein einheitliches Hamburger Platt hat es dabei nie gegeben, zumal das heutige Hamburger Staatsgebiet erst 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz entstanden ist. Hamburg mag viele typische Eigenschaften haben, ein typisches Platt hat es nicht! Diese Aussage stammt von den Germanistik-Professoren Dieter Möhn und Jürgen Meier, die 1979 in einen Sprachenstreit eingreifen mussten. Hamburg ist uneinheitlich gewachsen und zusammengefügt worden, sodass ein Ausgleich der auf Hamburger Gebiet gesprochenen Mundarten nicht stattgefunden hat. Die Professoren: "Die Unterschiede in den Mundarten beschränken sich nicht nur darauf, dass identische Wörter in den einzelnen Regionen Hamburgs unterschiedlich ausgesprochen werden (zum Beispiel ik weer - weur - wüür, wi söllt - schöllt, Deern - Diern, Bett - Bitt, von - van - vun, soss - söss usw.), vielmehr ist auch der Wortschatz teilweise verschieden." Das Ohnsorg-Theater und der NDR (Hamburg) benutzen deshalb eine sprachliche Ausgleichsform, der die Mundarten Holsteins, Nordniedersachsens, Bremens, Hamburgs und Teilen Mecklenburgs zugrunde liegen.

Auch wir mussten ausgleichen und uns für eine Form entscheiden, denn die Zuschriften an das Hamburger Abendblatt boten alle denkbaren Varianten und Schreibweisen. Da das Niederdeutsche - glücklicherweise! - noch nicht der Kultusministerkonferenz in die Hände gefallen ist wie die Rechtschreibreform, halten wir uns an die Sass'sche Orthografie der Fehrs-Gilde, obwohl einige Anrufer am Telefon deshalb sehr laut werden können.

Die Mischung aus Plattdeutsch und Hochdeutsch wird Missingsch genannt. Sie war in Norddeutschland früher häufig zu hören, in Hamburg hauptsächlich in den Arbeiter- und Hafenvierteln. Hamburgisch kann Missingsch sein, muss es aber nicht. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935) liefert uns in seinem "Schloss Gripsholm" eine unübertreffliche Definition des Begriffs: "Missingsch ist das, was herauskommt, wenn ein Plattdeutscher hochdeutsch sprechen will. Er krabbelt auf der glatt gebohnerten Treppe der deutschen Grammatik empor und rutscht alle Nase lang wieder in sein geliebtes Platt zurück."

Als Beispiel ein Klein-Erna-Witz mit Grammatik: Meta hüpft auf 'n Schulhof mit 'n Springtau. Klein Erna sagt: "Lass mir mal springen!" - Das hört die Lehrerin und verbessert: "Nein, lass mich mal!" - "Oh, ja", ruft Klein Erna, "lass ihr mal!"

Falsches Deutsch ist noch kein Missingsch. Wenn wir Missingsch als den gescheiterten Versuch der Plattdeutschen bezeichnen wollen, hochdeutsch zu sprechen, so setzte Missingsch Plattdeutsch als Muttersprache voraus. Mit dem Platt-deutschen verschwand deshalb auch Missingsch aus den Hamburger Straßen.